14.03.2025

DSGVO: Kein Schadensersatz wegen angeblich diskriminierenden Erstellens von Bonitätsscorewerten

Der EuGH ist der Ansicht, dass Art. 22 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen ist, dass eine "automatisierte Entscheidung im Einzelfall" [...] vorliegt, wenn ein auf personenbezogene Daten zu einer Person gestützter Wahrscheinlichkeitswert in Bezug auf deren Fähigkeit zur Erfüllung künftiger Zahlungsverpflichtungen durch eine Wirtschaftsauskunftei automatisiert erstellt wird, sofern von diesem Wahrscheinlichkeitswert maßgeblich abhängt, ob ein Dritter, dem dieser Wahrscheinlichkeitswert übermittelt wird, ein Vertragsverhältnis mit dieser Person begründet, durchführt oder beendet.

LG Halle (Saale) v. 12.2.2025 - 6 O 195/24
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist eine private Gemeinschaftseinrichtung der kreditgebenden Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, ihre Vertragspartner mit Auskünften bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit von potentiellen oder bestehenden Kunden kreditrelevanter Geschäfte zu unterstützen. Mit dem sog. "Scoring" berechnet die Beklagte anhand von gesammelten Informationen und Erfahrungen aus der Vergangenheit eine Prognose über zukünftige Ereignisse oder Verhaltensweisen der Person in Bezug auf die Erfüllung kreditrelevanter Verträge. Auf dieser Grundlage errechnet sie Wahrscheinlichkeitswerte hinsichtlich einer Kreditwürdigkeit. Die Beklagte hatte in der Vergangenheit zwischenzeitlich den Datenbestand der Klägerin zur Beauskunftung vorsorglich gesperrt.

Die Klägerin behauptete, dass dieses Vorgehen negative Auswirkungen für sie hätte. Infolgedessen gelte sie praktisch als kreditunwürdig. Mit einem negativen Score gehe faktisch zumeist die Ablehnung von in der Folgezeit begehrten Vertragsabschlüssen einher. Die Klägerin war der Ansicht, dass das Scoringverfahren unter einem klaren Verstoß gegen Art. 22 Abs. 1 DSGVO erfolge und auch nicht gerechtfertigt werden könne. Neben anderen Ansprüchen machte sie einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz i.H.v. mind. 5.000 € gegen die Beklagte geltend. Durch das diskriminierende Erstellen von Bonitätsscorewerten seien ihr zahlreiche Vertragsabschlüsse rechtswidrig verwehrt worden.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Die Gründe:
Die von der Beklagten vorgenommene Bewertung der klägerischen Bonität in der konkreten Art und Weise verstieß weder gegen Art. 22 Abs. 1 DSGVO noch gegen sonstige Vorschriften des nationalen Rechts.

Hinsichtlich Art. 22 Abs. 1 DSGVO ist umstritten, was als eine "rechtliche Wirkung" anzusehen ist. Nach einer Ansicht sollen "lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäfte vom Anwendungsbereich auszuklammern" sein und die Verbotsnorm nicht zur Anwendung kommen, weil das vom Schutzzweck der Norm nicht umfasst ist. Nach einer weitergehenden Ansicht soll auch die Ablehnung eines Vertrages wegen fehlender Änderung des status quo beim Betroffenen keine "rechtliche Wirkung" haben, es sei denn, es besteht ein Kontrahierungszwang wie etwa nach § 31 Abs. 1 S. 1 ZKG. Allerdings kann in der Ablehnung eines Vertragsschlusses eine "ähnliche Beeinträchtigung" liegen.

Der EuGH ist der Ansicht, dass Art. 22 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen ist, dass eine "automatisierte Entscheidung im Einzelfall" [...] vorliegt, wenn ein auf personenbezogene Daten zu einer Person gestützter Wahrscheinlichkeitswert in Bezug auf deren Fähigkeit zur Erfüllung künftiger Zahlungsverpflichtungen durch eine Wirtschaftsauskunftei automatisiert erstellt wird, sofern von diesem Wahrscheinlichkeitswert maßgeblich abhängt, ob ein Dritter, dem dieser Wahrscheinlichkeitswert übermittelt wird, ein Vertragsverhältnis mit dieser Person begründet, durchführt oder beendet. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass ein Kreditinstitut aufsichtsrechtlich gem. § 18a Abs. 1 KWG und jeder Darlehensgeber zivilrechtlich gem. § 505a BGB sogar verpflichtet ist, vor Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrages die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu prüfen.

Grundsätzlich liegt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der für die Klägerin günstigen Tatsachen bei dieser, was der BGH im Hinblick auf Art. 17 Abs. 1 DSGVO klargestellt hat (BGH, Beschl. v. 27.7.2020 - VI ZR 476/18). Das OLG Stuttgart, dem sich das Gericht ausdrücklich anschließt, führte hierzu aus: "Es obliegt entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht der Beklagten, ein überwiegendes Interesse an der Speicherung gegenüber seinen Interessen darzulegen. Eine derartige Darlegungs- und Beweislast für alle aus der DS-GVO abzuleitenden Ansprüche ergibt sich nicht aus Art. 5 Abs. 2 DS-GVO, wonach der Verantwortliche für die Einhaltung der in Art. 5 Abs. 1 DSVGO genannten Grundsätze verantwortlich ist und dessen Einhaltung nachweisen können muss. Denn das betrifft ausschließlich die in seiner Sphäre liegenden Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Verarbeitung. Für die für einzelne Ansprüche Betroffener geltende Darlegungs- und Beweislast gilt vielmehr das nationale Recht. Danach muss die im Rahmen der nach Art. 6 Abs. 1 f) DS-GVO vorzunehmenden, konkreten Interessenabwägung zugrunde zu legenden Interessen der Betroffene selbst darlegen" (Urt. v. 10.8.2022, 9 U 24/22).

Die Klägerin hat im vorliegenden Fall keine einzige konkret abweisende Entscheidung eines potentiellen Vertragspartners genannt, bei der von der Beklagter berechnete Scorewert maßgeblich berücksichtigt worden wäre. Die Beklagte hat hingegen konkret vorgetragen, dass die Klägerin selbst in der jüngeren Vergangenheit kreditrelevante Verträge abschließen konnte. Diese Vertragsabschlüsse waren ihr von ihren Vertragspartnern gemeldet worden. Auch einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG hat die Klägerin nicht dargelegt. Es wurde bei der Klägerin kein Scoreverfahren verwendet, das konkret das Alter oder das Geschlecht der Klägerin wertend berücksichtigt hat.

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