11.06.2024

Einsicht in Akten des Insolvenzverfahrens: Insolvenzforderung ist nachvollziehbar darzustellen und glaubhaft zu machen

Der Inhaber einer Insolvenzforderung steht in einem gegenwärtigen, auf Rechtsnormen beruhenden Verhältnis zum Insolvenzschuldner und damit zum Gegenstand des eröffneten Insolvenzverfahrens. Demjenigen, der unter Berufung auf seine Gläubigerstellung Einsicht in die Akten des Insolvenzverfahrens begehrt, obliegt es, den Sachverhalt und die daraus hergeleitete Insolvenzforderung nachvollziehbar darzustellen und glaubhaft zu machen. Das sich aus der Gläubigerstellung ergebende rechtliche Interesse an der Akteneinsicht entfällt nicht deshalb, weil mit dem Akteneinsichtsgesuch - möglicherweise sogar vorrangig - das Ziel verfolgt wird, festzustellen, ob Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder der Insolvenzschuldnerin bestehen.

BayObLG v. 31.5.2024 - 101 VA 243/23
Der Sachverhalt:
Mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung verfolgt die Antragstellerin ihr Gesuch um Akteneinsicht weiter. Mit Beschluss des AG - Insolvenzgericht - vom 1.7.2023 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. GmbH & Co. KG (Schuldnerin) eröffnet. Dem liegt ein Eigenantrag der Schuldnerin vom 25.4.2023 zugrunde. Mit Schreiben vom 21.9.2023 beantragte die Antragstellerin Einsicht in die beim AG geführte Insolvenzakte. Ihr Einsichtsgesuch begründete sie nicht. Eine Forderungsanmeldung der Antragstellerin liegt nicht vor. Das AG gab der Antragstellerin mit Schreiben vom 17.10.2023 Gelegenheit, binnen zwei Wochen ihr rechtliches Interesse an der Einsicht darzulegen und glaubhaft zu machen. Die Antragstellerin äußerte sich mit Schriftsatz vom 10.11.2023: Die Schuldnerin hab ihr ein Sofa für rd. 8.000 € verkauft. Um dieses zu erhalten, habe sie, die Antragstellerin, im Rahmen eines Folgeauftrags weitere rd. 4.000 € zahlen müssen. Sie gehe davon aus, dass sich die Schuldnerin bereits seit geraumer Zeit in finanzieller Schieflage befunden und damit gerechnet habe, den geschlossenen Vertrag nicht erfüllen zu können. Deshalb dürften Ansprüche gegen die Geschäftsführung der Schuldnerin bestehen. Zur Prüfung dieser Ansprüche sei die Akteneinsicht erforderlich.

Dem Schriftsatz waren ein Schreiben des Insolvenzverwalters vom 4.7.2023 und der Ausdruck eines E-Mail-Austauschs aus August 2023 beigefügt. Der Insolvenzverwalter hatte die Antragstellerin im genannten Schreiben über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterrichtet und dies mit der Information verbunden, dass Forderungen gegen die Schuldnerin bis 21.8.2023 anzumelden seien. Gleichzeitig hatte er darüber informiert, dass für die voraussichtlich bis zu rd. 7.000 Insolvenzgläubiger, zu denen auch die Antragstellerin gehöre, nach derzeitiger Einschätzung keine Aussichten auf Quotenzahlungen bestünden. Zudem könnten unerfüllte Kaufverträge aus der Masse nicht erfüllt werden; gem. § 103 Abs. 2 InsO lehne er die Vertragserfüllung ab.

Der Rechtspfleger beim AG wies das Begehren der Antragstellerin mit zwei Entscheidungen vom 10.11.2023 zurück: In einem Beschluss lehnte er den Antrag auf Akteneinsicht nach § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 1 ZPO mit der Begründung ab, dass die Antragstellerin nicht zu den Verfahrensbeteiligten gehöre. In einer weiteren als "Beschluss" bezeichneten Entscheidung wies er das Einsichtsgesuch nach § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO mit der Begründung zurück, dass einer am Verfahren nicht beteiligten Person nur dann Einsicht in die Insolvenzakte gestattet werden könne, wenn ein rechtliches Interesse dargelegt und glaubhaft gemacht sei. Eine Antwort auf die gerichtliche Aufforderung, entsprechend vorzutragen, sei nicht eingegangen. Mit weiterem "Beschluss" vom 14.11.2023 entschied der Rechtspfleger, den Bescheid vom 10.11.2023, mit dem die Akteneinsicht nach § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO abgelehnt worden sei, nicht aufzuheben. Der Schriftsatz vom 10.11.2023 sei erst am 14.11.2023 vorgelegt worden, rechtfertige aber keine andere Entscheidung.

Mit Schriftsatz vom 1.12.2023, bei Gericht am selben Tag eingegangen, wendet sich die Antragstellerin gegen die Ablehnung ihres als außerhalb des Verfahrens stehende Dritte gestellten Einsichtsgesuchs. Sie beantragt, dem AG aufzugeben, die begehrte Akteneinsicht zu gewähren, hilfsweise das AG zu verpflichten, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Ihr rechtliches Interesse ergebe sich aus ihrer Eingabe vom 10.11.2023. Darin habe sie vorgetragen und mit den beigefügten Anlagen glaubhaft gemacht, Insolvenzgläubigerin zu sein. Dies genüge nach der Rechtsprechung des BGH, um ein rechtliches Interesse an der Einsicht zu begründen. Die Begründung der ablehnenden Entscheidung und der Verweis auf die Entscheidung des BayObLG vom 14.10.2021 seien fehlerhaft. Der Antragsgegner beantragte, den Bescheid vom 10.11.2023 und die Entscheidung vom 14.11.2023 aufzuheben und das Verfahren an das AG zurückzuverweisen zur neuen Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch unter Berücksichtigung der Rechtsansicht des Gerichts sowie der Geheimhaltungsinteressen der Insolvenzschuldnerin.

Das BayObLG hob die Bescheide des AG vom 10. und 14.11.2023 auf und wies den Antragsgegner an, den Antrag der Antragstellerin vom 21.9.2023 auf Bewilligung von Akteneinsicht im Verfahren 1500 IN 1169/23 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Im Übrigen wies es den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Ansicht der Justizbehörde genügt der glaubhaft gemachte Vortrag der Antragstellerin, um ein rechtliches Interesse zu begründen, das nach der Bestimmung in § 299 Abs. 2 ZPO für die Akteneinsicht durch eine dritte Person verlangt wird.

Bereits die Stellung eines Insolvenzgläubigers verschafft diesem eine unmittelbare rechtliche Beziehung zum Schuldner. Denn als Inhaber einer Insolvenzforderung steht der Gläubiger in einem auf Rechtsnormen (§ 38 InsO i.V.m. den Normen des jeweiligen Anspruchs) beruhenden Verhältnis zum Schuldner und damit zum Gegenstand des Insolvenzverfahrens, in dem das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört oder das er während des Verfahrens erlangt, die Insolvenzmasse bildet (§ 35 Abs. 1 InsO). Dies gilt auch dann, wenn der Gläubiger davon abgesehen hat, seine Forderung zur Insolvenztabelle anzumelden. Die Antragstellerin hat ihre Gläubigerstellung vorliegend dargelegt und glaubhaft gemacht.

Im Schriftsatz vom 10.11.2023 hat die Antragstellerin hinreichend dargelegt, dass sie mit der Schuldnerin in einer kaufvertraglichen Beziehung stehe und den Kaufpreis für die Ware, ein Sofa, bereits entrichtet, die Schuldnerin hingegen ihre eigene Hauptleistungspflicht, die Lieferung und Übereignung der Ware, nicht erfüllt habe. Dies genügt, um ein gegenwärtiges, auf Rechtsnormen beruhendes Verhältnis der Antragstellerin zur Schuldnerin bzw. zur Insolvenzmasse im beschriebenen Sinn darzutun. Damit ist die Antragstellerin hinreichend der Obliegenheit nachgekommen, den Sachverhalt und die daraus hergeleitete Insolvenzforderung nachvollziehbar darzustellen, die denjenigen trifft, der Akteneinsicht unter Berufung auf seine Gläubigerstellung begehrt.

Das sich aus der Gläubigerstellung ergebende rechtliche Interesse entfällt nicht deshalb, weil die Antragstellerin mit ihrem Akteneinsichtsgesuch - möglicherweise sogar vorrangig - das Ziel verfolgt, festzustellen, ob ihr Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer der Komplementärgesellschaft der Insolvenzschuldnerin zustehen. Nach BGH-Rechtsprechung lässt sich das Gläubigerinteresse nicht aufspalten in ein rechtliches Interesse i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO an der Feststellung, ob noch Vermögen bei der Schuldnerin vorhanden ist, und ein - von § 299 Abs. 2 ZPO nicht geschütztes - rein wirtschaftliches Interesse an der Prüfung der Erfolgsaussichten von Schadensersatzansprüchen gegen Dritte, insbesondere Organe der Schuldnerin. Vielmehr stehen solche Schadensersatzansprüche meist in einem rechtlich untrennbaren Zusammenhang mit der zugrundeliegenden Forderung des Gläubigers. So liegt es auch hier.

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