16.09.2024

Erfolglose Verfassungsbeschwerden u.a. gegen die Beendigung bilateraler Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten

Das BVerfG hat zwei Verfassungsbeschwerden der niederländischen Versicherungsgruppe Achmea nicht zur Entscheidung angenommen. Eine Beschwerde richtete sich gegen die Aufhebung eines Schiedsspruchs, in dem der Versicherungsgruppe auf Grundlage eines Investitionsschutzabkommens mit der Slowakei Schadensersatz i.H.v. 22,1 Mio € zugesprochen worden war. Die zweite Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen das Zustimmungsgesetz des Deutschen Bundestages zu dem EU-Übereinkommen, mit welchem bilaterale Investitionsschutzabkommen beendet werden. Das BVerfG sah beide Beschwerden als unzulässig an.

BVerfG v. 23.7.2024 - 2 BvR 557/19 u.a.
Der Sachverhalt:
Im Jahr 1991 schlossen die Tschechische und Slowakische Föderative Republik und das Königreich der Niederlande das Abkommen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen (BIT). Dessen Art. 8 weist alle Rechtsstreitigkeiten aus dem BIT einem Schiedsgericht zu (Schiedsklausel). 1993 trat die Slowakische Republik anstelle der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik in das BIT ein. Seit 2004 ist sie Mitglied der Europäischen Union.

Die Beschwerdeführerin, die niederländische Versicherungsgruppe Achmea, bot in der Slowakischen Republik über eine Tochtergesellschaft private Krankenversicherungen an. 2007 verbot die Slowakische Republik die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft. Das slowakische Verfassungsgericht erklärte das Verbot im Jahr 2011 für verfassungswidrig, woraufhin Gewinnausschüttungen wieder zugelassen wurden.

Bereits 2008 hatte die Beschwerdeführerin auf Grundlage von Art. 8 BIT ein Schiedsverfahren gegen die Slowakische Republik eingeleitet, in dem sie wegen des Verbots der Auszahlung von Gewinnausschüttungen Schadensersatz begehrte. Das Schiedsgericht legte Frankfurt a.M. als Schiedsort fest und verurteilte die Slowakische Republik 2012 zur Zahlung von 22,1 Mio €. Das OLG Frankfurt a.M. lehnte die Aufhebung des Schiedsspruchs ab. Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH sinngemäß die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob Schiedsklauseln wie diejenige in Art. 8 BIT mit dem Unionsrecht vereinbar seien. Der EuGH entschied, dass Art. 267, 344 AEUV Bestimmungen in internationalen Übereinkünften zwischen EU-Mitgliedstaaten wie der Schiedsklausel in Art. 8 BIT entgegenstehen (Achmea-Urteil). 2018 hob der BGH die Entscheidung des OLG und den Schiedsspruch auf. Zur Begründung führte er im Kern aus, dass es im Verhältnis der Parteien an einer Schiedsvereinbarung fehle und der Schiedsspruch deshalb gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a ZPO aufzuheben sei. Die Schiedsklausel in Art. 8 Abs. 2 BIT widerspreche Art. 267, 344 AEUV und sei daher nicht anwendbar.

2020 unterzeichneten 23 EU-Mitgliedstaaten - darunter die Bundesrepublik Deutschland, die Slowakische Republik und das Königreich der Niederlande - das Übereinkommen zur Beendigung bilateraler Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten der EU (Beendigungsübereinkommen). Nach Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 Beendigungsübereinkommen wird ein hiervon erfasstes bilaterales Investitionsschutzabkommen beendet, wenn "die jeweiligen Vertragsparteien" das Beendigungsübereinkommen ratifiziert, genehmigt oder angenommen haben. Das BIT ist im Anhang als vom Übereinkommen erfasster Vertrag aufgeführt. Die Slowakische Republik und das Königreich der Niederlande haben das Beendigungsübereinkommen ratifiziert. Der Deutsche Bundestag beschloss im November 2020 das Zustimmungsgesetz zu dem Beendigungsübereinkommen. Einen Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der im Kern darauf abzielte, das Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes zu verhindern, verwarf das BVerfG. Das Zustimmungsgesetz trat am 22.1.2021 in Kraft.

Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 557/19 richtet sich im Kern gegen einen Beschluss des BGH, mit dem dieser einen Schiedsspruch aufhob. Mit diesem war der Beschwerdeführerin in einem Schiedsverfahren mit der Slowakei auf Grundlage eines Investitionsschutzabkommens zwischen der Slowakei und den Niederlanden ("Bilateral Investment Treaty", BIT) Schadensersatz i.H.v. 22,1 Mio € zugesprochen worden. Hintergrund war ein 2007 bis 2011 geltendes Verbot von Gewinnausschüttungen aus Krankenversicherungsgeschäften in der Slowakei, das auch die Beschwerdeführerin betraf.

Mit der Verfassungsbeschwerde 2 BvR 141/22 wendet sich die Beschwerdeführerin gegen ein Zustimmungsgesetz des Deutschen Bundestages zu einem Übereinkommen zwischen mehreren EU-Mitgliedstaaten, mit welchem jeweils zwischen ihnen geschlossene bilaterale Investitionsschutzabkommen beendet werden; das BIT ist von dem Übereinkommen erfasst. Mit einem Eilantrag hatte die Beschwerdeführerin erfolglos versucht, das Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes zu verhindern.

Das BVerfG hat beide Verfassungsbeschwerden wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen (2 BvR 557/19, 2 BvR 141/22).

Die Gründe:
Die Verfassungsbeschwerden sind unzulässig. Im Verfahren 2 BvR 557/19 hat die Beschwerdeführerin ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht hinreichend substantiiert. Hiervon abgesehen ist eine Verletzung von Verfassungsrecht nicht hinreichend dargelegt. Im Verfahren 2 BvR 141/22 zeigt die Beschwerdeführerin nicht nachvollziehbar auf, dass sie durch das angegriffene Zustimmungsgesetz unmittelbar in eigenen Rechten betroffen ist.

I. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 557/19 richtet sich insbesondere gegen den Beschluss des BGH, mit dem dieser den zugunsten der Beschwerdeführerin ergangenen Schiedsspruch aufgehoben hat. Sie ist unzulässig.

1. Die Beschwerdeführerin hat ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht hinreichend substantiiert. Trotz entscheidungserheblicher Änderung der Sach- und Rechtslage durch das Inkrafttreten des Beendigungsübereinkommens setzt sie sich nicht damit auseinander, ob sie ihr Rechtsschutzziel noch erreichen kann.

a) Es spricht einiges dafür, dass die Schiedsabrede zwischen der Beschwerdeführerin und der Slowakischen Republik bereits deswegen unwirksam ist, weil das Beendigungsübereinkommen das BIT rückwirkend beendet hat. Der BGH müsste sich im Fall einer Zurückweisung der Sache jedenfalls mit dieser naheliegenden Frage befassen. Nähme er eine rückwirkende Beendigung des BIT und einen rückwirkenden Wegfall der Schiedsabrede an, würde er den Schiedsspruch aller Voraussicht nach erneut aufheben müssen (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a ZPO). Hiermit setzt sich die Beschwerdeführerin nicht substantiiert auseinander.

b) Die in Abschnitt 3 Beendigungsübereinkommen vorgesehenen Bestimmungen "zu Ansprüchen, die im Rahmen bilateraler Investitionsschutzverträge geltend gemacht werden" legen nahe, dass ergangene Schiedssprüche aufzuheben sind, und zwar unabhängig davon, ob das Schiedsverfahren als "abgeschlossen" oder "anhängig" einzustufen ist. Auch insoweit fehlt es an entsprechendem Vortrag der Beschwerdeführerin.

c) Die gegen das deutsche Zustimmungsgesetz zum Beendigungsübereinkommen gerichtete Verfassungsbeschwerde 2 BvR 141/22 ist unzulässig und hat bereits aus diesem Grund keine Bedeutung für die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 557/19.

2. Darüber hinaus erfüllt die Verfassungsbeschwerde nicht die Voraussetzungen an eine substantiierte Darlegung einer möglichen Verletzung von Rechten nach § 90 Abs. 1 BVerfGG. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass ihre durch das Grundgesetz garantierten materiellen Grundrechte durch den angegriffenen Beschluss des BGH verletzt seien, weil dieser sich nicht an das Achmea-Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union und die daraus folgende Auslegung der Vorschriften der Art. 267, 344 AEUV hätte gebunden sehen dürfen.

a) Grundsätzlich obliegt die verbindliche Auslegung des Unionsrechts und damit auch die Beantwortung der Frage, ob auf Grundlage von Art. 8 Abs. 2 BIT abgegebene Angebote auf Abschluss einer Schiedsabrede mit dem Unionsrecht vereinbar sind, dem Gerichtshof der Europäischen Union. Der BGH ist kraft des Anwendungsvorrangs an das Unionsrecht in der Auslegung durch den Gerichtshof gebunden. Dieser Anwendungsvorrang entfällt nur in eng begrenzten und besonders gelagerten Fallkonstellationen.

b) Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, dass sich der BGH nicht an die Vorgaben des Achmea-Urteils hätte gebunden sehen dürfen, weil es einen Ultra-vires-Akt darstelle, fehlt es an substantiierten Ausführungen dazu, dass die Rechtsanwendung des Gerichtshofs der Europäischen Union offenkundig unvertretbar ist und zu einer strukturellen Verschiebung von Kompetenzen auf die Europäische Union zulasten der Mitgliedstaaten führt.

c) Im Hinblick auf die erhobene Identitätsrüge beschränkt sich die Begründung der Verfassungsbeschwerde auf die Behauptung, dass der Bundesrepublik Deutschland ohne die Fähigkeit, im Bereich des Investitionsschutzes bilaterale völkerrechtliche Verträge mit anderen EU-Mitgliedstaaten mit einem Schiedsmechanismus einzugehen, ein wesentlicher Durchsetzungsmechanismus im völkerrechtlichen Raum andauernd versperrt sei und ihr dadurch wesentliche Fähigkeiten zur selbstverantwortlichen politischen und sozialen Gestaltung der Lebensverhältnisse genommen würden. Die Beschwerdeführerin geht jedoch nicht auf die Frage ein, ob im Streitfall überhaupt die Einschränkung von Kompetenzen gerade der Bundesrepublik Deutschland in Rede steht. Der angegriffene Beschluss des BGH, der das Achmea-Urteil umsetzt, bewirkt lediglich, dass der zugunsten der Beschwerdeführerin ergangene Schiedsspruch aufgehoben wird, welcher auf Grundlage des zwischen dem Königreich der Niederlande und der Slowakischen Republik geschlossenen BIT ergangen ist. Die Handlungsmöglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland werden insofern nicht berührt.

d) Schließlich ist nicht substantiiert vorgetragen, dass die Umsetzung vollharmonisierten Unionsrechts durch den BGH im vorliegenden Fall den Solange-Vorbehalt in Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Grundrechte des Grundgesetzes auslösen würde oder die Entscheidung sonst unvereinbar mit den einschlägigen Grundrechtsgewährleistungen wäre.

II. Im Verfahren 2 BvR 141/22 zeigt die Beschwerdeführerin nicht nachvollziehbar auf, dass sie durch das angegriffene Zustimmungsgesetz unmittelbar in eigenen Rechten betroffen ist.

Eine unmittelbare Beschwer der Beschwerdeführerin ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass das Zustimmungsgesetz Regelungen des Beendigungsübereinkommens ratifiziert, mit denen die hiervon erfassten bilateralen Investitionsschutzabkommen beendet werden. Es ist nicht hinreichend erkennbar, inwiefern das deutsche Zustimmungsgesetz Auswirkungen auf die Beendigung des hier maßgeblichen BIT haben sollte, welches zwischen der Slowakischen Republik und dem Königreich der Niederlande geschlossen wurde. Nach Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 Beendigungsübereinkommen wird ein hiervon erfasstes bilaterales Investitionsschutzabkommen wirksam beendet, wenn "die jeweiligen Vertragsparteien" das Beendigungsübereinkommen ratifiziert, genehmigt oder angenommen haben. Das hier maßgebliche BIT wird also dadurch beendet, dass das Königreich der Niederlande und die Slowakische Republik das Beendigungsübereinkommen ratifiziert haben. Die Ratifikation des Beendigungsübereinkommens durch die Bundesrepublik Deutschland berührt die Beendigung des BIT demgegenüber nicht. Selbst wenn also die Bundesrepublik Deutschland das Beendigungsübereinkommen nicht ratifiziert hätte, hätte dies keine Auswirkung auf die Beendigung des BIT. Nichts Anderes kann für den Fall gelten, dass das Zustimmungsgesetz verfassungs-, unionsrechts- oder konventionsrechtswidrig wäre und vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben würde.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Achmea-Urteil: Bilaterale Investitionsschutzabkommen mit Unionsrecht nicht vereinbar
EuGH vom 6.3.2018 - C-284/16
Harald Schaumburg, ISR 2018, 206

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BVerfG PM Nr. 77 vom 13.9.2024
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