Ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG erhält vorläufige Abwehrdeckung aus der D&O-Versicherung
OLG Frankfurt a.M. v. 7.7.2021 - 7 U 19/21
Der Sachverhalt:
Der Verfügungskläger (i.F. Kläger) als ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG (i.F.: Wirecard) begehrt im Wege einer einstweiligen Verfügung die Gewährung vorläufiger Abwehrkosten aus einer sog. D&O-Versicherung (Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung), welche die Wirecard bei der Verfügungsbeklagten (i.F. Beklagte) für ihre Organmitglieder und Leitende Angestellte abgeschlossen hatte.
Die Wirecard war ein international tätiger Zahlungsdienstleister. Einen wesentlichen Anteil am Gesamtumsatz nahmen die sog. TPA-Geschäfte (Third-Party-Acquirer) in Asien ein. Das für Wirecard seit Jahren tätige Wirtschaftsprüfungsunternehmen verweigerte erstmals das Testat für den Jahresabschluss 2019. Im Rahmen weiterer Untersuchungen stellte sich heraus, dass ein angeblich aus den TPA-Geschäften resultierendes Treuhandguthaben von insgesamt 1,9 Milliarden Euro im Juni 2020 nicht auf den Konten der philippinischen Banken vorhanden war. Ob es die TPA-Geschäfte in Asien überhaupt nicht oder nicht im verbuchten Umfang gegeben hat, ist streitig.
Gegen den Kläger wird ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft München u.a. wegen des Verdachts des bandenmäßigen Betrugs, der Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Verstößen gegen das WpHG geführt. Er befindet sich seit Sommer 2020 in Untersuchungshaft. Gegen ihn sind zahlreiche Arrest- und Pfändungsbeschlüsse ausgebracht. Des Weiteren wird er u.a. zusammen mit Wirecard vor dem LG München auf Schadensersatz von über 1 Million € in Anspruch genommen.
Nachdem die Beklagte die Übernahme von Kosten zur Abwehr der Schadensersatzansprüche abgelehnt hatte, hat der Kläger - der alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückweist - eine vorweggenommene Deckungsklage vor dem LG erhoben und zugleich die streitgegenständliche Leistungsverfügung beantragt. Das LG hat dem Antrag weitgehend stattgegeben; die Berufung der Beklagten hat das OLG durch das heute verkündete Urteil zurückgewiesen. Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Gründe:
Im Zentrum der Entscheidung steht die Frage, ob die Verfügungsbeklagte sich auf Leistungsausschlüsse wegen einer arglistigen Täuschung bei Vertragsverlängerung berufen kann oder aber dem die Zusage von vorläufigen Verteidigungskosten nach Ziffer 7.1.3 entgegensteht. Ziffer 7.1.3 lautet:
"Im Zweifel über das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung oder vorsätzlichen Pflichtverletzung wird der Versicherer Verteidigungskosten gewähren. Dies gilt auch, wenn der Anspruch auf Schadensersatz oder das Verfahren auf eine Rechtsnorm gestützt wird, deren Voraussetzungen nur bei Vorsatz erfüllt sein können. Steht das Vorliegen einer wissentlichen oder einer vorsätzlichen Pflichtverletzung fest, entfällt der Versicherungsschutz. Als Feststellung gilt eine rechtskräftige Entscheidung oder ein Eingeständnis der versicherten Person, aus der/dem sich die Tatsachen ergeben, welche die wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung belegen."
Diese Rechtsschutzverpflichtung zur Abwehr unberechtigter Ansprüche Dritter ist für den Versicherten von existentieller Bedeutung. Macht ein Dritter in der Begründung seines vermeintlichen Haftpflichtanspruchs Tatsachen geltend, die eine wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung der versicherten Person beinhalten, sieht sich der - möglicherweise zu Unrecht bezichtigte - Versicherte der Situation ausgesetzt, dass er im Falle einer Deckungsablehnung seitens des Versicherers ohne Rechtsschutz dasteht und auf einen langwierigen (vorweggenommenen) Deckungsprozess gegen den Versicherer angewiesen wäre.
Dem berechtigten Interesse des zu Unrecht beschuldigten Managers nach bestmöglicher Absicherung im Rahmen einer D&O-Versicherung hat die Verfügungsbeklagte durch die besondere Ausgestaltung der vorläufigen Verteidigungskosten in Ziffer 7.1.3 Rechnung getragen. Dies kommt auch dem Verfügungskläger zugute, der sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe - insbesondere auch den der Bilanzfälschung, auf welche die Verfügungsbeklagte den Vorwurf der Arglist stützt - bestreitet. An einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, aus der sich Umstände ergeben, welche die vorsätzliche Pflichtverletzung belegen, fehlt es derzeit. Sie kann weder im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren noch im Hauptsacheverfahren (Deckungsklage) getroffen werden, da die Formulierung "eine rechtskräftige Entscheidung" auf ein außerhalb des Deckungsprozesses stattfindendes Verfahren hinweist. Angesichts dieses sehr weitgefassten Leistungsversprechens kann die Verfügungsbeklagte sich bis zum Vorliegen einer solchen Entscheidung nicht mit deckungsgleicher Begründung auf arglistige Täuschung berufen.
OLG Frankfurt a.M. PM Nr. 48 vom 7.7.2021
Der Verfügungskläger (i.F. Kläger) als ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG (i.F.: Wirecard) begehrt im Wege einer einstweiligen Verfügung die Gewährung vorläufiger Abwehrkosten aus einer sog. D&O-Versicherung (Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung), welche die Wirecard bei der Verfügungsbeklagten (i.F. Beklagte) für ihre Organmitglieder und Leitende Angestellte abgeschlossen hatte.
Die Wirecard war ein international tätiger Zahlungsdienstleister. Einen wesentlichen Anteil am Gesamtumsatz nahmen die sog. TPA-Geschäfte (Third-Party-Acquirer) in Asien ein. Das für Wirecard seit Jahren tätige Wirtschaftsprüfungsunternehmen verweigerte erstmals das Testat für den Jahresabschluss 2019. Im Rahmen weiterer Untersuchungen stellte sich heraus, dass ein angeblich aus den TPA-Geschäften resultierendes Treuhandguthaben von insgesamt 1,9 Milliarden Euro im Juni 2020 nicht auf den Konten der philippinischen Banken vorhanden war. Ob es die TPA-Geschäfte in Asien überhaupt nicht oder nicht im verbuchten Umfang gegeben hat, ist streitig.
Gegen den Kläger wird ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft München u.a. wegen des Verdachts des bandenmäßigen Betrugs, der Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Verstößen gegen das WpHG geführt. Er befindet sich seit Sommer 2020 in Untersuchungshaft. Gegen ihn sind zahlreiche Arrest- und Pfändungsbeschlüsse ausgebracht. Des Weiteren wird er u.a. zusammen mit Wirecard vor dem LG München auf Schadensersatz von über 1 Million € in Anspruch genommen.
Nachdem die Beklagte die Übernahme von Kosten zur Abwehr der Schadensersatzansprüche abgelehnt hatte, hat der Kläger - der alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückweist - eine vorweggenommene Deckungsklage vor dem LG erhoben und zugleich die streitgegenständliche Leistungsverfügung beantragt. Das LG hat dem Antrag weitgehend stattgegeben; die Berufung der Beklagten hat das OLG durch das heute verkündete Urteil zurückgewiesen. Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Gründe:
Im Zentrum der Entscheidung steht die Frage, ob die Verfügungsbeklagte sich auf Leistungsausschlüsse wegen einer arglistigen Täuschung bei Vertragsverlängerung berufen kann oder aber dem die Zusage von vorläufigen Verteidigungskosten nach Ziffer 7.1.3 entgegensteht. Ziffer 7.1.3 lautet:
"Im Zweifel über das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung oder vorsätzlichen Pflichtverletzung wird der Versicherer Verteidigungskosten gewähren. Dies gilt auch, wenn der Anspruch auf Schadensersatz oder das Verfahren auf eine Rechtsnorm gestützt wird, deren Voraussetzungen nur bei Vorsatz erfüllt sein können. Steht das Vorliegen einer wissentlichen oder einer vorsätzlichen Pflichtverletzung fest, entfällt der Versicherungsschutz. Als Feststellung gilt eine rechtskräftige Entscheidung oder ein Eingeständnis der versicherten Person, aus der/dem sich die Tatsachen ergeben, welche die wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung belegen."
Diese Rechtsschutzverpflichtung zur Abwehr unberechtigter Ansprüche Dritter ist für den Versicherten von existentieller Bedeutung. Macht ein Dritter in der Begründung seines vermeintlichen Haftpflichtanspruchs Tatsachen geltend, die eine wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung der versicherten Person beinhalten, sieht sich der - möglicherweise zu Unrecht bezichtigte - Versicherte der Situation ausgesetzt, dass er im Falle einer Deckungsablehnung seitens des Versicherers ohne Rechtsschutz dasteht und auf einen langwierigen (vorweggenommenen) Deckungsprozess gegen den Versicherer angewiesen wäre.
Dem berechtigten Interesse des zu Unrecht beschuldigten Managers nach bestmöglicher Absicherung im Rahmen einer D&O-Versicherung hat die Verfügungsbeklagte durch die besondere Ausgestaltung der vorläufigen Verteidigungskosten in Ziffer 7.1.3 Rechnung getragen. Dies kommt auch dem Verfügungskläger zugute, der sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe - insbesondere auch den der Bilanzfälschung, auf welche die Verfügungsbeklagte den Vorwurf der Arglist stützt - bestreitet. An einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, aus der sich Umstände ergeben, welche die vorsätzliche Pflichtverletzung belegen, fehlt es derzeit. Sie kann weder im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren noch im Hauptsacheverfahren (Deckungsklage) getroffen werden, da die Formulierung "eine rechtskräftige Entscheidung" auf ein außerhalb des Deckungsprozesses stattfindendes Verfahren hinweist. Angesichts dieses sehr weitgefassten Leistungsversprechens kann die Verfügungsbeklagte sich bis zum Vorliegen einer solchen Entscheidung nicht mit deckungsgleicher Begründung auf arglistige Täuschung berufen.