26.06.2012

BGH entscheidet erneut zu Schadensersatzklagen von Lehman-Anlegern

Liegt dem Erwerb von Lehman-Zertifikaten ein Kommissionsvertrag zwischen den Anlegern und der Bank zugrunde, so besteht keine Aufklärungspflicht der Bank über eine allein von der Emittentin an sie gezahlte Vergütung. Eine solche Aufklärungspflicht ergibt sich insbesondere nicht aus den Rechtsprechungsgrundsätzen zu Rückvergütungen.

BGH 26.6.2012, IX ZR 259/11 u.a.
Der Sachverhalt:
In den vier vorliegenden Verfahren erwarben die Anleger im Februar 2007 von derselben beklagten Bank für Anlagebeträge in unterschiedlicher Höhe jeweils "Global Champion Zertifikate". Die investierten Summen lagen dabei zwischen 17.000 € und 300.000 €. Bei den Zertifikaten handelt es sich um Inhaberschuldverschreibungen der niederländischen Lehman Brothers Treasury Co. B.V. (Emittentin), deren Rückzahlung von der US-amerikanischen Lehman Brothers Holdings Inc. (Garantin) garantiert wurde.

Zeitpunkt und Höhe der Rückzahlung der Zertifikate sowie mögliche Bonuszahlungen an die Anleger i.H.v. 8,75 Prozent des angelegten Betrages sollten nach näherer Maßgabe der Zertifikatbedingungen von der Wertentwicklung dreier Aktienindizes (Dow Jones EuroSTOXX 50, Standard & Poor´s 500 sowie Nikkei 225) abhängig sein, mit denen das Zertifikat unterlegt war. In allen vier Fällen erhielt die Beklagte von der Emittentin eine Vertriebsprovision von 3,5 Prozent, die sie den Anlegern nicht offenbarte. Mit der Insolvenz der Emittentin und der Garantin im September 2008 wurden die erworbenen Zertifikate weitgehend wertlos.

Die im Wesentlichen auf Rückzahlung des Anlagebetrages (abzgl. vor der Insolvenz der Emittentin erfolgter Bonuszahlungen) gerichteten Klagen hatten in den Vorinstanzen jeweils weit überwiegenden Erfolg. In den Verfahren XI ZR 259/11 und XI ZR 316/11 nahm das Berufungsgericht an, die Beklagte schulde den Anlegern unabhängig davon Schadensersatz, ob diese die Zertifikate im Wege eines Festpreisgeschäfts, d.h. eines Kaufvertrags, von der Beklagten erworben hätten oder ob Letztere aufgrund eines Geschäftsbesorgungsvertrages für die Anleger gehandelt habe.

Im Falle eines Kommissionsvertrages sei die Bank nach den Rechtsprechungsgrundsätzen über Aufklärungspflichten bei Rückvergütungen zur Aufklärung der Anleger über die Höhe der von der Emittentin erhaltenen Vertriebsprovision verpflichtet gewesen. Bei einem Festpreisgeschäft habe die Bank auf ihre Verkäuferstellung und einen daraus folgenden Interessenkonflikt hinweisen müssen. In den Verfahren XI ZR 355/11 und XI ZR 356/11 begründete das Berufungsgericht die Pflicht der Bank zur Offenlegung der von der Emittentin gezahlten Vergütung u.a. damit, die Beklagte habe dem Kunden die Ausführung seines Auftrags im Wege des Eigenhandels verschwiegen. Außerdem stehe die von der Emittentin gezahlte Provision einer Rückvergütung gleich und die Offenlegungspflicht der Bank ergebe sich zudem aus der Auskunftspflicht des Geschäftsbesorgers bzw. Kommissionärs.

Auf die Revisionen der beklagten Bank hob der BGH alle Berufungsurteile auf und verwies die Sachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Berufungsgerichte zurück.

Die Gründe:
Mit den gegebenen Begründungen konnte ein Schadensersatzanspruch der Anleger gegen die beklagte Bank nicht bejaht werden.

Für den Fall eines Festpreisgeschäfts hat der Senat - nach Erlass der in den heute verhandelten Sachen ergangenen Berufungsurteile - durch seine Urteile vom 27.9.2011 (XI ZR 178/10 und XI ZR 182/10) entschieden, dass die beratende Bank den Kunden auf der Grundlage der insoweit gebotenen typisierenden Betrachtungsweise weder über ihre Gewinnmarge noch darüber aufklären muss, dass der Zertifikaterwerb im Wege eines Eigengeschäfts (Kaufvertrag) erfolgt. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

Für den Fall, dass dem Zertifikaterwerb ein Kommissionsvertrag zwischen den Anlegern und der Beklagten zugrunde gelegen haben sollte, besteht keine Aufklärungspflicht der Bank über eine allein von der Emittentin an sie gezahlte Vergütung. Eine solche Aufklärungspflicht ergibt sich nicht aus den Rechtsprechungsgrundsätzen zu Rückvergütungen. Denn diese Grundsätze betreffen lediglich Rückvergütungen aus offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen, deren Rückfluss an die beratende Bank dem Kunden verheimlicht wird.

In den hier zu entscheidenden Fällen wiesen die Wertpapierabrechnungen nur den an die Beklagte zu zahlenden Nominal- bzw. Kurswert der Zertifikate, aber keine von den Anlegern an die Emittentin zu entrichtenden und ohne Wissen der Anleger an die Bank zurückfließenden Posten aus. Eine Aufklärungspflicht hinsichtlich der von der Emittentin erhaltenen Provision folgt ferner weder aus einer etwaigen Herausgabepflicht des Kommissionärs noch aus dem allgemeinen Gewinninteresse der Bank.

Ob bei einem Kommissionsgeschäft eine beratungsvertragliche Aufklärungspflicht der Bank über eine vom Emittenten des Wertpapiers erhaltene Provision dann besteht, wenn der Kunde seinerseits eine Kommissionsgebühr oder einen ähnlichen Aufschlag an die Bank zahlt, bedurfte keiner Entscheidung, weil derartige Zahlungen der Kunden an die Bank nicht vorgetragen worden sind. Die Berufungsgerichte werden nunmehr den weiteren Pflichtverletzungen nachzugehen haben, die die Kläger der Beklagten im Hinblick auf die streitgegenständlichen Zertifikate, u.a. in Bezug auf deren Funktionsweise, vorwerfen.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 99 vom 26.6.2012
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