Blog-Beiträge können Nötigungsmittel darstellen und zu Schadensersatz führen
BGH v. 29.6.2021 - VI ZR 10/18
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Unternehmensberater und als solcher Mitglied des Aufsichtsrats mehrerer Aktiengesellschaften. Der Beklagte hatte im Jahr 2006 für 100.000 € Aktien einer dieser Gesellschaften erworben. Bei diesem Unternehmen handelte es sich um einen Börsenmantel ohne operatives Geschäft. Bis Ende 2014 fiel der Kurs der Aktie auf unter 0,01 €. Im Dezember 2014 beantragte der Verwaltungsrat der AG den Widerruf der Börsenzulassung (sog. Delisting). In Presseberichten wurde das Unternehmen u.a. als "Deutschlands größter Kapitalvernichter" bezeichnet.
Seit 2010 betreibt der Beklagte die Website www.aktienversen-ker.de in Form eines Blogs, zuletzt - unter voller Namensnennung des Klägers - mit dem Titel "Alles über die Firmenräuber T[...] W[...] und O[...] K[...] [Kläger]", wobei der erste Beitrag vom 8.6.2010 datiert. Ein erheblicher Teil der zahlreichen Blogbeiträge befasst sich mit dem Kläger und seinen angeblichen Fehlgriffen und Peinlichkeiten. Er wird in den Beiträgen wiederholt als "Firmenräuber", "Börsenhallodri" oder "Börsenversager" sowie "Zahlenschubser", "Bilanzverdreher" u. ä. bezeichnet.
Unter anderem mit den Behauptungen, der Beklagte habe in den Jahren 2010, 2011 und 2014 mehrfach angeboten, den Betrieb des Blogs gegen Zahlungen einzustellen, seine Berichterstattung diene ausschließlich als Nötigungsmittel im Rahmen einer Erpressung, nahm der Kläger den Beklagten auf Unterlassung in Anspruch. Außerdem verlangte er die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger denjenigen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Verbreitung der Berichterstattung auf www.aktienversenker.de entstanden ist und künftig entstehen wird.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Die Blogbeiträge befassten sich mit der Tätigkeit des Klägers als Aufsichtsratsmitglied verschiedener Aktiengesellschaften und damit mit der zur Sozialsphäre gehörenden beruflichen Tätigkeit des Klägers. Wer sich im Wirtschaftsleben betätige, setze sich in erheblichem Umfang der Kritik an seinen Leistungen aus, zu der auch die Namensnennung gehöre. Auf die Revision des Klägers hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Gründe:
Die zulässige Revision des Klägers ist sowohl hinsichtlich des Unterlassungs- als auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens begründet.
Diente der Betrieb des vorliegenden Blogs dem Beklagten (auch) als Nötigungsmittel im Rahmen einer (versuchten) Erpressung zum Nachteil des Klägers, so steht dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK zu. Mit dem Betrieb des Blogs hat der Beklagte in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers eingegriffen. Betroffen ist der Kläger durch den Betrieb des Blogs "Aktienversenker" jedenfalls in seiner Ehre, die ebenfalls Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Bereits die Bezeichnung des Klägers als "Firmenräuber" ist ansehensbeeinträchtigend. Der Eingriff ist auf der Grundlage des für die revisionsrechtliche Beurteilung maßgeblichen Sachverhalts auch rechtswidrig.
Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Beklagte mit inzwischen rechtskräftigem Urteil des AG Tiergarten vom 14.2.2018 vom Vorwurf der versuchten gewerbsmäßigen Erpressung in mehreren Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden ist. Denn weder der erkennende Senat noch das Berufungsgericht ist an im Strafverfahren getroffene Feststellungen und den dort ergangenen Freispruch gebunden. Vielmehr wird das Berufungsgericht im weiteren Verfahren das Vorliegen einer versuchten Erpressung unter Verwendung des Blogs als Nötigungsmittel nach zivilprozessualen Grundsätzen selbst zu prüfen haben.
Auch die Abweisung der auf Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten gerichteten Klage als unzulässig beruht auf einem Rechtsfehler. Vorliegend geht es nicht um reine Vermögensschäden, sondern um Schäden, die aus der vom Kläger behaupteten Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, eines sonstigen absolut geschützten Rechtsguts i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB, resultieren. Die Möglichkeit materieller Schäden reicht hier für die Annahme eines Feststellungsinteresses mithin aus. Das angefochtene Urteil war deshalb bezüglich des Hauptantrags und aller Hilfsanträge, die ohne abschlägige Entscheidung über den Hauptantrag nicht zur Entscheidung stehen, gem. § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und die Sache gem. § 563 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
BGH online
Der Kläger ist Unternehmensberater und als solcher Mitglied des Aufsichtsrats mehrerer Aktiengesellschaften. Der Beklagte hatte im Jahr 2006 für 100.000 € Aktien einer dieser Gesellschaften erworben. Bei diesem Unternehmen handelte es sich um einen Börsenmantel ohne operatives Geschäft. Bis Ende 2014 fiel der Kurs der Aktie auf unter 0,01 €. Im Dezember 2014 beantragte der Verwaltungsrat der AG den Widerruf der Börsenzulassung (sog. Delisting). In Presseberichten wurde das Unternehmen u.a. als "Deutschlands größter Kapitalvernichter" bezeichnet.
Seit 2010 betreibt der Beklagte die Website www.aktienversen-ker.de in Form eines Blogs, zuletzt - unter voller Namensnennung des Klägers - mit dem Titel "Alles über die Firmenräuber T[...] W[...] und O[...] K[...] [Kläger]", wobei der erste Beitrag vom 8.6.2010 datiert. Ein erheblicher Teil der zahlreichen Blogbeiträge befasst sich mit dem Kläger und seinen angeblichen Fehlgriffen und Peinlichkeiten. Er wird in den Beiträgen wiederholt als "Firmenräuber", "Börsenhallodri" oder "Börsenversager" sowie "Zahlenschubser", "Bilanzverdreher" u. ä. bezeichnet.
Unter anderem mit den Behauptungen, der Beklagte habe in den Jahren 2010, 2011 und 2014 mehrfach angeboten, den Betrieb des Blogs gegen Zahlungen einzustellen, seine Berichterstattung diene ausschließlich als Nötigungsmittel im Rahmen einer Erpressung, nahm der Kläger den Beklagten auf Unterlassung in Anspruch. Außerdem verlangte er die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger denjenigen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Verbreitung der Berichterstattung auf www.aktienversenker.de entstanden ist und künftig entstehen wird.
Das LG hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Die Blogbeiträge befassten sich mit der Tätigkeit des Klägers als Aufsichtsratsmitglied verschiedener Aktiengesellschaften und damit mit der zur Sozialsphäre gehörenden beruflichen Tätigkeit des Klägers. Wer sich im Wirtschaftsleben betätige, setze sich in erheblichem Umfang der Kritik an seinen Leistungen aus, zu der auch die Namensnennung gehöre. Auf die Revision des Klägers hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Gründe:
Die zulässige Revision des Klägers ist sowohl hinsichtlich des Unterlassungs- als auch hinsichtlich des Feststellungsbegehrens begründet.
Diente der Betrieb des vorliegenden Blogs dem Beklagten (auch) als Nötigungsmittel im Rahmen einer (versuchten) Erpressung zum Nachteil des Klägers, so steht dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK zu. Mit dem Betrieb des Blogs hat der Beklagte in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers eingegriffen. Betroffen ist der Kläger durch den Betrieb des Blogs "Aktienversenker" jedenfalls in seiner Ehre, die ebenfalls Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Bereits die Bezeichnung des Klägers als "Firmenräuber" ist ansehensbeeinträchtigend. Der Eingriff ist auf der Grundlage des für die revisionsrechtliche Beurteilung maßgeblichen Sachverhalts auch rechtswidrig.
Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Beklagte mit inzwischen rechtskräftigem Urteil des AG Tiergarten vom 14.2.2018 vom Vorwurf der versuchten gewerbsmäßigen Erpressung in mehreren Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden ist. Denn weder der erkennende Senat noch das Berufungsgericht ist an im Strafverfahren getroffene Feststellungen und den dort ergangenen Freispruch gebunden. Vielmehr wird das Berufungsgericht im weiteren Verfahren das Vorliegen einer versuchten Erpressung unter Verwendung des Blogs als Nötigungsmittel nach zivilprozessualen Grundsätzen selbst zu prüfen haben.
Auch die Abweisung der auf Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten gerichteten Klage als unzulässig beruht auf einem Rechtsfehler. Vorliegend geht es nicht um reine Vermögensschäden, sondern um Schäden, die aus der vom Kläger behaupteten Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, eines sonstigen absolut geschützten Rechtsguts i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB, resultieren. Die Möglichkeit materieller Schäden reicht hier für die Annahme eines Feststellungsinteresses mithin aus. Das angefochtene Urteil war deshalb bezüglich des Hauptantrags und aller Hilfsanträge, die ohne abschlägige Entscheidung über den Hauptantrag nicht zur Entscheidung stehen, gem. § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und die Sache gem. § 563 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.