Ermittlungen in Wettbewerbssachen: Kommission darf auch Informationen aus Zeit vor EU-Beitritt des betreffenden Landes verlangen
EuG 22.3.2012, T-458/09 u.a.Klägerin ist die Slovak Telekom, ein slowakisches Telekommunikationsunternehmen, dessen Anteile mehrheitlich von der Deutschen Telekom gehalten werden. Im Januar 2009 führte die beklagte EU-Kommission eine Nachprüfung bei der Klägerin durch. Im Anschluss daran unterrichtete sie die Klägerin davon, dass überprüft werden solle, ob sie im slowakischen Telekommunikationssektor eine beherrschende Stellung missbraucht habe. Mit zwei Entscheidungen verlangte die Kommission von der Klägerin Informationen über ihre Tätigkeit nicht nur für die Zeit nach dem Beitritt der Slowakei zur EU, sondern auch für die Zeit davor.
Die Kommission betonte allerdings, dass sie nicht beabsichtige, einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der Union in Bezug auf die Zeit vor dem 1.5.2004 festzustellen, sondern Informationen erlangen wolle, die erheblich seien, um in voller Kenntnis der Tatsachen und ihres wirtschaftlichen Kontexts die Vereinbarkeit des Verhaltens der Klägerin mit den Wettbewerbsregeln nach diesem Datum beurteilen zu können. Die Klägerin hält die Kommission für nicht befugt, Informationen über die Zeit vor dem 1.5.2004 zu verlangen, und erhob beim Gericht zwei Klagen auf Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidungen.
Das EuG wies die Klage ab. Gegen die Entscheidung kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim EuGH eingelegt werden.
Die Gründe:
Die Kommission durfte von der Klägerin die in den angefochtenen Entscheidungen bezeichneten Informationen verlangen.
Das Wettbewerbsrecht der Union räumt der Kommission weitgehende Ermittlungs- und Nachprüfungsbefugnisse ein. Sie darf von Unternehmen alle Auskünfte verlangen, die notwendig sind, um die nach den Wettbewerbsregeln untersagte missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung aufzudecken. Der Kommission steht insoweit Zugang zu solchen Informationen zu, bei denen Grund zu der Annahme besteht, dass sie eine Beziehung zu der vermuteten Zuwiderhandlung aufweisen. Außerdem ist es in Anbetracht des Umfangs ihrer Ermittlungs- und Nachprüfungsbefugnisse Sache der Kommission, die Erforderlichkeit der Auskünfte, die sie von den betroffenen Unternehmen verlangt, zu beurteilen.
Daher kann die Kommission - wie im Streitfall - von einem Unternehmen Auskünfte über einen Zeitraum, in dem die Wettbewerbsregeln der Union auf es nicht anwendbar waren, verlangen kann, wenn sich die Auskünfte als erforderlich erweisen, um einen etwaigen Verstoß gegen diese Regeln ab dem Zeitpunkt festzustellen, ab dem sie für das Unternehmen gelten. In diesem Zusammenhang war auch das Vorbringen der Klägerin, es gebe keinen Zusammenhang zwischen der vermuteten Zuwiderhandlung durch das Unternehmen und den verlangten Informationen gebe, zurückzuweisen.
Diese Informationen können es der Kommission durchaus ermöglichen, die relevanten Märkte zu bestimmen, festzustellen, ob das von der Ermittlung betroffene Unternehmen eine beherrschende Stellung auf diesen Märkten einnimmt, oder die Schwere des Verstoßes zu bemessen - und zwar unabhängig davon, dass sie sich auf die Zeit vor der angenommenen Zuwiderhandlung beziehen. Bestimmte Daten über die Zeit vor dem 1.5.2004 können für die Kommission zudem erforderlich sein, um den wirtschaftlichen Kontext darzustellen, in den sich das beanstandete Verhalten einfügt.
Linkhinweis:
Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.