Feststellung der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Beihilfe zu einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung
BGH v. 11.7.2024 - III ZR 176/22Die Kläger nehmen den Beklagten auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage in Anspruch. Die Kläger unterhielten seit 2014 ein sogenanntes Vermögensverwaltungsmandat bei der in der Schweiz ansässigen P. AG in Form eines "Systemhandels für Wertpapiere", in das sie 250.000 € investierten. Die Beendigung jenes Vertrages war durch den Verkauf der börsennotierten Wertpapiere für den Anleger jederzeit möglich. Ende März 2017 kündigte die P. AG die Geschäftsbeziehung mit der Begründung, die Dienstleistung für Privatkunden werde aufgrund "externer Umstände" eingestellt.
Bereits im November 2016 war im Auftrag des (damaligen) Verwaltungsrats der P. AG - dem ursprünglich mitverklagten und durch rechtskräftiges Urteil mit Abschluss der ersten Instanz aus dem Verfahren ausgeschiedenen T. E. - mit Hilfe des Beklagten, der Dienstleistungen auf dem Kapitalmarkt anbietet, die Pi. S. SA (Pi.), eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts, gegründet worden, deren im Handelsregister verlautbarter Zweck die Eingehung von Verbriefungsgeschäften war. Der Beklagte wurde Verwaltungsratsmitglied der Pi. Diese gab Inhaberschuldverschreibungen auf eine "hypothetische Beteiligung" an der S. (im Folgenden S. oder Referenzgesellschaft), deren Verwaltungsrat ebenfalls der Beklagte war, mit einer Laufzeit bis 31.12.2030 aus, worüber sie Anfang April 2017 einen Prospekt und ein Produktinformationsblatt erstellte. Nach den Prospektinformationen war die Pi. berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Inhaberschuldverschreibungen, für die es keinen geregelten Markt gab, vor Fälligkeit zurückzunehmen. Die Anlageentscheidungen der Referenzgesellschaft traf ein mit der Pi. vertraglich verbundener sog. Investmentmanager, die V. AG mit Sitz in Vaduz (Liechtenstein), deren Verwaltungsrat wiederum T. E. war. Mit dem Vertrieb der Kapitalanlage wurde eine Vermittlungsgesellschaft mit Sitz im Inland beauftragt, für die ebenfalls T. E. nach außen auftrat.
Die Anleger, die in den Wertpapierhandel bei der P. AG investiert hatten, erhielten im Mai und Juni 2017 u.a. von T. E. unterzeichnete Schreiben, mit denen ihnen die Kapitalanlage bei der Pi. als kostenfreie und inhaltlich vergleichbare Alternative zu dem eingestellten "P. -System" angeboten wurde. Darin wurde das Anlagemodell u.a. mit seiner schnellen/kurzfristigen Verfügbarkeit durch tägliche Rücknahme seitens der Emittentin beworben. Entsprechend äußerte sich T. E. bei den Schulungen der Vermittler. Die Kläger erwarben im Oktober 2017 mit dem ursprünglich bei der P. AG angelegten Geld Inhaberschuldverschreibungen der Pi. im Gegenwert von nominal 325.000 € zzgl. Kosten. Die Pi. investierte das vereinnahmte Kapital auf Weisung des Investmentmanagers in die S., die es wiederum bei der P. AG anlegte. Die beteiligten Gesellschaften sind mittlerweile insolvent bzw. nicht mehr am Markt tätig. Die Kläger haben u.a. behauptet, ausschlaggebend für ihre Anlageentscheidung sei die jederzeitige Verfügbarkeit ihres Kapitals gewesen, worüber sie durch die Mitwirkung des Beklagten getäuscht worden seien.
Das LG verurteilte T. E. und den Beklagten gem. §§ 826, 830 BGB unter Abweisung der weitergehenden Klage wegen einer gemeinschaftlich begangenen unerlaubten Handlung als Gesamtschuldner zum Ersatz des bei der Pi. angelegten Nominalbetrags und eines Teils der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und stellte die vorsätzliche Begehung der Tat und den Annahmeverzug fest. Das OLG reduzierte den Schadensersatzanspruch auf den Gegenwert der ursprünglichen Einlage bei der P. AG. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.
Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung lässt sich ein - hier allein in Betracht kommender - deliktischer Anspruch gegen den Beklagten aus §§ 826, 830 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 27 StGB nicht bejahen.
Die vom OLG getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme, dass der Beklagte eine vorsätzliche Beihilfehandlung zu dieser auf Täuschung der Anleger gerichteten rechtswidrigen Haupttat des T. E. begangen hat. Mit Erfolg wendet sich der Beklagte mit seinen Verfahrensrügen gegen die Beurteilung der Vorinstanz, er habe von der von T. E. gegenüber den Anlegern und Vermittlern verbreiteten Fehlinformation Kenntnis gehabt. Die Gehilfenhaftung richtet sich nach strafrechtlichen Grundsätzen. Beihilfe ist danach die vorsätzliche Hilfeleistung zu einer Vorsatztat eines anderen. Objektiv muss die Beihilfehandlung zwar nicht für den Taterfolg ursächlich gewesen sein, die tatbestandsmäßige Handlung aber gefördert, erleichtert oder den Täter in seinem Entschluss zur Tatbegehung bestärkt haben. Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe zwar nicht alle Einzelheiten, aber dennoch die zentralen Merkmale der Haupttat sowie deren Förderung durch sein Verhalten kennt oder zumindest im Sinne bedingten Vorsatzes für möglich hält und in Kauf nimmt.
Eine berufstypische "neutrale" Handlung des Hilfeleistenden - wie hier die Darstellung des Kursverlaufs auf der Webseite der Emittentin - ist dann als strafbare Beihilfe anzusehen, wenn dieser weiß, dass das von ihm geförderte Verhalten des Haupttäters auf die Begehung einer Straftat abzielt. In diesem Fall verliert das unterstützende Tun seinen "Alltagscharakter" und damit seine Sozialadäquanz und erscheint als Solidarisierung mit dem Täter. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, sondern hält er es lediglich für möglich, dass er zur Begehung einer Straftat genutzt wird, liegt regelmäßig noch keine strafbare Beihilfehandlung vor. Die Schwelle zu einer vorsätzlichen Beihilfe ist erst dann überschritten, wenn das von ihm erkannte Risiko eines strafbaren Verhaltens des Unterstützten derart hoch ist, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein lässt.
Ob Vorsatz vorliegt, ist eine Tatfrage, die das Tatgericht nach § 286 Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer ggf. durchgeführten Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat. An die Feststellungen des Tatgerichts ist das Revisionsgericht nach § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen verfahrensfehlerfrei umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also auf prozessordnungsgemäßer Grundlage beruht und vollständig sowie rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht.
Das OLG hat mit seiner Annahme, an die Feststellung des LG, der Beklagte habe gewusst, dass T. E. gegenüber den Anlegern und in den Schulungen der Vermittler den Eindruck erweckt habe, die Inhaberschuldverschreibungen würden an der Börse gehandelt und es gebe einen tagesaktuellen Kurs, gebunden zu sein, den Umfang der ihm gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zukommenden Prüfungskompetenz und die daraus folgende Pflicht zur erneuten Tatsachenfeststellung verkannt. Soweit es die erstinstanzliche Würdigung des E-Mail-Schreibens vom 26. Mai 2017 darüber hinaus als nachvollziehbar angesehen hat und dies dahin zu verstehen sein sollte, dass es sich eine eigene Überzeugung von der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung gebildet hat, hat das OLG seinerseits unter Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO dieser Indiztatsache einen ihr denklogisch nicht zukommenden Beweiswert zugemessen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Vorinstanz - hätte sie all dies entweder einzeln oder in seiner Gesamtschau berücksichtigt - die subjektive Tatseite beim Beklagten anders als geschehen bewertet und einen Gehilfenvorsatz verneint hätte.
Zu Unrecht hat das OLG in diesem Zusammenhang überdies Vorbringen des Beklagten nicht bzw. nur unvollständig berücksichtigt (§ 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 ZPO) und dadurch in entscheidungserheblicher Weise dessen rechtliches Gehör verletzt. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils begründen, können sich auch aus neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln ergeben, wenn diese in der Berufungsinstanz zu beachten sind. Bleibt ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil es der Tatrichter in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie § 531 ZPO zu Unrecht zurückgewiesen hat, ist zugleich der Anspruch der Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Das OLG hätte den bereits mit Schriftsatz vom 11.8.2021 und später auch in der Berufungsbegründung in Bezug genommenen Inhalt der Protokolle des LG Ellwangen (Jagst) über die - als solches unstreitigen - Angaben, die der Beklagte bei seiner Anhörung zur Darstellung des Kursverlaufs und der Herkunft der Kursdaten gemacht hatte, zur Kenntnis nehmen und bei seiner Beurteilung berücksichtigen müssen.
Ebenfalls zutreffend rügt die Revision die fehlende Einbeziehung der Gründe, die die Staatsanwaltschaft zur Einstellung des gegen den Beklagten in diesem Zusammenhang geführten Ermittlungsverfahrens bewogen haben, in die Beurteilung des OLG und damit einen weiteren damit einhergehenden Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht u.a. dazu, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des jeweiligen Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden. Setzt sich das Gericht mit dem Parteivortrag inhaltlich nicht auseinander, sondern geht es mit Leerformeln über diesen hinweg, ist dies im Hinblick auf die Anforderungen aus dem Verfahrensgrundrecht nicht anders zu behandeln als ein kommentarloses Übergehen. So liegt der Fall hier.
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