Dieselskandal: Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts ohne Einfluss auf Erwerbskausalität
BGH v. 7.11.2022 - VIa ZR 325/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die Beklagte zu 2) wegen der Verwendung einer Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch. Aufgrund eines Kaufvertrags vom 19.12.2016 erwarb der Kläger bei einem Händler, der Beklagten zu 1), einen gebrauchten VW Touareg 3.0 V6 TDI mit einer Laufleistung von rd. 25.000 km. Die Beklagte zu 2) hatte den im Fahrzeug eingesetzten Motor hergestellt. Die entsprechende Typgenehmigung war nach Maßgabe der Abgasnorm Euro 6 erteilt worden.
Der Kläger finanzierte den Kaufpreis von rd. 41.000 € mittels eines ersten Darlehens und vereinbarte ein sog. verbrieftes Rückgaberecht, welches ihm die Rückgabe des Fahrzeugs unter Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung der Schlussrate gestattete. Von diesem Recht machte der Kläger allerdings keinen Gebrauch, sondern finanzierte den verbliebenen Restkaufpreis mit einem zweiten Darlehen. Fahrzeuge des oben genannten Typs wurden auf Veranlassung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zurückgerufen. Die im Fahrzeug des Klägers zur Steuerung des Motors eingesetzte Software wurde zwischenzeitlich einem Update unterzogen.
Im ersten Rechtszug nahm der Kläger sowohl die Beklagte zu 2) als Herstellerin des im erworbenen Fahrzeug eingesetzten Dieselmotors als auch die Beklagte zu 1) als Verkäuferin mit verschiedenen Leistungs- und Feststellungs-, Haupt- und Hilfsanträgen auf Schadensersatz in Anspruch.
Das LG wies die Klage insgesamt ab. Der Kläger legte zunächst im Prozessrechtsverhältnis zu beiden Beklagten Berufung ein, nahm sein Rechtsmittel jedoch später hinsichtlich der Beklagten zu 1) zurück. Das OLG änderte das Urteil ab und verurteilte die Beklagte zu 2) zur Zahlung von Schadensersatz i.H.v. rd. 21.000 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs sowie zur Freistellung des Klägers von der Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Revision der Beklagten zu 2) hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Erwägungen des OLG zur Tathandlung und zum Schaden im Rahmen des bejahten Anspruchs gem. §§ 826, 31 BGB weisen Rechtsfehler nicht auf. Das gilt insbesondere, soweit das OLG an die Bewertung des KBA angeknüpft und in der eingesetzten Kombination von Strategien eine der Umschaltlogik gleichkommende Abschalteinrichtung gesehen hat. Auch die Erwägungen zu dem im Abschluss des Kaufvertrags liegenden Schaden des Klägers sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Zutreffend hat das OLG weiter der Nichtausübung des verbrieften Rückgaberechts keine rechtliche Bedeutung beigemessen. Der BGH hat in Bezug auf den Fortbestand des Schadens, hinsichtlich des Rechtsgedankens der Bestätigung (§ 144 BGB), im Hinblick auf Treu und Glauben gem. § 242 BGB, bzgl. der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB und mit Rücksicht auf die für Leasingverträge geltenden Grundsätze bereits entschieden, dass diesem Umstand keine rechtliche Bedeutung zukommt (BGH, Urteil vom 16.12.2021 - VII ZR 389/21; Urteil vom 11.4.2022 - VIa ZR 135/21). Offen geblieben ist dies lediglich noch für die vom OLG erörterte Frage nach dem Einfluss der Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts auf die Erwerbskausalität.
Der BGH hat zwar in einem Urteil vom 16.12.2021 (VII ZR 389/21) die Anwendung des die Erwerbskausalität betreffenden Erfahrungssatzes gebilligt, dass ein Käufer in Kenntnis sämtlicher Umstände und mit Rücksicht auf das damit einhergehende Stilllegungsrisiko das Fahrzeug nicht erworben hätte. Zugleich hat er seine Entscheidung aber darauf gestützt, dass die Revision dort eine bewusste Inkaufnahme eines Stilllegungsrisikos nach dem Aufspielen des Software-Updates, die möglicherweise Rückschlüsse auf die Erwerbskausalität zulasse, nicht geltend gemacht habe. An dieser Stelle hat der BGH ausdrücklich offengelassen, ob und ggf. unter welchen Umständen die Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts einem Schadensersatzanspruch gem. §§ 826, 31 BGB unter dem Gesichtspunkt der Erwerbskausalität entgegenstehen könne. Diese bisher offene Frage ist, wie das OLG richtig ausgeführt hat, dahin zu beantworten, dass die Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts die Geltung des Erfahrungssatzes unangetastet lässt, der Geschädigte hätte das Fahrzeug in Kenntnis der Manipulation nicht erworben.
Die Erwerbskausalität betrifft die dem Kauf des bemakelten Fahrzeugs zugrundeliegenden Erwägungen und Vorstellungen des geschädigten Käufers, also innere Tatsachen. Solche Tatsachen können in der Regel nicht unmittelbar bewiesen werden. Allerdings kann der Tatrichter seine Überzeugung vom Bestehen der Erwerbskausalität auf den bereits angeführten Erfahrungssatz stützen, dass ein Käufer in Kenntnis sämtlicher Umstände und mit Rücksicht auf das damit einhergehende Stilllegungsrisiko das Fahrzeug nicht erworben hätte. Dieser Erfahrungssatz gilt auch in den Fällen der Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts.
Die Anwendung eines Erfahrungssatzes kann unter zwei Gesichtspunkten in Frage gestellt werden: Zum einen kann der dem Erfahrungssatz zugrundeliegende Lebenssachverhalt und damit die Anwendbarkeit des Erfahrungssatzes in Abrede gestellt werden. Denn der zu entscheidende Sachverhalt muss, damit der Erfahrungssatz Anwendung finden kann, in seinen wesentlichen Merkmalen mit den das Kollektiv des Erfahrungssatzes bildenden Fällen übereinstimmen. Zum anderen können Umstände dargetan und bewiesen werden, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs ergibt, so dass der regelmäßig gerechtfertigte Schluss nicht mehr hinreichend sicher erscheint. Beides trifft hier nicht zu.
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Aufsatz:
Der Dieselskandal zwischen Unionsrecht und deutschem Haftungsrecht
Thomas Riehm, ZIP 2022, 2309
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Der Kläger nimmt die Beklagte zu 2) wegen der Verwendung einer Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch. Aufgrund eines Kaufvertrags vom 19.12.2016 erwarb der Kläger bei einem Händler, der Beklagten zu 1), einen gebrauchten VW Touareg 3.0 V6 TDI mit einer Laufleistung von rd. 25.000 km. Die Beklagte zu 2) hatte den im Fahrzeug eingesetzten Motor hergestellt. Die entsprechende Typgenehmigung war nach Maßgabe der Abgasnorm Euro 6 erteilt worden.
Der Kläger finanzierte den Kaufpreis von rd. 41.000 € mittels eines ersten Darlehens und vereinbarte ein sog. verbrieftes Rückgaberecht, welches ihm die Rückgabe des Fahrzeugs unter Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung der Schlussrate gestattete. Von diesem Recht machte der Kläger allerdings keinen Gebrauch, sondern finanzierte den verbliebenen Restkaufpreis mit einem zweiten Darlehen. Fahrzeuge des oben genannten Typs wurden auf Veranlassung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zurückgerufen. Die im Fahrzeug des Klägers zur Steuerung des Motors eingesetzte Software wurde zwischenzeitlich einem Update unterzogen.
Im ersten Rechtszug nahm der Kläger sowohl die Beklagte zu 2) als Herstellerin des im erworbenen Fahrzeug eingesetzten Dieselmotors als auch die Beklagte zu 1) als Verkäuferin mit verschiedenen Leistungs- und Feststellungs-, Haupt- und Hilfsanträgen auf Schadensersatz in Anspruch.
Das LG wies die Klage insgesamt ab. Der Kläger legte zunächst im Prozessrechtsverhältnis zu beiden Beklagten Berufung ein, nahm sein Rechtsmittel jedoch später hinsichtlich der Beklagten zu 1) zurück. Das OLG änderte das Urteil ab und verurteilte die Beklagte zu 2) zur Zahlung von Schadensersatz i.H.v. rd. 21.000 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs sowie zur Freistellung des Klägers von der Verpflichtung zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Revision der Beklagten zu 2) hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Erwägungen des OLG zur Tathandlung und zum Schaden im Rahmen des bejahten Anspruchs gem. §§ 826, 31 BGB weisen Rechtsfehler nicht auf. Das gilt insbesondere, soweit das OLG an die Bewertung des KBA angeknüpft und in der eingesetzten Kombination von Strategien eine der Umschaltlogik gleichkommende Abschalteinrichtung gesehen hat. Auch die Erwägungen zu dem im Abschluss des Kaufvertrags liegenden Schaden des Klägers sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Zutreffend hat das OLG weiter der Nichtausübung des verbrieften Rückgaberechts keine rechtliche Bedeutung beigemessen. Der BGH hat in Bezug auf den Fortbestand des Schadens, hinsichtlich des Rechtsgedankens der Bestätigung (§ 144 BGB), im Hinblick auf Treu und Glauben gem. § 242 BGB, bzgl. der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB und mit Rücksicht auf die für Leasingverträge geltenden Grundsätze bereits entschieden, dass diesem Umstand keine rechtliche Bedeutung zukommt (BGH, Urteil vom 16.12.2021 - VII ZR 389/21; Urteil vom 11.4.2022 - VIa ZR 135/21). Offen geblieben ist dies lediglich noch für die vom OLG erörterte Frage nach dem Einfluss der Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts auf die Erwerbskausalität.
Der BGH hat zwar in einem Urteil vom 16.12.2021 (VII ZR 389/21) die Anwendung des die Erwerbskausalität betreffenden Erfahrungssatzes gebilligt, dass ein Käufer in Kenntnis sämtlicher Umstände und mit Rücksicht auf das damit einhergehende Stilllegungsrisiko das Fahrzeug nicht erworben hätte. Zugleich hat er seine Entscheidung aber darauf gestützt, dass die Revision dort eine bewusste Inkaufnahme eines Stilllegungsrisikos nach dem Aufspielen des Software-Updates, die möglicherweise Rückschlüsse auf die Erwerbskausalität zulasse, nicht geltend gemacht habe. An dieser Stelle hat der BGH ausdrücklich offengelassen, ob und ggf. unter welchen Umständen die Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts einem Schadensersatzanspruch gem. §§ 826, 31 BGB unter dem Gesichtspunkt der Erwerbskausalität entgegenstehen könne. Diese bisher offene Frage ist, wie das OLG richtig ausgeführt hat, dahin zu beantworten, dass die Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts die Geltung des Erfahrungssatzes unangetastet lässt, der Geschädigte hätte das Fahrzeug in Kenntnis der Manipulation nicht erworben.
Die Erwerbskausalität betrifft die dem Kauf des bemakelten Fahrzeugs zugrundeliegenden Erwägungen und Vorstellungen des geschädigten Käufers, also innere Tatsachen. Solche Tatsachen können in der Regel nicht unmittelbar bewiesen werden. Allerdings kann der Tatrichter seine Überzeugung vom Bestehen der Erwerbskausalität auf den bereits angeführten Erfahrungssatz stützen, dass ein Käufer in Kenntnis sämtlicher Umstände und mit Rücksicht auf das damit einhergehende Stilllegungsrisiko das Fahrzeug nicht erworben hätte. Dieser Erfahrungssatz gilt auch in den Fällen der Nichtausübung eines verbrieften Rückgaberechts.
Die Anwendung eines Erfahrungssatzes kann unter zwei Gesichtspunkten in Frage gestellt werden: Zum einen kann der dem Erfahrungssatz zugrundeliegende Lebenssachverhalt und damit die Anwendbarkeit des Erfahrungssatzes in Abrede gestellt werden. Denn der zu entscheidende Sachverhalt muss, damit der Erfahrungssatz Anwendung finden kann, in seinen wesentlichen Merkmalen mit den das Kollektiv des Erfahrungssatzes bildenden Fällen übereinstimmen. Zum anderen können Umstände dargetan und bewiesen werden, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs ergibt, so dass der regelmäßig gerechtfertigte Schluss nicht mehr hinreichend sicher erscheint. Beides trifft hier nicht zu.
Aufsatz:
Der Dieselskandal zwischen Unionsrecht und deutschem Haftungsrecht
Thomas Riehm, ZIP 2022, 2309
Auch nachzulesen im Aktionsmodul Gesellschaftsrecht:
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