22.09.2011

Deutschland kann Weiterverbreitung von - von Dänemark aus ausgestrahlten - Sendungen in kurdischer Sprache nicht verhindern

Deutschland kann die Weiterverbreitung von Sendungen in kurdischer Sprache, die Roj TV von Dänemark aus ausstrahlt, in seinem Hoheitsgebiet nicht verhindern. Soweit die Weiterverbreitung dieser Sendungen nicht verhindert wird, kann Deutschland jedoch die Betätigung von Roj TV und von Mesopotamia Broadcast als Vereine in seinem Hoheitsgebiet verbieten.

EuGH 22.9.2011, C-244/10 u.a.
Der Sachverhalt:
Die dänische Gesellschaft Mesopotamia Broadcast hält in Dänemark mehrere Fernsehlizenzen. Sie betreibt den Fernsehsender Roj TV, ebenfalls eine dänische Gesellschaft. Letzterer strahlt über Satellit in ganz Europa und im Nahen Osten ein Programm in vorwiegend kurdischer Sprache aus und lässt Sendebeiträge u.a. durch eine in Deutschland ansässige Gesellschaft produzieren.

Im Jahr 2008 untersagten die deutschen Behörden Mesopotamia Broadcast, sich durch Roj TV in Deutschland zu betätigen, mit der Begründung, die Sendungen von Roj TV richteten sich gegen den "Gedanken der Völkerverständigung", wie er im deutschen Verfassungsrecht festgelegt sei. Der Verbotsgrund beruhe darauf, dass die Programme von Roj TV dazu anstifteten, die Interessengegensätze zwischen Kurden und Türken - auch in Deutschland - unter Anwendung von Gewalt zu entscheiden, und die Bemühungen der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans, von der EU als terroristische Organisation eingestuft) unterstützten, junge Kurden für den Guerillakampf gegen die Republik Türkei zu rekrutieren.

Die beiden Gesellschaften beantragten unter Berufung darauf, dass aufgrund der Richtlinie allein Dänemark ihre Tätigkeit kontrollieren dürfe, in Deutschland gerichtlich die Aufhebung dieses Verbots. Das BVerwG stellt dem EuGH in diesem Zusammenhang die Frage, ob die deutschen Behörden berechtigt waren, die Tätigkeit von Mesopotamia Broadcast und von Roj TV zu verbieten. Das BVerwG möchte wissen, ob der Begriff der Aufstachelung zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität, dessen Auslegung im vorliegenden Fall den dänischen Behörden vorbehalten ist, auch Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung umfasst.

Die Gründe:
Die gegenüber Mesopotamia Broadcast und Roj TV getroffenen Maßnahmen stellen grundsätzlich kein Hindernis für die Weiterverbreitung der durch Roj TV von Dänemark aus ausgestrahlten Programme dar. Gleichwohl hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die konkreten Wirkungen, die sich aus der Verbotsverfügung ergeben, nicht in der Praxis die Weiterverbreitung dieser Programme in Deutschland verhindern.

Der Begriff der Aufstachelung zu Hass wurde mit dem Ziel in die Richtlinie 89/552/EWG ("Fernsehen ohne Grenzen") aufgenommen, jegliche menschenverachtende Ideologie, insbes. Bestrebungen, Gewalt durch Terroranschläge gegen eine bestimmte Personengruppe zu verherrlichen, zu verhindern. Nach Ansicht des BVerwG tragen Mesopotamia Broadcast und Roj TV dazu bei, die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen und kurdischen Volkszugehörigen in der Türkei anzuheizen und die Spannungen zwischen den in Deutschland lebenden Türken und Kurden zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund fällt das Verhalten von Mesopotamia Broadcast und von Roj TV unter den Begriff der Aufstachelung zu Hass.

Allerdings sind im vorliegenden Fall allein die dänischen Behörden dafür zuständig, zu prüfen, ob dieses Verhalten tatsächlich eine Aufstachelung zu Hass darstellt, und dafür zu sorgen, dass in den Sendungen von Roj TV eine solche Aufstachelung nicht enthalten ist. Die Mitgliedstaaten können Rechtsvorschriften erlassen, die der öffentlichen Ordnung dienen und nicht speziell die Ausstrahlung und Verbreitung von Programmen betreffen. Hingegen sind die Mitgliedstaaten nicht berechtigt, die Weiterverbreitung von Sendungen aus einem anderen Mitgliedstaat in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken.

Die angefochtenen Maßnahmen sollen nach den von der deutschen Regierung übermittelten Informationen nicht die Weiterverbreitung der von Roj TV veranstalteten Fernsehsendungen in Deutschland verhindern, sondern die Tätigkeit dieses Fernsehsenders und von Mesopotamia Broadcast in ihrer Eigenschaft als Vereine verbieten. Vor diesem Hintergrund sind der Empfang und die private Nutzung des Programms von Roj TV in Deutschland nicht verboten und tatsächlich weiterhin möglich. Allerdings darf sich Roj TV als verbotener Verein in Deutschland nicht mehr betätigen, und auch eine zu seinen Gunsten in Deutschland erfolgende Betätigung (z.B. Produktion von Sendungen) ist verboten.

Hintergrund:
Die Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen" soll die Beschränkungen der Freiheit, innerhalb der Union Fernsehsendungen auszustrahlen, aufheben. Die Richtlinie bestimmt, dass die Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, für die Rechtmäßigkeit der Tätigkeit der in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Fernsehveranstalter zu sorgen. Sie haben insbes. zu gewährleisten, dass die Sendungen nicht zu Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität aufstacheln.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 99 vom 22.9.2011
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