20.08.2012

EuGH-Vorlage: Hat die sich aus § 10 LPresseG ergebende Kennzeichnungspflicht eine hinreichende Grundlage im Unionsrecht?

Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken hat in ihrem Anwendungsbereich zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt. Dementsprechend kann eine nationale Bestimmung ein Verhalten eines Unternehmens gegenüber einem Verbraucher nur dann als unzulässig ansehen, wenn die betreffende Regelung - hier die Bestimmung des § 10 LPresseG - eine Grundlage im Unionsrecht hat.

BGH 19.7.2012, I ZR 2/11
Der Sachverhalt:
Die Klägerin gibt das "Stuttgarter Wochenblatt" heraus, die in Stuttgart ansässige Beklagte ist Verlegerin des Anzeigenblatts "GOOD NEWS". Die Beklagte veröffentlichte in der Ausgabe von Juni 2009 zwei Beiträge, für die sie von Sponsoren ein Entgelt erhalten hatte. In der jeweiligen Titelzeile befand sich mit dem Zusatz "sponsored by" ein grafisch hervorgehobener Hinweis auf den Sponsor. Danach folgte eine redaktionelle Bildberichterstattung bzw. ein redaktionelles Kurzporträt. Die Beiträge schlossen jeweils mit einer durch einen Trennstrich abgesetzte und mit dem Wort "Anzeige" kenntlich gemachten Werbung ab.

Die Klägerin war der Ansicht, die Veröffentlichungen verstießen gegen § 10 des LPresseG Baden-Württemberg, weil sie nicht deutlich als Anzeigen gekennzeichnet seien. Da die jeweiligen Sponsoren für die Veröffentlichungen bezahlt hätten, handele es sich um entgeltliche Veröffentlichungen. LG und OLG gaben der Unterlassungsklage statt. Auf die die Revision der Beklagten setzte der BGH das Verfahren aus und legte die Sache dem EuGH mit der Frage zur Vorabentscheidung vor, ob

Art. 7 Abs. 2 u. Nr. 11 des Anhangs I zu Art. 5 Abs. 5 i.V..m. Art. 4 u. Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken der Anwendung einer nationalen Vorschrift (hier: § 10 LPresseG Baden-Württemberg) entgegenstehen, die neben dem Schutz der Verbraucher vor Irreführungen auch dem Schutz der Unabhängigkeit der Presse dient und die im Gegensatz zu Art. 7 Abs. 2 u. Nr. 11 des Anhangs I zu Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie jede entgeltliche Veröffentlichung unabhängig von dem damit verfolgten Zweck verbietet, wenn die Veröffentlichung nicht durch die Verwendung des Begriffs "Anzeige" kenntlich gemacht wird, es sei denn, schon durch die Anordnung und Gestaltung der Veröffentlichung ist zu erkennen, dass es sich um eine Anzeige handelt.

Die Gründe:
Der Senat hält es nicht für eindeutig geklärt, ob die sich aus § 10 LPresseG ergebende Kennzeichnungspflicht der Presseunternehmen eine hinreichende Grundlage im Unionsrecht hat.

Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken hat in ihrem Anwendungsbereich (Art. 3 der Richtlinie) zu einer vollständigen Harmonisierung des Lauterkeitsrechts geführt. Sie regelt abschließend, welche Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern als unlauter anzusehen und deswegen unzulässig sind. Dementsprechend kann eine nationale Bestimmung ein Verhalten eines Unternehmens gegenüber einem Verbraucher nur dann als unzulässig ansehen, wenn die betreffende Regelung - hier die Bestimmung des § 10 LPresseG - eine Grundlage im Unionsrecht hat.

Die Mitgliedstaaten dürfen im Anwendungsbereich der Richtlinie grundsätzlich keine strengeren als die in der Richtlinie festgelegten Maßnahmen erlassen, und zwar auch nicht, um ein höheres Verbraucherschutzniveau zu erreichen. Soweit § 10 LPresseG als Marktverhaltensregelung zum Zwecke des Verbraucherschutzes Irreführungen verhindern soll, hat die Vorschrift ihre unionsrechtliche Grundlage zwar im Ausgangspunkt in den Irreführungsverboten der Art. 7 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 5 i.V.m. Nr. 11 des Anhangs I der Richtlinie. Allerdings stellt § 10 LPresseG strengere Anforderungen an das Verhalten der Presseunternehmen als die unionsrechtlichen Vorgaben.

Andererseits ist zu erwägen, ob die im Unionsrecht geregelten Trennungsgebote nicht Ausdruck der verfassungsrechtlich garantierten Rundfunk- und Pressefreiheit sind, die nicht nur im nationalen Recht (Art. 5 Abs. 1 GG) und in der Europäischen Konvention der Menschenrechte (Art. 10 Abs. 1 EMRK), sondern auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 11 EU-Grundrechtecharta) verankert ist.

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