10.12.2021

Dieselskandal: Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den Fahrzeughersteller

Ohne Feststellungen, dass vor Ablauf des Jahres 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen den Fahrzeughersteller erhoben wurde, dass der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche wirksam zum Klageregister angemeldet hat und dass den Ansprüchen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage, kann eine Entscheidung darüber, ob die Verjährung durch eine wirksame Anmeldung des Klägers zu einer Musterfeststellungsklage gehemmt wurde, nicht getroffen werden.

BGH v. 19.10.2021 - VI ZR 189/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger erwarb im Dezember 2012 einen gebrauchten VW Golf Plus zum Preis von 24.000 €. In dem Fahrzeug war ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor Typ EA 189 verbaut, dessen Motorsteuerungssoftware den Prüfstandsbetrieb erkannte und in diesem Fall den Ausstoß von Stickoxiden verringerte. Im September 2015 wurde die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren des Typs EA 189 im Verlauf des Dieselskandals öffentlich bekannt. Der Kläger schloss sich zunächst einer Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte an, meldete sich später aber wieder ab.

Mit seiner 2019 eingereichten Klage verlangt der Kläger die Erstattung des Kaufpreises abzgl. Nutzungsersatz sowie Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Das LG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von etwa 11.660 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und stellte den Annahmeverzug fest. Das OLG als Berufungsgericht änderte das Urteil ab und verurteilte die Beklagte zudem im Wesentlichen zur Zahlung von Deliktszinsen. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Dem Kläger ist mit dem Erwerb des Fahrzeugs im Dezember 2012 ein auf Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs gerichteter Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB entstanden.

Die Verjährung des Anspruchs kann angesichts der erst 2019 erhobenen Klage allerdings nicht mit dem Argument verneint werden, dass dem Kläger eine Klageerhebung bis Ende 2015 nicht zumutbar gewesen sei, weil den Geschädigten 2015 zwar die Mangelhaftigkeit ihrer Fahrzeuge, nicht aber die ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln der Beklagten begründenden Umstände bekannt geworden seien. Die Unzumutbarkeit einer Klage gegen die Beklagte im Jahr 2015 lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass bis Ende 2015 keine belastbaren Hinweise auf eine Kenntnis der Organe der Beklagten vorgelegen hätten, denn es bedurfte keiner näheren Kenntnis des Klägers von den Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisation der Beklagten.

Die Verjährungseinrede der Beklagten ist auch nicht bei unterstellter Zumutbarkeit der Klageerhebung in 2015 wegen Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB unbegründet, denn es fehlt an ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen, ob die Verjährung durch eine wirksame Anmeldung des Klägers zu einer Musterfeststellungsklage gehemmt wurde. Die Hemmungswirkung tritt nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zu deren Register ein, auch wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt. Eine Berufung auf den Hemmungstatbestand ist auch dann nicht nach § 242 BGB verwehrt, wenn der Kläger seinen Anspruch ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet hat.

Feststellungen dazu, ob vor Ablauf des Jahres 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte erhoben wurde, ob der Kläger die nunmehr streitgegenständlichen Ansprüche wirksam zum entsprechenden Klageregister angemeldet hat und ob den Ansprüchen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage, hat das Berufungsgericht jedoch vorliegend bislang nicht getroffen.

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