Dieselskandal: Kein Anspruch auf Ersatz weiterer möglicher Vermögensnachteile neben dem Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens
BGH v. 16.10.2023 - VIa ZR 37/21
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kfz auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin erwarb im Dezember 2015 von der Beklagten einen gebrauchten Mercedes-Benz C 200 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug kommt eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung. Es ist nicht von einem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) betroffen.
Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin Zahlung i.H.v. 19.250 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung. Sie begehrte außerdem die Feststellung der Ersatzpflicht für darüberhinausgehende Schäden sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin zuletzt nach teilweiser Rücknahme des Rechtsmittels ihre Anträge weiter, soweit sie ihre Ansprüche auf eine deliktische Schädigung durch die Beklagte stützt. Der BGH hob das Urteil des OLG auf, und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Revision wendet sich mit Erfolg dagegen, dass das OLG eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist.
Das OLG hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sog. "großen" Schadensersatzes verneint. Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann. Demzufolge hat das OLG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
Das Berufungsurteil war daher Umfang aufzuheben, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt. Das OLG hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Die Sache war nunmehr zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das OLG wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26.6.2023 die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie ggf. zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Das OLG wird zu beachten haben, dass auf der Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV mögliche künftige Vermögensnachteile infolge der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung bereits bei der Bemessung des Differenzschadens zu berücksichtigen und deshalb nicht gesondert ersatzfähig sind. Dem Berufungsantrag zu 2) auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden wird das OLG daher nur entsprechen können, wenn es sonstige Tatsachen feststellen sollte, aufgrund derer die Beklagte nach §§ 826, 31 BGB haftet.
Mehr zum Thema:
Rechtsprechung:
Zum Differenzschaden in Dieselverfahren
BGH vom 20.07.2023 - III ZR 267/20
ZIP 2023, 1903
ZIP0059108
Rechtsprechung:
Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB bei Nachweis einer unzulässigen Abschalteinrichtung ("Diesel-Skandal")
BGH vom 26.06.2023 - VIA ZR 335/21
ZIP 2023, 1421
ZIP0056882
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Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kfz auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin erwarb im Dezember 2015 von der Beklagten einen gebrauchten Mercedes-Benz C 200 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug kommt eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung. Es ist nicht von einem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) betroffen.
Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin Zahlung i.H.v. 19.250 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung. Sie begehrte außerdem die Feststellung der Ersatzpflicht für darüberhinausgehende Schäden sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin zuletzt nach teilweiser Rücknahme des Rechtsmittels ihre Anträge weiter, soweit sie ihre Ansprüche auf eine deliktische Schädigung durch die Beklagte stützt. Der BGH hob das Urteil des OLG auf, und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Die Revision wendet sich mit Erfolg dagegen, dass das OLG eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist.
Das OLG hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sog. "großen" Schadensersatzes verneint. Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann. Demzufolge hat das OLG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
Das Berufungsurteil war daher Umfang aufzuheben, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt. Das OLG hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Die Sache war nunmehr zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das OLG wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26.6.2023 die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie ggf. zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Das OLG wird zu beachten haben, dass auf der Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV mögliche künftige Vermögensnachteile infolge der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung bereits bei der Bemessung des Differenzschadens zu berücksichtigen und deshalb nicht gesondert ersatzfähig sind. Dem Berufungsantrag zu 2) auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden wird das OLG daher nur entsprechen können, wenn es sonstige Tatsachen feststellen sollte, aufgrund derer die Beklagte nach §§ 826, 31 BGB haftet.
Rechtsprechung:
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ZIP 2023, 1903
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ZIP0056882
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