Deckelung von Filesharing-Abmahnkosten
BGH v. 1.9.2022 - I ZR 108/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt den im Tatzeitraum 13-jährigen Beklagten wegen einer Urheberrechtsverletzung auf Schadensersatz in Anspruch. Sie hat die ausschließlichen Nutzungsrechte an dem Computerspiel "Dead Island - Riptide" inne und macht geltend, der Beklagte habe im Zeitraum vom 4.2.2014 bis zum 16.2.2014 zu insgesamt 26 im Einzelnen benannten Zeitpunkten unerlaubt Dateien mit diesem Computerspiel oder Teilen davon in einer Tauschbörse ("Peer-to-Peer-Network") über den Internetanschluss seiner Mutter (Anschlussinhaberin) öffentlich zum Herunterladen angeboten.
Nach Abmahnung der Anschlussinhaberin unter Fristsetzung bis 5.5.2014 nahm die Klägerin zunächst diese vor dem AG auf Erstattung der Kosten der Abmahnung von rd. 1.000 € - errechnet aus einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach einem Gegenstandswert von 20.000 € zzgl. Auslagenpauschale - und Zahlung eines Teilschadensersatzes für das unerlaubte öffentliche Zugänglichmachen des Computerspiels von 900 € in Anspruch. In der Klageerwiderung benannte die Anschlussinhaberin ihren Sohn, den Beklagten, als Täter der Urheberrechtsverletzung. Daraufhin erweiterte die Klägerin ihre Klage auf den Beklagten und nahm diesen zusätzlich auf Unterlassung in Anspruch. Das AG trennte das gegen den Beklagten gerichtete Verfahren ab und verwies es an das LG. Die Klägerin nahm ihren Unterlassungsantrag mit Blick auf eine zwischenzeitlich vom Beklagten abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung zurück.
Das LG verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 184 € nebst Zinsen seit dem 9.2.2019 als Gesamtschuldner mit der gesondert verklagten Anschlussinhaberin und wies die weitergehende Klage ab. Hiervon entfallen 124 € - errechnet aus einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach einem Gegenstandswert von 1.000 € zzgl. Auslagenpauschale - auf Schadensersatz für die gegen die Anschlussinhaberin gerichtete Abmahnung. Das OLG erhöhte den für die Urheberrechtsverletzung zu zahlenden Schadensersatz von 60 € auf 900 €. Im Übrigen blieb die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Zahlung weiterer rd. 860 € für die gegen die Anschlussinhaberin gerichtete Abmahnung nebst Zinsen hieraus seit 6.5.2014 weiter. Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH entschied durch Urteil vom 28.4.2022 - C-559/20.
Die Revision der Klägerin hatte daraufhin keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Revision greift ohne Erfolg an, dass das OLG den Schadensersatzanspruch der Klägerin für die Kosten der Abmahnung der Anschlussinhaberin in entsprechender Anwendung des § 97a Abs. 3 Satz 2 bis 4 UrhG auf 124 € begrenzt hat.
Nach § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG beschränkt sich der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen hinsichtlich der gesetzlichen Gebühren auf Gebühren nach einem Gegenstandswert für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch von 1.000 €, wenn der Abgemahnte (Nr. 1) eine natürliche Person ist, die nach diesem Gesetz geschützte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschützte Schutzgegenstände nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwendet, und (Nr. 2) nicht bereits wegen eines Anspruchs des Abmahnenden durch Vertrag, auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet ist. Der genannte Wert ist gem. § 97a Abs. 3 Satz 3 UrhG auch dann maßgeblich, wenn ein Unterlassungs- und ein Beseitigungsanspruch nebeneinander geltend gemacht werden. Nach § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG gilt dies nicht, wenn der genannte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist.
Der Schadensersatzanspruch des Rechtsinhabers gegen den Rechtsverletzer nach § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG reicht mit Blick auf die Kosten der Abmahnung jedenfalls nicht weiter als der Aufwendungsersatzanspruch nach § 97a Abs. 3 Satz 1 UrhG gegen den Anschlussinhaber. Die Voraussetzungen des § 97a Abs. 3 UrhG müssen daher auch dann erfüllt sein, wenn der Rechtsinhaber vom Rechtsverletzer die Kosten für die Abmahnung des mit diesem nicht identischen Anschlussinhabers als Schadensersatz verlangt. Insbesondere die in § 97a Abs. 3 Satz 2 bis 4 UrhG enthaltenen Vorschriften zu den erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren sind entsprechend anwendbar. Dies steht mit dem Unionsrecht im Einklang.
Die Regelung des § 97a Abs. 3 Satz 2 bis 4 UrhG, nach der für die Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen in einer Abmahnung unter den in § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG genannten Voraussetzungen nur Ersatz der erforderlichen Aufwendungen hinsichtlich der gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren nach einem Gegenstandswert von 1.000 € verlangt werden kann, wenn der genannte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalles nicht unbillig ist, steht mit dem Unionsrecht - insbesondere mit Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums - im Einklang (Anschluss an EuGH, Urteil vom 28.4.2022 - C559/20). Die Billigkeitsklausel des § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG bedarf dahingehend der unionsrechtskonformen Auslegung, dass die darüber hinaus zu berücksichtigenden ("besonderen") Umstände des Einzelfalls die bereits nach § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG tatbestandlich zu berücksichtigenden Merkmale in der Gesamtbetrachtung überwiegen müssen, um von der Begrenzung des Gegenstandswerts absehen zu können.
Auch die entsprechende Anwendung der so auszulegenden Regelung des § 97a Abs. 3 Satz 2 bis 4 UrhG auf den Schadensersatzanspruch nach § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG ist unionsrechtskonform. Zwar richten sich die Anforderungen an den von den Mitgliedstaaten vorzusehenden Schadensersatzanspruch nicht nach Art. 14, sondern Art. 13 der Richtlinie 2004/48/EG. Zur Abgrenzung der beiden Vorschriften hat der EuGH aber entschieden, dass unter die - hier in Rede stehenden - sonstigen Kosten i.S.d. Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG nur Kosten fallen, die unmittelbar und eng mit dem betreffenden Gerichtsverfahren zusammenhängen. Das ist vorliegend der Fall, weil die Abmahnung des Anschlussinhabers das gebotene Mittel der Sachverhaltsaufklärung darstellt und ein außergerichtliches sowie ggf. gerichtliches Vorgehen gegen den Rechtsverletzer ermöglichen soll.
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Kommentierung | URHG
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1. Auflage 2020
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Die Klägerin nimmt den im Tatzeitraum 13-jährigen Beklagten wegen einer Urheberrechtsverletzung auf Schadensersatz in Anspruch. Sie hat die ausschließlichen Nutzungsrechte an dem Computerspiel "Dead Island - Riptide" inne und macht geltend, der Beklagte habe im Zeitraum vom 4.2.2014 bis zum 16.2.2014 zu insgesamt 26 im Einzelnen benannten Zeitpunkten unerlaubt Dateien mit diesem Computerspiel oder Teilen davon in einer Tauschbörse ("Peer-to-Peer-Network") über den Internetanschluss seiner Mutter (Anschlussinhaberin) öffentlich zum Herunterladen angeboten.
Nach Abmahnung der Anschlussinhaberin unter Fristsetzung bis 5.5.2014 nahm die Klägerin zunächst diese vor dem AG auf Erstattung der Kosten der Abmahnung von rd. 1.000 € - errechnet aus einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach einem Gegenstandswert von 20.000 € zzgl. Auslagenpauschale - und Zahlung eines Teilschadensersatzes für das unerlaubte öffentliche Zugänglichmachen des Computerspiels von 900 € in Anspruch. In der Klageerwiderung benannte die Anschlussinhaberin ihren Sohn, den Beklagten, als Täter der Urheberrechtsverletzung. Daraufhin erweiterte die Klägerin ihre Klage auf den Beklagten und nahm diesen zusätzlich auf Unterlassung in Anspruch. Das AG trennte das gegen den Beklagten gerichtete Verfahren ab und verwies es an das LG. Die Klägerin nahm ihren Unterlassungsantrag mit Blick auf eine zwischenzeitlich vom Beklagten abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung zurück.
Das LG verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 184 € nebst Zinsen seit dem 9.2.2019 als Gesamtschuldner mit der gesondert verklagten Anschlussinhaberin und wies die weitergehende Klage ab. Hiervon entfallen 124 € - errechnet aus einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach einem Gegenstandswert von 1.000 € zzgl. Auslagenpauschale - auf Schadensersatz für die gegen die Anschlussinhaberin gerichtete Abmahnung. Das OLG erhöhte den für die Urheberrechtsverletzung zu zahlenden Schadensersatz von 60 € auf 900 €. Im Übrigen blieb die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Zahlung weiterer rd. 860 € für die gegen die Anschlussinhaberin gerichtete Abmahnung nebst Zinsen hieraus seit 6.5.2014 weiter. Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH entschied durch Urteil vom 28.4.2022 - C-559/20.
Die Revision der Klägerin hatte daraufhin keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Revision greift ohne Erfolg an, dass das OLG den Schadensersatzanspruch der Klägerin für die Kosten der Abmahnung der Anschlussinhaberin in entsprechender Anwendung des § 97a Abs. 3 Satz 2 bis 4 UrhG auf 124 € begrenzt hat.
Nach § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG beschränkt sich der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen hinsichtlich der gesetzlichen Gebühren auf Gebühren nach einem Gegenstandswert für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch von 1.000 €, wenn der Abgemahnte (Nr. 1) eine natürliche Person ist, die nach diesem Gesetz geschützte Werke oder andere nach diesem Gesetz geschützte Schutzgegenstände nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwendet, und (Nr. 2) nicht bereits wegen eines Anspruchs des Abmahnenden durch Vertrag, auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet ist. Der genannte Wert ist gem. § 97a Abs. 3 Satz 3 UrhG auch dann maßgeblich, wenn ein Unterlassungs- und ein Beseitigungsanspruch nebeneinander geltend gemacht werden. Nach § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG gilt dies nicht, wenn der genannte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig ist.
Der Schadensersatzanspruch des Rechtsinhabers gegen den Rechtsverletzer nach § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG reicht mit Blick auf die Kosten der Abmahnung jedenfalls nicht weiter als der Aufwendungsersatzanspruch nach § 97a Abs. 3 Satz 1 UrhG gegen den Anschlussinhaber. Die Voraussetzungen des § 97a Abs. 3 UrhG müssen daher auch dann erfüllt sein, wenn der Rechtsinhaber vom Rechtsverletzer die Kosten für die Abmahnung des mit diesem nicht identischen Anschlussinhabers als Schadensersatz verlangt. Insbesondere die in § 97a Abs. 3 Satz 2 bis 4 UrhG enthaltenen Vorschriften zu den erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren sind entsprechend anwendbar. Dies steht mit dem Unionsrecht im Einklang.
Die Regelung des § 97a Abs. 3 Satz 2 bis 4 UrhG, nach der für die Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen in einer Abmahnung unter den in § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG genannten Voraussetzungen nur Ersatz der erforderlichen Aufwendungen hinsichtlich der gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren nach einem Gegenstandswert von 1.000 € verlangt werden kann, wenn der genannte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalles nicht unbillig ist, steht mit dem Unionsrecht - insbesondere mit Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums - im Einklang (Anschluss an EuGH, Urteil vom 28.4.2022 - C559/20). Die Billigkeitsklausel des § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG bedarf dahingehend der unionsrechtskonformen Auslegung, dass die darüber hinaus zu berücksichtigenden ("besonderen") Umstände des Einzelfalls die bereits nach § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG tatbestandlich zu berücksichtigenden Merkmale in der Gesamtbetrachtung überwiegen müssen, um von der Begrenzung des Gegenstandswerts absehen zu können.
Auch die entsprechende Anwendung der so auszulegenden Regelung des § 97a Abs. 3 Satz 2 bis 4 UrhG auf den Schadensersatzanspruch nach § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG ist unionsrechtskonform. Zwar richten sich die Anforderungen an den von den Mitgliedstaaten vorzusehenden Schadensersatzanspruch nicht nach Art. 14, sondern Art. 13 der Richtlinie 2004/48/EG. Zur Abgrenzung der beiden Vorschriften hat der EuGH aber entschieden, dass unter die - hier in Rede stehenden - sonstigen Kosten i.S.d. Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG nur Kosten fallen, die unmittelbar und eng mit dem betreffenden Gerichtsverfahren zusammenhängen. Das ist vorliegend der Fall, weil die Abmahnung des Anschlussinhabers das gebotene Mittel der Sachverhaltsaufklärung darstellt und ein außergerichtliches sowie ggf. gerichtliches Vorgehen gegen den Rechtsverletzer ermöglichen soll.
Rechtsprechung:
EuGH: Filesharing-Abmahnkosten dürfen weiterhin gedeckelt werden
EuGH vom 28.04.2022 - C-559/20
CR 2022, 452
Kommentierung | URHG
§ 97a Abmahnung
Scholz in Schuster/Grützmacher (Hrsg.), IT-Recht Kommentar,
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