Erbringung einer inkongruenten Deckung im zweiten oder dritten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
BGH v. 9.1.2025 - IX ZR 41/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 13.5.2015 am 1.7.2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der F. GmbH (Schuldnerin). Er verlangt von der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr von zwei Zahlungen i.H.v. insgesamt rd. 130.000 €, welche diese infolge einer Kontopfändung in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag erlangt hat.
Mit Versäumnisurteil vom 20.11.2014 verurteilte das LG Köln die Schuldnerin zur Zahlung von rd. 127.000 € nebst Zinsen an die Beklagte. Auf der Grundlage des vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteils beantragte die Beklagte unter dem 27.1.2015 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wegen Ansprüchen der Schuldnerin gegen deren Bank. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde der Bank am 5.2.2015 zugestellt. Zahlungen aufgrund der Pfändung erfolgten zunächst nicht, weil das gepfändete Konto keine entsprechende Deckung aufwies. Erst am 3. und 9.3.2015 kam es zu den angefochtenen beiden Zahlungen der Bank, nachdem ab dem 20.2.2015 Gutschriften auf dem Konto eingegangen waren.
Der Kläger behauptet, dass es in den für die Beurteilung der Anfechtbarkeit maßgeblichen Zeitpunkten neben den durch das Versäumnisurteil vom 20.11.2014 titulierten Forderungen weitere fällige und ernsthaft eingeforderte Verbindlichkeiten gegeben habe, zu deren Begleichung die Schuldnerin aus Mangel an liquiden Mitteln nicht in der Lage gewesen sei. Insbesondere sei die Schuldnerin zur Zahlung von Gewerbesteuer i.H.v. rd. 150.000 € verpflichtet gewesen. Daneben hätten Körperschaft- und Umsatzsteuerschulden i.H.v. gut 300.000 € bestanden. Außerdem habe die Schuldnerin ihrem Steuerberater rd. 15.000 € geschuldet, der Firma H. aus einem Werkvertrag rd. 11.000 € sowie der V. -Berufsgenossenschaft Beiträge i.H.v. rd. 3.000 €. Die Steuerverbindlichkeiten und die sonstigen Forderungen seien bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr beglichen worden.
Das LG hielt die streitgegenständlichen Anfechtungsansprüche auf der Grundlage von § 143 Abs. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO für begründet. Das OLG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Eine Anfechtbarkeit nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO lässt sich mit der Begründung des OLG nicht ausschließen.
Das OLG hat weder die mit Versäumnisurteil vom 20.11.2014 titulierte Forderung i.H.v. rd. 127.000 € nebst Zinsen in seine Betrachtung einbezogen, die mit der streitbefangenen Zwangsvollstreckung durchgesetzt wurde. Noch hat es die sonstigen Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber ihrem Steuerberater, der Firma H. und der V. -Berufsgenossenschaft gewürdigt, die fällig gewesen und bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sein sollen. Die dafür jeweils gegebene Begründung ist rechtsfehlerhaft. Es trifft nicht zu, dass aus der durch Versäumnisurteil vom 20.11.2014 titulierten eigenen Forderung der Beklagten und deren zwangsweiser Durchsetzung kein eigenständiges Indiz für die Zahlungseinstellung folgt.
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist der Begriff der Zahlungsunfähigkeit im Insolvenzrecht einheitlich zu verstehen. Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit in § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO stimmt daher mit § 17 InsO überein. Nichts anderes gilt für die Herleitung der Zahlungsunfähigkeit über die gesetzliche Vermutung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Dass aus dem (zögerlichen) Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber seinen Gläubigern Schlüsse auf die Zahlungseinstellung gezogen werden können, gilt daher auch im Rahmen des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Dass es sich um das Zahlungsverhalten gegenüber dem späteren Anfechtungsgegner handelt, hindert dessen Berücksichtigung nicht.
Soweit das OLG annimmt, im Falle einer Zwangsvollstreckung könne die zwangsweise durchgesetzte Forderung nicht als Indiz für eine Zahlungseinstellung herangezogen werden, weil andernfalls durch Zwangsvollstreckung erlangte Deckungen stets nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar wären, ist dies rechtsfehlerhaft. § 131 InsO sieht eine gegenüber § 130 InsO verschärfte Anfechtbarkeit vor, weil der Gläubiger, der eine ihm nicht (mehr) zustehende Leistung erhält, weniger schutzwürdig ist, als ein Gläubiger, dem eine kongruente Deckung gewährt wird. Deshalb sind inkongruente Deckungshandlungen nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ohne weiteres anfechtbar, wenn sie im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag erfolgt sind. § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO fordert für den Zeitraum des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag zusätzlich die objektive Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Diese kann, wie bei allen anderen Anfechtungstatbeständen auch, über die Zahlungseinstellung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO und insoweit aus dem Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber dem späteren Anfechtungsgegner erschlossen werden.
Das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber dem späteren Anfechtungsgegner ist nicht selten der einzige Anknüpfungspunkt für die Prüfung von Anfechtungstatbeständen, welche die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners voraussetzen. Das gilt insbesondere auch für den Anfechtungstatbestand des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO, den das OLG von seinem Rechtsstandpunkt aus hätte erwägen müssen. Richtigerweise ist das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber dem späteren Anfechtungsgegner in gleicher Weise bei der Prüfung des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu berücksichtigen. Dies gilt auch für die in inkongruenter Weise befriedigte Forderung selbst. Sonst würde das Ziel einer gegenüber § 130 InsO verschärften Anfechtbarkeit verfehlt.
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Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 13.5.2015 am 1.7.2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der F. GmbH (Schuldnerin). Er verlangt von der Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr von zwei Zahlungen i.H.v. insgesamt rd. 130.000 €, welche diese infolge einer Kontopfändung in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag erlangt hat.
Mit Versäumnisurteil vom 20.11.2014 verurteilte das LG Köln die Schuldnerin zur Zahlung von rd. 127.000 € nebst Zinsen an die Beklagte. Auf der Grundlage des vorläufig vollstreckbaren Versäumnisurteils beantragte die Beklagte unter dem 27.1.2015 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wegen Ansprüchen der Schuldnerin gegen deren Bank. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde der Bank am 5.2.2015 zugestellt. Zahlungen aufgrund der Pfändung erfolgten zunächst nicht, weil das gepfändete Konto keine entsprechende Deckung aufwies. Erst am 3. und 9.3.2015 kam es zu den angefochtenen beiden Zahlungen der Bank, nachdem ab dem 20.2.2015 Gutschriften auf dem Konto eingegangen waren.
Der Kläger behauptet, dass es in den für die Beurteilung der Anfechtbarkeit maßgeblichen Zeitpunkten neben den durch das Versäumnisurteil vom 20.11.2014 titulierten Forderungen weitere fällige und ernsthaft eingeforderte Verbindlichkeiten gegeben habe, zu deren Begleichung die Schuldnerin aus Mangel an liquiden Mitteln nicht in der Lage gewesen sei. Insbesondere sei die Schuldnerin zur Zahlung von Gewerbesteuer i.H.v. rd. 150.000 € verpflichtet gewesen. Daneben hätten Körperschaft- und Umsatzsteuerschulden i.H.v. gut 300.000 € bestanden. Außerdem habe die Schuldnerin ihrem Steuerberater rd. 15.000 € geschuldet, der Firma H. aus einem Werkvertrag rd. 11.000 € sowie der V. -Berufsgenossenschaft Beiträge i.H.v. rd. 3.000 €. Die Steuerverbindlichkeiten und die sonstigen Forderungen seien bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr beglichen worden.
Das LG hielt die streitgegenständlichen Anfechtungsansprüche auf der Grundlage von § 143 Abs. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO für begründet. Das OLG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Eine Anfechtbarkeit nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO lässt sich mit der Begründung des OLG nicht ausschließen.
Das OLG hat weder die mit Versäumnisurteil vom 20.11.2014 titulierte Forderung i.H.v. rd. 127.000 € nebst Zinsen in seine Betrachtung einbezogen, die mit der streitbefangenen Zwangsvollstreckung durchgesetzt wurde. Noch hat es die sonstigen Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber ihrem Steuerberater, der Firma H. und der V. -Berufsgenossenschaft gewürdigt, die fällig gewesen und bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sein sollen. Die dafür jeweils gegebene Begründung ist rechtsfehlerhaft. Es trifft nicht zu, dass aus der durch Versäumnisurteil vom 20.11.2014 titulierten eigenen Forderung der Beklagten und deren zwangsweiser Durchsetzung kein eigenständiges Indiz für die Zahlungseinstellung folgt.
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist der Begriff der Zahlungsunfähigkeit im Insolvenzrecht einheitlich zu verstehen. Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit in § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO stimmt daher mit § 17 InsO überein. Nichts anderes gilt für die Herleitung der Zahlungsunfähigkeit über die gesetzliche Vermutung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Dass aus dem (zögerlichen) Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber seinen Gläubigern Schlüsse auf die Zahlungseinstellung gezogen werden können, gilt daher auch im Rahmen des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Dass es sich um das Zahlungsverhalten gegenüber dem späteren Anfechtungsgegner handelt, hindert dessen Berücksichtigung nicht.
Soweit das OLG annimmt, im Falle einer Zwangsvollstreckung könne die zwangsweise durchgesetzte Forderung nicht als Indiz für eine Zahlungseinstellung herangezogen werden, weil andernfalls durch Zwangsvollstreckung erlangte Deckungen stets nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar wären, ist dies rechtsfehlerhaft. § 131 InsO sieht eine gegenüber § 130 InsO verschärfte Anfechtbarkeit vor, weil der Gläubiger, der eine ihm nicht (mehr) zustehende Leistung erhält, weniger schutzwürdig ist, als ein Gläubiger, dem eine kongruente Deckung gewährt wird. Deshalb sind inkongruente Deckungshandlungen nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ohne weiteres anfechtbar, wenn sie im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag erfolgt sind. § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO fordert für den Zeitraum des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag zusätzlich die objektive Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Diese kann, wie bei allen anderen Anfechtungstatbeständen auch, über die Zahlungseinstellung nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO und insoweit aus dem Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber dem späteren Anfechtungsgegner erschlossen werden.
Das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber dem späteren Anfechtungsgegner ist nicht selten der einzige Anknüpfungspunkt für die Prüfung von Anfechtungstatbeständen, welche die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners voraussetzen. Das gilt insbesondere auch für den Anfechtungstatbestand des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO, den das OLG von seinem Rechtsstandpunkt aus hätte erwägen müssen. Richtigerweise ist das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber dem späteren Anfechtungsgegner in gleicher Weise bei der Prüfung des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu berücksichtigen. Dies gilt auch für die in inkongruenter Weise befriedigte Forderung selbst. Sonst würde das Ziel einer gegenüber § 130 InsO verschärften Anfechtbarkeit verfehlt.
Kommentierung | InsO
§ 17 Zahlungsunfähigkeit
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