27.01.2025

EuGH-Vorlage zur Auslegung von Art. 13 EuInsVO a.F.

Der BGH hat dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO a.F.) vorgelegt. Der BGH möchte u.a. wissen, ob sich die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigte Person gegenüber einem Rückforderungsverlangen des Insolvenzverwalters auch dann auf die Wirkungen dieser Bestimmung berufen kann, wenn das Rückforderungsverlangen dazu dient, den nach dem anwendbaren Recht des Staates der Verfahrenseröffnung geltenden Nachrang (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. i EuInsVO a.F.) durchzusetzen.

BGH v. 16.1.2025 - IX ZR 229/23
Der Sachverhalt:
Die Klägerin, ein Maschinenbauunternehmen in der Rechtsform einer GmbH österreichischen Rechts mit Sitz in Österreich, und die M. GmbH mit Sitz in Deutschland (Schuldnerin) standen in laufender Geschäftsbeziehung. Sie gehörten zur österreichischen Unternehmensgruppe S. Gesellschafterin der Klägerin mit einem Anteil von 78 % ist die H. GmbH mit Sitz in Österreich. Die H. GmbH war zudem mit einem Anteil von 33 % Gesellschafterin der Schuldnerin. Die weiteren Gesellschafter der Schuldnerin waren Österreicher. Auf einen Eigenantrag der Schuldnerin vom 15.7.2016 eröffnete das Insolvenzgericht am 1.10.2016 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.

Mit Darlehensvertrag vom 19.5.2015 gewährte die Klägerin der Schuldnerin ein Darlehen über 3 Mio. € und mit weiterem Darlehensvertrag vom 16.6.2015 ein solches über 2 Mio. €. Beide Darlehensverträge enthielten eine Bestimmung, dass diese Vereinbarung österreichischem Recht unterliege. Zur Sicherung der Ansprüche aus dem Darlehensvertrag vom 19.5.2015 trat die Schuldnerin ihr gegen ein weiteres Unternehmen zustehende Zahlungsansprüche an die Klägerin ab, die sich auf 3 Mio. € beliefen. Soweit für das Vorlageverfahren von Interesse zahlte die Schuldnerin auf das Darlehen vom 19.5.2015 am 10.3.2016 einen Betrag i.H.v. 500.000 € an die Klägerin. Außerdem leistete sie Zinszahlungen für das vierte Quartal 2015 und das erste und zweite Quartal 2016 i.H.v. insgesamt rd. 90.000 €. Auf das Darlehen vom 16.6.2015 leistete die Schuldnerin an die Klägerin Zinszahlungen für das dritte und vierte Quartal 2015 i.H.v. insgesamt rd. 100.000 €.

Die Klägerin meldete Forderungen aus den Darlehen vom 19.5.2015 i.H.v. rd. 2,5 Mio. € und aus dem Darlehen vom 16.6.2015 i.H.v. rd. 2 Mio. € zur Tabelle an. Zudem beansprucht sie die abgesonderte Befriedigung aus den ihr zur Sicherheit abgetretenen Zahlungsansprüchen. Der Beklagte bestritt die angemeldeten Forderungen und das Absonderungsrecht. Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Forderungen zur Tabelle sowie die Feststellung, dass ihr hinsichtlich der Forderungen aus dem Darlehensvertrag vom 19.5.2015 ein Absonderungsrecht in Bezug auf die abgetretenen Zahlungsansprüche zusteht. Der Beklagte verlangt widerklagend im Wege der Insolvenzanfechtung Rückgewähr der Zins- und Tilgungsleistungen auf die Darlehen i.H.v. insgesamt rd. 690.000 € nebst Zinsen.

LG und OLG wiesen die Klage ab und gaben der Widerklage statt. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge in vollem Umfang weiter.

Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Die Gründe:
Auf das Insolvenzverfahren ist deutsches Insolvenzrecht anzuwenden. Das anwendbare Recht richtet sich nach den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO a.F.), weil das Insolvenzverfahren vor dem 26.6.2017 eröffnet worden ist. Gem. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO a.F. gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird (lex fori concursus). Das ist hier deutsches Recht, weil das Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet worden ist. Daher regelt im Streitfall das deutsche Insolvenzrecht insbesondere, welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. g EuInsVO a.F.), es regelt die Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Vermögens und den Rang der Forderungen der Gläubiger (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. i EuInsVO a.F.), und es regelt, welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. m EuInsVO a.F.).

Nach deutschem Insolvenzrecht sind, wenn die Schuldnerin eine Gesellschaft ist, die weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter hat, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (§ 39 Abs. 4 Satz 1 InsO), Forderungen eines Gesellschafters dieser Schuldnerin auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, nur nachrangig zu befriedigende Forderungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO a.F.; seit 1.1.2021 wortgleich § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO). Solche Forderungen der Gesellschafter werden erst im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger und im Rang nach den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 InsO genannten Forderungen berichtigt. Die Frage des Rangs eines Gesellschafterdarlehens in der Insolvenz ist insolvenzrechtlich zu qualifizieren. Es handelt sich nämlich um die Frage, unter welchen Voraussetzungen bestimmte am Schuldner selbst beteiligte Gläubiger mit ihren Forderungen im Insolvenzfall nicht zum Zuge kommen. Außerhalb des Insolvenzfalls haben diese Regelungen hingegen keine Bedeutung.

Hinsichtlich der Darlehenszahlungen kommt die Frage auf, welche Bedeutung insbesondere Art. 13 EuInsVO a.F. zukommt. Die Klägerin macht geltend, dass aufgrund der für die Darlehensverträge getroffenen Rechtswahl gem. Art. 3 Abs. 1 Rom-I-VO österreichisches Recht auf die Darlehensverträge anwendbar sei. Nach österreichischem Recht seien sämtliche Rechtshandlungen in keiner Weise angreifbar. Da das OLG von seinem Standpunkt aus konsequent keine Tatsachenfeststellungen zum Vorliegen einer entsprechenden Rechtswahl und zum Inhalt des österreichischen Rechts getroffen hat, ist für die rechtliche Nachprüfung durch den Senat vom Vortrag der Klägerin auszugehen. Nach deutschem Revisionsrecht ist eine Zurückverweisung der Sache an das OLG allein zur Nachholung dieser Feststellungen nicht zulässig. Im Übrigen sind die Voraussetzungen einer Anfechtbarkeit der Rechtswahl als solcher vorliegend zu verneinen.

Vor diesem Hintergrund wirft die Entscheidung des Falles hinsichtlich der Widerklage klärungsbedürftige Rechtsfragen zur Reichweite und zum Verständnis von Art. 13 EuInsVO a.F. auf. Nach dieser Norm findet Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. m EuInsVO a.F. keine Anwendung, wenn die Person, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurde, nachweist, dass für diese Handlung das Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Staates der Verfahrenseröffnung maßgeblich ist und dass in diesem Fall diese Handlung in keiner Weise nach diesem Recht angreifbar ist. Nach alldem werden dem EuGH zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gem. Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen vorgelegt:
  1. Ist Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO a.F.) dahingehend auszulegen, dass sich die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigte Person gegenüber einem Rückforderungsverlangen des Insolvenzverwalters auch dann auf die Wirkungen dieser Bestimmung berufen kann, wenn das Rückforderungsverlangen dazu dient, den nach dem anwendbaren Recht des Staates der Verfahrenseröffnung geltenden Nachrang (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. i EuInsVO a.F.) durchzusetzen?
  2. Sofern Frage 1 bejaht wird: Ist Art. 13 EuInsVO a.F. dahingehend auszulegen, dass die Bestimmung auch gegenüber Anfechtungstatbeständen gilt, welche dazu dienen, die von einem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft gewährten Darlehen im Vorfeld der Insolvenz zur Sicherung der Kapitalausstattung der Gesellschaft dem haftenden Eigenkapital weitgehend gleichzustellen?
  3. Sofern Frage 2 bejaht wird: Ist Art. 13 EuInsVO a.F. dahingehend auszulegen, dass sich das auf ein von einem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft der Gesellschaft gewährte Darlehen anwendbare Recht nach dem Gesellschaftsstatut richtet?
  4. Sofern Frage 3 verneint wird: Ist Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) für das nach Art. 13 Buchst. a EuInsVO a.F. zu bestimmende maßgebliche Recht anwendbar und dahingehend auszulegen, dass Eingriffsnormen auch in vertragsrechtlichen Regelungen in nationalen Insolvenzvorschriften - wie solchen über den Nachrang von Gesellschafterdarlehen und die Rechtsfolgen des Nachrangs - enthalten sein können?

Mehr zum Thema:

Kommentierung | InsO
§ 235 Erörterungs- und Abstimmungstermin
Fiebig in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023

Beratermodul Insolvenzrecht
Kombiniert bewährte Inhalte von C.F. Müller und Otto Schmidt zu Insolvenzrecht, Sanierung und Restrukturierung in einer Online-Bibliothek. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. Neuer Inhalt: Scholz GmbHG Kommentar. Enthält mit den §§ 15 ff., 135 InsO umfassende und neue Kommentierungen des Insolvenzrechts der GmbH. 4 Wochen gratis nutzen!

BGH online
Zurück