31.07.2018

Das Notgeschäftsführungsrecht analog § 744 Abs. 2 BGB greift auch bei Gefahren für die Gesellschaft selbst

Das Notgeschäftsführungsrecht analog § 744 Abs. 2 BGB erfasst über dessen Wortlaut hinaus nicht nur Maßnahmen zur Erhaltung eines bestimmten Gegenstands des Gesamthandvermögens, sondern greift auch dann ein, wenn der Gesellschaft selbst eine akute Gefahr droht und zu ihrer Abwendung rasches Handeln erforderlich ist. Rasches Handeln ist nicht notwendig, wenn es dem Gesellschafter möglich ist, durch Inanspruchnahme seiner Mitgesellschafter eine Mitwirkung an der Abwendung der Gefahr zu erreichen.

BGH 26.6.2018, II ZR 205/16
Der Sachverhalt:

Der Kläger war Gesellschafter der Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die ihrerseits alleinige Gesellschafterin der Beklagten war. 2007 wurde das Stammkapital der Beklagten erhöht. Den neuen Kapitalanteil übernahm der Kläger, der seine Anwaltskanzlei in die Beklagte als Sachleistung einbrachte. Sogleich übertrug der Kläger seinen Geschäftsanteil an der Beklagten an die GbR, die wiederum den Kläger als Gesellschafter aufnahm. Er wurde zum Geschäftsführer der Beklagten bestellt und schloss mit ihre einen Geschäftsführerdienstvertrag. Der Gesellschaftsvertrag der GbR enthielt eine Schiedsabrede, die auch auf Streitigkeiten innerhalb der Beklagten Anwendung finden sollte.

Nach einiger Zeit traten Konflikte unter den Gesellschaftern auf. Die Mitgesellschafter des Kläger beriefen eine Gesellschafterversammlung der GbR ein, um die sofortige Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten, die außerordentliche Kündigung des Geschäftsführerdienstvertrags, die Nieserlegung bestimmter Mandate, die Prüfung und Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Beklagten bzw. der GbR gegenüber dem Kläger und den Ausschluss des Klägers aus wichtigem Grund aus der GbR zu beschließen. Der Kläger erwirkte zunächst eine einstweilige Verfügung, die es den Gesellschaftern untersagte, die Beschlüsse zu fassen. Schließlich fassten sie diese aber und bestätigten sie.

Der Kläger focht die Beschlüsse der GbR erfolgreich im schiedsrichterlichen Verfahren an. Sie wurden für nicht erklärt. Gegen den Aufhebungsantrag der Gesellschafter ist noch nicht entschieden worden. Der Kläger begehrte, die Nichtigkeit der Beschlüsse festzustellen, hilfsweise sie für nichtig zu erklären. Das LG wies die Klage ab. Die dagegen gerichtete Berufung hatte nur hinsichtlich der Hilfsanträge Erfolg. Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hatte Erfolg.

Die Gründe:

Der Kläger ist nicht prozessführungsbefugt für die mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Beschlussanfechtungsklage. Im Gegensatz zur Ansicht des Berufungsgerichts ergibt sich diese nicht aus § 744 Abs. 2 BGB analog, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Das Notgeschäftsführungsrecht analog § 744 Abs. 2 BGB erfasst bei einer GbR über den Wortlaut hinaus nicht nur Maßnahmen zur Erhaltung eines bestimmten Gegenstands des Gesamthandvermögens, sondern greift auch dann ein, wenn der Gesellschaft selbst eine akute Gefahr droht und zu ihrer Abwendung rasches Handeln erforderlich ist. Dies kann grundsätzlich auch die Erhebung einer gesellschaftsrechtlichen Beschlussanfechtungsklage umfassen. Das Notgeschäftsführungsrecht berechtigt den Notgeschäftsführer zur Wahrnehmung der Rechte im eigenen Namen und damit verleiht es auch eine gesetzliche Prozessführungsbefugnis.

Aber die im Streitfall angefochtenen Beschlüsse stellen keine Gefahr für die GbR dar. Nur auf deren Interesse ist abzustellen. Die Wahrung eigener Interessen des Notgeschäftsführenden gehört nicht dazu. Die kurze Anfechtungsfrist gem. § 246 Abs. 1 AktG analog begründet per se noch keine Gefahr für die GbR. Durch die Beschlüsse der Beklagten wird die GbR nicht in ihrer Rechtsstellung betroffen. Allein die Möglichkeit, dass die Beschlüsse objektiv rechtswidrig sein könnten, begründet ebenso keine Gefahr für die GbR.Auch andere Gefahren sind nicht ersichtlich.

Daneben ist auch die Notwendigkeit raschen Handels als weitere Voraussetzung des § 744 Abs. 2 BGB analog nicht gegeben. Eine Notgeschäftsführung scheidet aus, wenn es dem Gesellschafter möglich ist, durch Inanspruchnahme seiner Mitgesellschafter eine Mitwirkung an der Abwendung der Gefahren zu erreichen. Im Streitfall könnte die GbR die Beschlüsse einfach durch neue Beschlussfassung aufheben und damit deren Wirkung beseitigen.

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