22.03.2022

Dieselskandal: Zum Feststellungsinteresse bei einer Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht

Der BGH hat sich vorliegend mit dem Feststellungsinteresse bei einer Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht in einem Dieselfall befasst. Auf mögliche künftige Belastungen mit Aufwendungen, die nur im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähig wären, kann der Kläger sein Feststellungsinteresse nicht stützen, wenn er sich nicht für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entschieden hat, obwohl ihm diese Entscheidung möglich und zumutbar ist

BGH v. 22.2.2022 - VI ZR 415/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche im Zusammenhang mit dem VW-Dieselskandal geltend. Der Kläger erwarb von einem Autohaus im November 2012 einen gebrauchten Pkw VW Tiguan 2.0 l TDI zum Kaufpreis von rd. 32.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet, der eine Software zur Abgasrückführungssteuerung enthält. Diese Software verfügt über zwei Modi. Im Modus 1, der in standardisierten Testsituationen wie dem Prüfstand aktiv ist, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate. Unter Fahrbedingungen im normalen Straßenverkehr reduziert die Software den Umfang der Abgasrückführung dauerhaft auf ein geringeres Maß (Modus 0). Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) gab der Beklagten im Oktober 2015 auf, die vorhandene Software zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Herstellung ordnungsgemäßer Zustände zu ergreifen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, nach dem die Abgasrückführung in einem adaptierten Betriebsmodus erfolgt, der im Wesentlichen dem bisherigen Modus 1 entspricht. Der Kläger ließ das Update durchführen.

Der Kläger ist der Ansicht, er sei von der Beklagten durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung sittenwidrig geschädigt worden. Er beantragte erstinstanzlich, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Ersatz für Schäden zu leisten, die aus der Manipulation seines Fahrzeugs durch die Beklagte resultieren würden, ferner die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen. Das LG sprach die beantragte Feststellung aus und wies die Klage im Übrigen ab. Dagegen legte die Beklagte Berufung mit dem Ziel der vollständigen Klageabweisung ein, der Kläger legte Berufung mit dem Ziel der Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ein. Den Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten verband der Kläger mit dem Hilfsantrag, die Beklagte zur Zahlung von rd. 38.000 € nebst Delikts- und Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs zu verurteilen und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs durch die Beklagte resultieren würden. Das OLG wies die Berufungen zurück.

Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf, änderte das Urteil des LG dahingehend ab, dass der Antrag des Klägers auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihm Schadensersatz zu leisten, abgewiesen wird, und verwies die Sache hinsichtlich der Hilfsanträge zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des OLG ist der Feststellungsantrag des Klägers unzulässig.

Der Feststellungsantrag ist zwar trotz seiner weiten Formulierung bestimmt i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil er sich unter Heranziehung der Klageschrift dahingehend auslegen lässt, dass es um die Ersatzpflicht der Beklagten für Schäden geht, die daraus resultieren, dass die Beklagte den in das Fahrzeug des Klägers eingebauten Motor mit der vom KBA im Oktober 2015 als unzulässig beanstandeten Abschalteinrichtung herstellte und in den Verkehr brachte (vgl. Senatsurteil vom 5.10.2021 - VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 12 f.). Der Feststellungsantrag ist jedoch unzulässig, weil es am erforderlichen Feststellungsinteresse des Klägers fehlt.

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hat der Kläger den Feststellungsantrag nicht in Bezug auf den großen Schadensersatz gestellt. Jedenfalls lässt sich eine solche Festlegung dem gestellten Antrag nicht entnehmen. Auf Grundlage der beantragten - und in den Vorinstanzen zugesprochenen - Feststellung stünde es dem Kläger vielmehr frei, auch den kleinen Schadensersatz zu verlangen. Der Kläger kann sein Feststellungsinteresse jedoch nicht darauf stützen, dass er sich die Wahl offenhalten möchte, ob er von der Beklagten den großen oder kleinen Schadensersatz verlangt. Diese Entscheidung war ihm bei Klageerhebung zumutbar. Soweit die Revisionserwiderung geltend macht, der Kläger habe sich bereits für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entschieden, hätte er diesen ohne Weiteres - wie im Hilfsantrag erfolgt - beziffern können.

Das Feststellungsinteresse ergibt sich schließlich nicht daraus, dass die Schadensentwicklung im Hinblick auf Reparaturkosten, Steuernachforderungen, Stilllegungskosten und Kosten im Zusammenhang mit dem Update noch nicht abgeschlossen sei. Zwar kann, wenn ein Teil des Schadens bei Klageerhebung schon entstanden, die Entstehung weiterer Schäden aber noch zu erwarten ist, der Kläger in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren, wobei die zu erwartenden Schäden entgegen der Ansicht der Revisionsbegründung nicht wahrscheinlich, sondern nur möglich sein müssen. Künftig entstehende Aufwendungen, die zu den gewöhnlichen Unterhaltskosten für das Fahrzeug zählen (Verbrauchsmaterialien, Kraftstoff, Inspektions- und Wartungskosten, Reparaturen) wären aber nicht ersatzfähig. Die weiter vom Kläger angeführten Aufwendungen (Steuernachforderungen, Stilllegungskosten, Kosten im Zusammenhang mit etwaigen schädlichen Auswirkungen des Updates) könnte der Kläger jedenfalls nicht als Schaden ersetzt verlangen, wenn er den kleinen Schadensersatz (Ersatz des Minderwerts) geltend machen sollte. Eine Schadensentwicklung, die ein Feststellungsinteresse begründen könnte, wäre dann ausgeschlossen.

Ob und inwieweit die genannten Aufwendungen im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähig wären, sie insbesondere dem sog. negativen Interesse zuzuordnen wären, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung. Denn auf eine diesbezügliche Schadensentwicklung könnte der Kläger sein Feststellungsinteresse schon deshalb nicht stützen, weil er sich nicht jedenfalls nicht rechtlich bindend - für die Geltendmachung des großen Schadensersatzes entschieden hat, obwohl ihm diese Entscheidung bereits jetzt möglich und zumutbar ist.

Mehr zum Thema:
  • Kurzbeitrag: BGH - Anspruch des Dieselkäufers nach seiner Wahl auf "kleinen" oder "großen" Schadensersatz (ZIP 2022, R4)
  • Rechtsprechung: BGH vom 05.10.2021, VI ZR 136/20 - Zum Feststellungsinteresse für Schadensersatzpflicht in Dieselfall (ZIP 2021, 2553)
  • Aufsatz: Der Haftungsausfüllungstatbestand in "Dieselklagen" (Grigoleit, ZIP 2021, 1993)
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