24.06.2014

Bürgschaft: Sittenwidrigkeit wegen krasser Überforderung bei Folgeverträgen

Da es sich bei der Herleitung eines Zahlungsanspruchs aus mehreren selbständigen Bürgschaftsverträgen um mehrere Streitgegenstände handelt, kann wegen § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 308 Abs. 1 und § 322 Abs. 1 ZPO nicht offen bleiben, auf welcher vertraglichen Vereinbarung zwischen Gläubiger und Bürge und auf welcher Hauptschuld die Verurteilung beruht. Wertangaben des Bürgen in einer in zeitlichem Zusammenhang mit dem Abschluss des Bürgschaftsvertrages erteilten Selbstauskunft, die seine objektiv krasse finanzielle Überforderung nicht erkennen lassen, widerlegen die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des Gläubigers nicht ohne weiteres.

BGH 1.4.2014, XI ZR 276/13
Der Sachverhalt:
Die Beklagte hatte im Januar 2002, Juli 2002 und September 2003 Erklärungen über "betragsmäßig beschränkte Bürgschaften" unterschrieben, in denen sie sich zunächst i.H.v. 41.000 € und sodann i.H.v. 45.000 € für Forderungen der Klägerin gegen ihren Lebensgefährten verbürgte. Im November 2005 unterschrieb sie ein weiteres Formular über eine "betragsmäßig beschränkte Bürgschaft", das einen Höchstbetrag von 40.000 € auswies. Der Erklärung der Beklagten lag eine Selbstauskunft aus Oktober 2005 zugrunde, in der sie u.a. ihr monatliches Nettoarbeitseinkommen mit 322 €, monatliche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit knapp 945 €, den Wert eines Wohngrundstücks von ca. 225.000 € und die Summe ihrer Verbindlichkeiten gegenüber einer anderen Bank mit etwas über 171.000 € angegeben hatte.

Nach einer letzten Bürgschaftserklärung im Februar 2007 kündigte die Klägerin im Januar 2012 die "Geschäftsverbindung" zum inzwischen insolventen Lebensgefährten der Beklagten und nahm sie anschließend als Bürgin in Anspruch. Das LG gab der auf Zahlung von 40.000 € gerichteten Klage statt, wobei es die Verpflichtung der Beklagten aus dem Bürgschaftsvertrag von November 2005 hergeleitet hatte. Die Berufung der Beklagten vor dem OLG blieb erfolglos. Auf die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hob der BGH den vorbezeichnete Beschluss auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Gründe:
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes beruhte auf der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG, weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass das OLG bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte. Das war der Fall, weil es maßgeblich darauf abgestellt hatte, die Klägerin habe bis Ende Juni 2012 keinen Anlass gehabt, die Leistungsfähigkeit der Beklagten neu und anders zu beurteilen. Da es sich bei der Herleitung eines Zahlungsanspruchs aus mehreren selbständigen Bürgschaftsverträgen um mehrere Streitgegenstände handelte, konnte wegen § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 308 Abs. 1 und § 322 Abs. 1 ZPO nicht offen bleiben, auf welcher vertraglichen Vereinbarung zwischen Gläubiger und Bürge und auf welcher Hauptschuld die Verurteilung beruhte.

Sollte das Berufungsgericht feststellen, dass einzelne der zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarungen (lediglich) Änderungsverträge zum Gegenstand hatten, wird es die Untersuchung der Frage, ob der Bürgschaftsvertrag wegen krasser finanzieller Überforderung der Beklagten sittenwidrig und damit nichtig ist, auf den Ausgangsvertrag bezogen zu beantworten haben, sofern die Änderungsverträge lediglich eine Anpassung der Bürgschaft an den Umfang der Hauptschuld und nicht den Umfang der Bürgschaft selbst zum Gegenstand hatten. Bei der Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB wird zu bedenken sein, dass eine krasse finanzielle Überforderung ausscheidet, wenn die Bürgenschuld durch den Wert eines dem Bürgen gehörenden Grundstücks abgedeckt ist.

Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist nur der im Einzelfall effektiv verfügbare Sicherungswert des Grundeigentums in Ansatz zu bringen. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf dem Grundeigentum ruhende dingliche Belastungen sind wertmindernd zu berücksichtigen, wobei ausgehend von diesem Zeitpunkt der Umfang der dinglichen Belastung bei Eintritt des Sicherungsfalls zu prognostizieren ist. Darlegungs- und beweispflichtig dafür, die von ihr übernommene Bürgschaft habe bei Stellung der Personalsicherheit ihre Leistungsfähigkeit bei weitem überschritten, ist die Beklagte. Wertangaben des Bürgen in einer in zeitlichem Zusammenhang mit dem Abschluss des Bürgschaftsvertrages erteilten Selbstauskunft, die seine objektiv krasse finanzielle Überforderung nicht erkennen lassen, widerlegen die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des Gläubigers nicht ohne weiteres.

Den (subjektiven) Vorwurf der Sittenwidrigkeit räumen sie nur aus, wenn sie einer sorgfältigen Überprüfung des Gläubigers standhalten. Das bedarf für die Selbstauskunft aus Oktober 2005 näherer Überprüfung, da sie auf exakte Angaben verzichtete und damit schon aus sich heraus zu Zweifeln an ihrer Verlässlichkeit Anlass gab. Sofern das Berufungsgericht dahin gelangen sollte, die Bürgenschuld sei durch den Wert des der Beklagten gehörenden Grundstücks nicht abgedeckt, wird es sich mit der Frage zu befassen haben, ob die Beklagte bei Abschluss des vom Berufungsgericht als maßgeblich ermittelten Bürgschaftsvertrages (wenigstens) in der Lage war, die Zinslast aus dem pfändbaren Teil ihres Einkommens, bei dessen Ermittlung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit zu berücksichtigen sind, bei Eintritt des Sicherungsfalles dauerhaft zu tragen.

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