Factoring: Zur Zurechnung der Kenntnis des Forderungsverkäufers von der Zahlungsunfähigkeit des späteren Insolvenzschuldners
BGH v. 25.5.2023 - IX ZR 116/21
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 14.7.2015 am 28.8.2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der T. GmbH (Schuldnerin). Gegenstand des Unternehmens der Schuldnerin war die Produktion und der Vertrieb von Räucherfisch. Am 24.11.2014 schloss die Schuldnerin mit der AG, einem Dienstleister im Bereich der Mittelstandsfinanzierung, einen Rahmenvertrag, in dem sich die AG dazu verpflichtete, auf Anforderung der Schuldnerin Waren oder Investitionsgüter zu erwerben und an diese mit einem vereinbarten Zahlungsziel von 60 Tagen weiter zu veräußern. Die AG räumte der Schuldnerin ein Bestelllimit von 100.000 € ein.
Die AG hatte im August 2014 ihrerseits einen Factoringvertrag mit der Beklagten geschlossen, in dem sie sich verpflichtet hatte, ihre künftig entstehenden Forderungen aus Warenlieferungen oder Leistungen der Beklagten zum Kauf anzubieten und ihr bereits im Voraus abzutreten. Als Gegenleistung sollte die Beklagte der AG den Bruttobetrag der Forderung abzüglich einer Factoringgebühr und Zinsen gutschreiben. Gegenstand des Factoringvertrags, in dem die Beklagte als Factor und die AG als Firma bezeichnet sind, waren folgende Regelungen:
"7.1 Dem Factor obliegen Mahn- und weitergehende Rechtsverfolgungsmaßnahmen für alle angekauften und abgetretenen Forderungen. [...]
11.1 Die Firma verpflichtet sich, jede vom Factor geforderte Unterstützung zur Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Debitoren nach besten Kräften unverzüglich zu gewähren, insbesondere durch Auskunftserteilung, Überlassung von Unterlagen sowie Abgabe aller Erklärungen, die ggf. zur Durchsetzung erforderlich sind. [...]"
Weitere Grundlage der Geschäftsbeziehungen zwischen der Beklagten und der AG waren die Allgemeinen Factoringbedingungen der Beklagten. Diese enthielten folgende Regelung:
"4. b) Sind oder werden der Firma Umstände bekannt, welche die Zahlungsunfähigkeit des Debitors und die Durchsetzung einer zum Kauf anzubietenden, angebotenen bzw. angekauften Forderung gefährden könnten, hat sie dem Factor diese Umstände unverzüglich mitzuteilen."
Am 9.2.2015 stellte die AG der Schuldnerin eine Rechnung für Warenlieferungen über rd. 54.000 € und teilte ihr zugleich mit, dass sie die Forderung an die Beklagte abgetreten habe und der Rechnungsbetrag mit schuldbefreiender Wirkung nur an die Beklagte gezahlt werden könne. Innerhalb des bis zum 9.5.2015 verlängerten Zahlungszeitraums beglich die Schuldnerin die Rechnung nicht. Am 22.5.2015 erklärte die Schuldnerin gegenüber der AG, sie könne eine Zahlung der Forderung bis zum 27. oder 28.6.2015 zusagen. Die AG lehnte eine Zahlung bis zum 27. oder 28.6.2015 ab, forderte die Schuldnerin zur Zahlung bis zum 27.5.2015 auf und drohte ihr für den Fall der Nichtzahlung an, dass die Einkaufslinie der Schuldnerin gestrichen werde. Am 28.5.2015 überwies die Schuldnerin den Rechnungsbetrag an die Beklagte. Der Kläger verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr der rd. 54.000 € nebst Zinsen sowie die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr weitgehend statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG zurück.
Die Gründe:
Mit den vom OLG getroffenen Feststellungen kann das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO - also die positive Kenntnis der Beklagten als Anfechtungsgegnerin von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin - nicht angenommen werden.
Mit Recht wendet sich die Revision gegen die Ansicht des OLG, der Beklagten sei die Kenntnis der AG von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin in entsprechender Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist § 166 Abs. 1 BGB entsprechend auch auf sog. Wissensvertreter anzuwenden. Der Geschäftsherr muss sich seiner im rechtsgeschäftlichen Verkehr wie eines Vertreters bedienen; einer ausdrücklichen Bestellung zum rechtsgeschäftlichen Vertreter oder zum Wissensvertreter bedarf es hierfür nicht.
Danach muss sich die Beklagte das Wissen der AG nicht zurechnen lassen. Zutreffend geht das OLG davon aus, dass eine Wissenszurechnung auch im Rahmen der Insolvenzanfechtung in Betracht kommt. Jedoch rechtfertigen weder die in Nr. 11.1 des Factoringvertrags und in Nr. 4 Buchst. b der Allgemeinen Factoringbedingungen niedergelegten Unterstützungs- und Informationspflichten der AG eine Wissenszurechnung entsprechend § 166 Abs. 1 BGB, noch kann allein aus dem Umstand, dass die Beklagte trotz Verstreichens der Zahlungsfrist am 9.5.2015 bis zur Erfüllung der Forderung am 28.5.2015 gegenüber der Schuldnerin untätig geblieben ist, darauf geschlossen werden, dass die Beklagte die AG mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut hat. Aus den in Nr. 11.1 des Factoringvertrags und Nr. 4 Buchst. b der Allgemeinen Factoringbedingungen geregelten Pflichten der AG, die Beklagte bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegen Debitoren zu unterstützen und Informationen über die Zahlungsunfähigkeit eines Debitors mitzuteilen, folgt keine für eine Wissenszurechnung ausreichende Stellung der AG in Bezug auf die Beklagte.
Bei diesen Regelungen handelt es sich um eine in echten Factoring-Verträgen typischerweise vorkommende Konkretisierung der sich bereits aus § 402 BGB ergebenden Nebenpflichten des Forderungsverkäufers. Nach § 402 BGB ist der bisherige Gläubiger verpflichtet, dem neuen Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen. Die Vorschrift gibt dem neuen Gläubiger im Interesse der Verkehrsfähigkeit von Forderungen Hilfsansprüche gegen den bisherigen Gläubiger an die Hand, die dem neuen Gläubiger die erfolgreiche Durchsetzung der Forderung erleichtern sollen.
Nach allgemeiner Meinung erstreckt sich die Auskunftspflicht des bisherigen Gläubigers auch auf die ihm bekannten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und auf solche Tatsachen und Umstände, die erst nach der Abtretung eingetreten sind oder die ihm erst nach der Abtretung bekannt geworden sind. Bereits die Stellung des § 402 BGB im Gesetz spricht dafür, dass es sich bei der dort normierten Auskunftspflicht um eine reine Nebenpflicht des bisherigen Gläubigers handelt, deren Verletzung allenfalls eine Schadensersatzpflicht des bisherigen Gläubigers nach sich zieht. Hingegen handelt es sich nicht um eine allgemeine Vorschrift zur Wissenszurechnung. Aus der Nebenpflicht des Forderungsverkäufers zur Auskunftserteilung beim echten Factoring folgt damit für sich genommen keine für eine Wissenszurechnung ausreichende Stellung im Verhältnis zum Factor.
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Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, Handelsgesetzbuch, 5. Aufl.
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BGH online
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 14.7.2015 am 28.8.2015 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der T. GmbH (Schuldnerin). Gegenstand des Unternehmens der Schuldnerin war die Produktion und der Vertrieb von Räucherfisch. Am 24.11.2014 schloss die Schuldnerin mit der AG, einem Dienstleister im Bereich der Mittelstandsfinanzierung, einen Rahmenvertrag, in dem sich die AG dazu verpflichtete, auf Anforderung der Schuldnerin Waren oder Investitionsgüter zu erwerben und an diese mit einem vereinbarten Zahlungsziel von 60 Tagen weiter zu veräußern. Die AG räumte der Schuldnerin ein Bestelllimit von 100.000 € ein.
Die AG hatte im August 2014 ihrerseits einen Factoringvertrag mit der Beklagten geschlossen, in dem sie sich verpflichtet hatte, ihre künftig entstehenden Forderungen aus Warenlieferungen oder Leistungen der Beklagten zum Kauf anzubieten und ihr bereits im Voraus abzutreten. Als Gegenleistung sollte die Beklagte der AG den Bruttobetrag der Forderung abzüglich einer Factoringgebühr und Zinsen gutschreiben. Gegenstand des Factoringvertrags, in dem die Beklagte als Factor und die AG als Firma bezeichnet sind, waren folgende Regelungen:
"7.1 Dem Factor obliegen Mahn- und weitergehende Rechtsverfolgungsmaßnahmen für alle angekauften und abgetretenen Forderungen. [...]
11.1 Die Firma verpflichtet sich, jede vom Factor geforderte Unterstützung zur Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Debitoren nach besten Kräften unverzüglich zu gewähren, insbesondere durch Auskunftserteilung, Überlassung von Unterlagen sowie Abgabe aller Erklärungen, die ggf. zur Durchsetzung erforderlich sind. [...]"
Weitere Grundlage der Geschäftsbeziehungen zwischen der Beklagten und der AG waren die Allgemeinen Factoringbedingungen der Beklagten. Diese enthielten folgende Regelung:
"4. b) Sind oder werden der Firma Umstände bekannt, welche die Zahlungsunfähigkeit des Debitors und die Durchsetzung einer zum Kauf anzubietenden, angebotenen bzw. angekauften Forderung gefährden könnten, hat sie dem Factor diese Umstände unverzüglich mitzuteilen."
Am 9.2.2015 stellte die AG der Schuldnerin eine Rechnung für Warenlieferungen über rd. 54.000 € und teilte ihr zugleich mit, dass sie die Forderung an die Beklagte abgetreten habe und der Rechnungsbetrag mit schuldbefreiender Wirkung nur an die Beklagte gezahlt werden könne. Innerhalb des bis zum 9.5.2015 verlängerten Zahlungszeitraums beglich die Schuldnerin die Rechnung nicht. Am 22.5.2015 erklärte die Schuldnerin gegenüber der AG, sie könne eine Zahlung der Forderung bis zum 27. oder 28.6.2015 zusagen. Die AG lehnte eine Zahlung bis zum 27. oder 28.6.2015 ab, forderte die Schuldnerin zur Zahlung bis zum 27.5.2015 auf und drohte ihr für den Fall der Nichtzahlung an, dass die Einkaufslinie der Schuldnerin gestrichen werde. Am 28.5.2015 überwies die Schuldnerin den Rechnungsbetrag an die Beklagte. Der Kläger verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr der rd. 54.000 € nebst Zinsen sowie die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr weitgehend statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG zurück.
Die Gründe:
Mit den vom OLG getroffenen Feststellungen kann das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO - also die positive Kenntnis der Beklagten als Anfechtungsgegnerin von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin - nicht angenommen werden.
Mit Recht wendet sich die Revision gegen die Ansicht des OLG, der Beklagten sei die Kenntnis der AG von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin in entsprechender Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist § 166 Abs. 1 BGB entsprechend auch auf sog. Wissensvertreter anzuwenden. Der Geschäftsherr muss sich seiner im rechtsgeschäftlichen Verkehr wie eines Vertreters bedienen; einer ausdrücklichen Bestellung zum rechtsgeschäftlichen Vertreter oder zum Wissensvertreter bedarf es hierfür nicht.
Danach muss sich die Beklagte das Wissen der AG nicht zurechnen lassen. Zutreffend geht das OLG davon aus, dass eine Wissenszurechnung auch im Rahmen der Insolvenzanfechtung in Betracht kommt. Jedoch rechtfertigen weder die in Nr. 11.1 des Factoringvertrags und in Nr. 4 Buchst. b der Allgemeinen Factoringbedingungen niedergelegten Unterstützungs- und Informationspflichten der AG eine Wissenszurechnung entsprechend § 166 Abs. 1 BGB, noch kann allein aus dem Umstand, dass die Beklagte trotz Verstreichens der Zahlungsfrist am 9.5.2015 bis zur Erfüllung der Forderung am 28.5.2015 gegenüber der Schuldnerin untätig geblieben ist, darauf geschlossen werden, dass die Beklagte die AG mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut hat. Aus den in Nr. 11.1 des Factoringvertrags und Nr. 4 Buchst. b der Allgemeinen Factoringbedingungen geregelten Pflichten der AG, die Beklagte bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegen Debitoren zu unterstützen und Informationen über die Zahlungsunfähigkeit eines Debitors mitzuteilen, folgt keine für eine Wissenszurechnung ausreichende Stellung der AG in Bezug auf die Beklagte.
Bei diesen Regelungen handelt es sich um eine in echten Factoring-Verträgen typischerweise vorkommende Konkretisierung der sich bereits aus § 402 BGB ergebenden Nebenpflichten des Forderungsverkäufers. Nach § 402 BGB ist der bisherige Gläubiger verpflichtet, dem neuen Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen. Die Vorschrift gibt dem neuen Gläubiger im Interesse der Verkehrsfähigkeit von Forderungen Hilfsansprüche gegen den bisherigen Gläubiger an die Hand, die dem neuen Gläubiger die erfolgreiche Durchsetzung der Forderung erleichtern sollen.
Nach allgemeiner Meinung erstreckt sich die Auskunftspflicht des bisherigen Gläubigers auch auf die ihm bekannten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und auf solche Tatsachen und Umstände, die erst nach der Abtretung eingetreten sind oder die ihm erst nach der Abtretung bekannt geworden sind. Bereits die Stellung des § 402 BGB im Gesetz spricht dafür, dass es sich bei der dort normierten Auskunftspflicht um eine reine Nebenpflicht des bisherigen Gläubigers handelt, deren Verletzung allenfalls eine Schadensersatzpflicht des bisherigen Gläubigers nach sich zieht. Hingegen handelt es sich nicht um eine allgemeine Vorschrift zur Wissenszurechnung. Aus der Nebenpflicht des Forderungsverkäufers zur Auskunftserteilung beim echten Factoring folgt damit für sich genommen keine für eine Wissenszurechnung ausreichende Stellung im Verhältnis zum Factor.
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Mit dem Aktionsmodul stehen dem umfassend tätigen Gesellschaftsrechtler fünf Beratermodule zur Verfügung. Inklusive Beratermodul AG, GmbHR und ZIP. Zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! Jetzt vorab hier online im Kallmeyer topaktuelle Kommentierungen des MgVG und des MgFSG! 4 Wochen gratis nutzen!