Festsetzung eines Ordnungsgelds nach § 890 ZPO gegen juristische Person nicht gegen deren Organ
OLG Hamburg v. 17.7.2023 - 15 W 13/23
Der Sachverhalt:
Der Antragsgegner (Schuldner) ist einer der Geschäftsführer der Antragsgegnerin. Auf Antrag der Antragstellerin (Gläubigerin) verbot das LG dem Schuldner und der Antragsgegnerin mit Urteil vom 11.2.2022 im Wege der einstweiligen Verfügung aus lauterkeitsrechtlichen Gründen, das Bewegungsspielzeug "M" anzubieten. Daraufhin stellten die Antragsgegnerin und der Schuldner den Vertrieb dieses Bewegungsspielzeugs ein. Gegen das Urteil legte nur die Antragsgegnerin Berufung ein; der Schuldner focht es nicht an.
Das Berufungsverfahren fand vor dem erkennenden Senat statt (Az.: 15 U 58/23). Mit Urteil vom 9.6.2022 änderte der Senat das Urteil des LG ab, hob die gegen die Antragsgegnerin ergangene einstweilige Verfügung auf und wies den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurück. Kurz darauf fanden sich auf verschiedenen Plattformen im Internet Mitteilungen dergestalt, dass die einstweilige Verfügung gegen die Antragsgegnerin aufgehoben worden sei und der "M" in Kürze wieder erhältlich sein werde. Das Spielzeug wurde sodann (und wird noch) auf der Internetseite der Antragsgegnerin als auch auf Internetseiten anderer Händler wieder zum Kauf angeboten.
In den genannten Ankündigungen und Kaufangeboten erblickt die Gläubigerin einen Verstoß des Schuldners gegen das ihm gegenüber nach wie vor wirksame Unterlassungsgebot aus dem Urteil des LG. Sie hat daher die Festsetzung eines empfindlichen Ordnungsgeldes gegen den Schuldner wegen Zuwiderhandlungen gegen den Unterlassungstitel des Urteils des LG beantragt, die dieser in seiner Funktion als Geschäftsführer der Antragsgegnerin begangen haben soll.
Das LG wies den Antrag zurück. Die in Rede stehenden vermeintlichen Verstöße würden Handlungen des Schuldners betreffen, die dieser als Geschäftsführer der Antragsgegnerin vorgenommen habe. Daher seien die Verstöße gem. § 31 BGB der Antragsgegnerin zuzurechnen. Das habe zur Folge, dass wegen der Verstöße ein Ordnungsgeld allein gegen die Antragsgegnerin verhängt werden könne, die aber zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr zur Unterlassung verpflichtet gewesen sei. Ein Ordnungsgeld gegen den Schuldner komme hingegen nicht in Betracht, weil kein eigenes schuldhaftes Verhalten des Schuldners vorgetragen sei, für das er persönlich einzustehen hätte. Die zulässige sofortige Beschwerde der Gläubigerin hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde zum BGH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Die Gründe:
Das LG hat den Antrag der Gläubigerin auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen den Schuldner zu Recht zurückgewiesen.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Ordnungsgeld nach § 890 ZPO nur gegen die juristische Person festzusetzen, wenn sowohl diese als auch ihr Organ aus einem Vollstreckungstitel zur Unterlassung verpflichtet sind und das Organ im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit für die juristische Person dem Verbot zuwiderhandelt. Die Festsetzung eines Ordnungsmittels gegen die juristische Person setze, da die juristische Person selbst nicht handlungsfähig sei und durch ihre Organe handle, nur einen schuldhaften Verstoß des Organs gegen das Unterlassungsgebot voraus. Es bestehe aber kein Anlass, auf Grund einer der juristischen Person zurechenbaren schuldhaften Zuwiderhandlung ihres Organs daneben zusätzlich Ordnungsmittel gegen das Organ festzusetzen oder dessen gesamtschuldnerische Haftung zu begründen. Mit dem Sanktionscharakter der Ordnungsmittel nach § 890 ZPO sei es schwerlich vereinbar, dass das Handeln einer natürlichen Person die Festsetzung ein und desselben Ordnungsmittels gegen mehrere Personen zur Folge habe. Aus Sicht des erkennenden Senats gilt dies erst recht dann, wenn wie hier der ursprünglich auch gegen die juristische Person ergangene Unterlassungstitel inzwischen aus materiell-rechtlichen Gründen aufgehoben worden ist.
Gegen die Verhängung eines Ordnungsmittels gegen den Schuldner sprechen zudem die folgenden Erwägungen: Nach dem Verständnis des Senats enthält die Entscheidung "Titelschuldner im Zwangsvollstreckungsverfahren" die Aussage, dass die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen das Organ einer juristischen Person bei Inanspruchnahme sowohl des Organs als auch der juristischen Person von vornherein nur dann in Betracht kommt, wenn das Handeln des Organs der juristischen Person nicht nach § 31 BGB zurechenbar ist. Das gilt unabhängig davon, ob auch gegen die juristische Person ein Ordnungsgeld festgesetzt werden könnte. Der BGH führt aus, dass die gesonderte Inanspruchnahme des Organs neben der juristischen Person im Erkenntnisverfahren - trotz des Grundsatzes, dass bei einem Handeln des Organs im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit für die juristische Person eine Festsetzung des Ordnungsgeldes nur gegen die juristische Person in Betracht kommt - nicht überflüssig sei, da sie dann Bedeutung erlange, wenn das Handeln des Organs der juristischen Person nicht nach § 31 BGB zurechenbar sei, etwa wenn das Organ für einen neben der juristischen Person bestehenden eigenen Geschäftsbetrieb oder eine andere juristische Person die schuldhafte Zuwiderhandlung begangen hat.
Daraus folgt, dass der BGH bei der Frage des Adressaten des Ordnungsgeldes danach unterscheidet, als wessen Handeln sich die Zuwiderhandlung der natürlichen Person, um die es sich bei dem Organ handelt, darstellt. Ist die Zuwiderhandlung nach § 31 BGB der juristischen Person zuzurechnen, ist diese Adressatin des Ordnungsgeldes; handelt das Organ außerhalb seiner Geschäftstätigkeit und ist sein Handeln der juristischen Person deshalb nicht zuzurechnen, ist das Organ selbst Adressat des Ordnungsgeldes, wenn auch nicht als Organ. Demnach kommt die Festsetzung eines Ordnungsmittels gegen das Organ persönlich nur in Fällen in Betracht, in denen sein Fehlverhalten nicht deckungsgleich mit dem Fehlverhalten der juristischen Person ist, sondern das Organ eine über sein Handeln für die juristische Person hinausgehende persönliche Schuld trifft. Angesichts des Sanktionscharakters ist ein persönlich für den eigenen Rechtskreis vorwerfbares Verhalten unverzichtbar.
Im vorliegenden Fall war das der vermeintlichen Zuwiderhandlung zugrundeliegende Verhalten des Schuldners aber deckungsgleich mit dem Verhalten der Antragsgegnerin. Das LG hat zutreffend festgestellt, dass die Gläubigerin kein Handeln des Schuldners dargelegt hat, das der Antragsgegnerin nicht nach § 31 BGB zuzurechnen wäre, weil es sich aus Sicht eines Außenstehenden so weit vom organschaftlichen Aufgabenbereich entfernen würde, dass der allgemeine Rahmen der ihm übertragenen Obliegenheiten überschritten erscheint.
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§ 890 Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen
Seibel in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022
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Landesrecht Hamburg
Der Antragsgegner (Schuldner) ist einer der Geschäftsführer der Antragsgegnerin. Auf Antrag der Antragstellerin (Gläubigerin) verbot das LG dem Schuldner und der Antragsgegnerin mit Urteil vom 11.2.2022 im Wege der einstweiligen Verfügung aus lauterkeitsrechtlichen Gründen, das Bewegungsspielzeug "M" anzubieten. Daraufhin stellten die Antragsgegnerin und der Schuldner den Vertrieb dieses Bewegungsspielzeugs ein. Gegen das Urteil legte nur die Antragsgegnerin Berufung ein; der Schuldner focht es nicht an.
Das Berufungsverfahren fand vor dem erkennenden Senat statt (Az.: 15 U 58/23). Mit Urteil vom 9.6.2022 änderte der Senat das Urteil des LG ab, hob die gegen die Antragsgegnerin ergangene einstweilige Verfügung auf und wies den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurück. Kurz darauf fanden sich auf verschiedenen Plattformen im Internet Mitteilungen dergestalt, dass die einstweilige Verfügung gegen die Antragsgegnerin aufgehoben worden sei und der "M" in Kürze wieder erhältlich sein werde. Das Spielzeug wurde sodann (und wird noch) auf der Internetseite der Antragsgegnerin als auch auf Internetseiten anderer Händler wieder zum Kauf angeboten.
In den genannten Ankündigungen und Kaufangeboten erblickt die Gläubigerin einen Verstoß des Schuldners gegen das ihm gegenüber nach wie vor wirksame Unterlassungsgebot aus dem Urteil des LG. Sie hat daher die Festsetzung eines empfindlichen Ordnungsgeldes gegen den Schuldner wegen Zuwiderhandlungen gegen den Unterlassungstitel des Urteils des LG beantragt, die dieser in seiner Funktion als Geschäftsführer der Antragsgegnerin begangen haben soll.
Das LG wies den Antrag zurück. Die in Rede stehenden vermeintlichen Verstöße würden Handlungen des Schuldners betreffen, die dieser als Geschäftsführer der Antragsgegnerin vorgenommen habe. Daher seien die Verstöße gem. § 31 BGB der Antragsgegnerin zuzurechnen. Das habe zur Folge, dass wegen der Verstöße ein Ordnungsgeld allein gegen die Antragsgegnerin verhängt werden könne, die aber zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr zur Unterlassung verpflichtet gewesen sei. Ein Ordnungsgeld gegen den Schuldner komme hingegen nicht in Betracht, weil kein eigenes schuldhaftes Verhalten des Schuldners vorgetragen sei, für das er persönlich einzustehen hätte. Die zulässige sofortige Beschwerde der Gläubigerin hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Rechtsbeschwerde zum BGH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Die Gründe:
Das LG hat den Antrag der Gläubigerin auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen den Schuldner zu Recht zurückgewiesen.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Ordnungsgeld nach § 890 ZPO nur gegen die juristische Person festzusetzen, wenn sowohl diese als auch ihr Organ aus einem Vollstreckungstitel zur Unterlassung verpflichtet sind und das Organ im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit für die juristische Person dem Verbot zuwiderhandelt. Die Festsetzung eines Ordnungsmittels gegen die juristische Person setze, da die juristische Person selbst nicht handlungsfähig sei und durch ihre Organe handle, nur einen schuldhaften Verstoß des Organs gegen das Unterlassungsgebot voraus. Es bestehe aber kein Anlass, auf Grund einer der juristischen Person zurechenbaren schuldhaften Zuwiderhandlung ihres Organs daneben zusätzlich Ordnungsmittel gegen das Organ festzusetzen oder dessen gesamtschuldnerische Haftung zu begründen. Mit dem Sanktionscharakter der Ordnungsmittel nach § 890 ZPO sei es schwerlich vereinbar, dass das Handeln einer natürlichen Person die Festsetzung ein und desselben Ordnungsmittels gegen mehrere Personen zur Folge habe. Aus Sicht des erkennenden Senats gilt dies erst recht dann, wenn wie hier der ursprünglich auch gegen die juristische Person ergangene Unterlassungstitel inzwischen aus materiell-rechtlichen Gründen aufgehoben worden ist.
Gegen die Verhängung eines Ordnungsmittels gegen den Schuldner sprechen zudem die folgenden Erwägungen: Nach dem Verständnis des Senats enthält die Entscheidung "Titelschuldner im Zwangsvollstreckungsverfahren" die Aussage, dass die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen das Organ einer juristischen Person bei Inanspruchnahme sowohl des Organs als auch der juristischen Person von vornherein nur dann in Betracht kommt, wenn das Handeln des Organs der juristischen Person nicht nach § 31 BGB zurechenbar ist. Das gilt unabhängig davon, ob auch gegen die juristische Person ein Ordnungsgeld festgesetzt werden könnte. Der BGH führt aus, dass die gesonderte Inanspruchnahme des Organs neben der juristischen Person im Erkenntnisverfahren - trotz des Grundsatzes, dass bei einem Handeln des Organs im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit für die juristische Person eine Festsetzung des Ordnungsgeldes nur gegen die juristische Person in Betracht kommt - nicht überflüssig sei, da sie dann Bedeutung erlange, wenn das Handeln des Organs der juristischen Person nicht nach § 31 BGB zurechenbar sei, etwa wenn das Organ für einen neben der juristischen Person bestehenden eigenen Geschäftsbetrieb oder eine andere juristische Person die schuldhafte Zuwiderhandlung begangen hat.
Daraus folgt, dass der BGH bei der Frage des Adressaten des Ordnungsgeldes danach unterscheidet, als wessen Handeln sich die Zuwiderhandlung der natürlichen Person, um die es sich bei dem Organ handelt, darstellt. Ist die Zuwiderhandlung nach § 31 BGB der juristischen Person zuzurechnen, ist diese Adressatin des Ordnungsgeldes; handelt das Organ außerhalb seiner Geschäftstätigkeit und ist sein Handeln der juristischen Person deshalb nicht zuzurechnen, ist das Organ selbst Adressat des Ordnungsgeldes, wenn auch nicht als Organ. Demnach kommt die Festsetzung eines Ordnungsmittels gegen das Organ persönlich nur in Fällen in Betracht, in denen sein Fehlverhalten nicht deckungsgleich mit dem Fehlverhalten der juristischen Person ist, sondern das Organ eine über sein Handeln für die juristische Person hinausgehende persönliche Schuld trifft. Angesichts des Sanktionscharakters ist ein persönlich für den eigenen Rechtskreis vorwerfbares Verhalten unverzichtbar.
Im vorliegenden Fall war das der vermeintlichen Zuwiderhandlung zugrundeliegende Verhalten des Schuldners aber deckungsgleich mit dem Verhalten der Antragsgegnerin. Das LG hat zutreffend festgestellt, dass die Gläubigerin kein Handeln des Schuldners dargelegt hat, das der Antragsgegnerin nicht nach § 31 BGB zuzurechnen wäre, weil es sich aus Sicht eines Außenstehenden so weit vom organschaftlichen Aufgabenbereich entfernen würde, dass der allgemeine Rahmen der ihm übertragenen Obliegenheiten überschritten erscheint.
Kommentierung | ZPO
§ 890 Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen
Seibel in Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022
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