Darlehenswiderruf: Darlehensnehmer sind Mitgläubiger der aus dem Rückgewährschuldverhältnis resultierenden Ansprüche
BGH 10.10.2017, XI ZR 449/16Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss von zwei Verbraucherdarlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen der Kläger. Die Kläger schlossen am 11.4.2006 mit der Beklagten zwecks Finanzierung einer Immobilie zwei Darlehensverträge über je 110.000 €. Der Darlehensvertrag zur Nr. 01 beinhaltete die Abrede eines für 15 Jahre festen Zinssatzes von nominal 4,41 %. Der andere Darlehensvertrag, der auf die Nr. 02 einen Betrag von 15.400 € und auf die Nr. 03 einen Betrag von 94.600 € verteilte, sah zunächst eine variable Verzinsung nach Maßgabe des Drei-Monats-EURIBOR zzgl. einer Marge vor. Ab dem Jahr 2007 zahlten die Kläger aufgrund einer Konditionenanpassung auch insoweit einen festen Zinssatz. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten diente eine Buchgrundschuld an dem Grundstück der Kläger über 220.000 €. Die Beklagte belehrte die Kläger bei Abschluss der Darlehensverträge im April 2006 über ihr Widerrufsrecht jeweils gleichlautend.
Die Kläger verkauften das Grundstück im Juni 2013 an einen Dritten. Sie vereinbarten mit dem Käufer, dass der Eigentumsübergang - soweit hier von Interesse - "frei von im Grundbuch eingetragenen Rechten und Lasten" erfolgen solle. Der beurkundende Notar forderte die Beklagte am 19.6.2013 zur Erteilung einer Löschungsbewilligung auf, die die Beklagte in öffentlich beglaubigter Form mit Schreiben vom 6.8.2013 übermittelte. Die Kläger lösten die Restdarlehenssummen im September 2013 ab. Die Beklagte forderte und die Kläger zahlten Aufhebungsentgelte i.H.v. rd. 6.900 € und 7.700 €, ein Bearbeitungsentgelt i.H.v. 150 € und Kosten der öffentlichen Beglaubigung der Löschungsbewilligung i.H.v. rd. 130 €. Die Kläger widerriefen mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 20.6.2014 ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen und forderten die Beklagte zur Zahlung bis zum 30.6.2014 auf.
Das LG wies die u.a. auf Rückzahlung der Aufhebungsentgelte, des Bearbeitungsentgelts und der Kosten der öffentlichen Beglaubigung gerichtete Klage ab. Dagegen legten die Kläger Berufung ein. Die Beklagte rechnete während des Berufungsverfahrens hilfsweise mit einem bestrittenen (eigenen) Anspruch auf "Nutzungsersatz" auf. Das OLG gab der Klage - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - bis auf das Freistellungsbegehren statt. In den Gründen erkannte es dahin, der Beklagten stehe der hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Anspruch nicht zu. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Die Ausführungen des OLG halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
Richtig erkannt hat das OLG u.a., dass den Klägern gem. § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zukam, ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2 BGB zu widerrufen. Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des OLG, die Widerrufsfrist sei bei Erklärung des Widerrufs am 20.6.2014 noch nicht abgelaufen gewesen. Die den Klägern erteilten Widerrufsbelehrungen informierten mittels des Einschubs "frühestens" unzureichend deutlich über den Beginn der Widerrufsfrist. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gem. Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, zwischen dem 8.12.2004 und dem 31.3.2008 geltenden Fassung kann sich die Beklagte, die unter der Überschrift "Finanzierte Geschäfte" den Gestaltungshinweis 9 nicht vollständig umgesetzt hat, nicht berufen.
Allerdings halten u.a. die Erwägungen, mit denen das OLG eine Verwirkung des Widerrufsrechts verneint hat, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Dass die Beklagte davon ausging oder ausgehen musste, die Kläger hätten von ihrem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schloss eine Verwirkung nicht aus. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Beklagte "die Situation selbst herbeigeführt hat", weil sie eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erteilt hat. Gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen - wie hier - kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren. Das gilt in besonderem Maße, wenn die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers zurückgeht.
Für das weitere Verfahren ist darauf hinzuweisen, dass das OLG im Anschluss an den korrekt formulierten Antrag der Kläger richtig davon ausgegangen ist, die Kläger seien - das Bestehen eines Zahlungsanspruchs unterstellt - Mitgläubiger nach § 432 BGB und nicht, was das OLG ohnehin wegen § 308 Abs. 1 ZPO nicht ausurteilen dürfte, Gesamtgläubiger nach § 428 BGB. Mitgläubigerschaft ist die Regel, Gesamtgläubigerschaft die Ausnahme. Das gilt auch im Anwendungsbereich der §§ 346 ff. BGB. Zwar konnte jeder der Kläger seine auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichtete Willenserklärung gesondert widerrufen. Sowohl der - hier erklärte - Widerruf beider Kläger als auch der Widerruf nur eines der Kläger - dann nach § 139 BGB - führen aber dazu, dass sich die Darlehensverträge im Verhältnis zu sämtlichen Klägern jeweils in ein (einheitliches) Rückgewährschuldverhältnis umwandeln. Aus diesen der Zahl der Darlehensverträge entsprechenden Rückgewährschuldverhältnissen resultiert (jeweils) eine (einfache) Forderungsgemeinschaft, die die Kläger zu Mitgläubigern macht.
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