21.08.2012

Flugannullierung: Keine Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung bei Streikankündigung der Vereinigung Cockpit

Die vom EuGH für technische Defekte entwickelten Maßstäbe sind auch für andere als Ursache außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommende Vorkommnisse, wie etwa einem Streik, der in Erwägungsgrund 14 ausdrücklich genannt ist, heranzuziehen. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob der Betrieb des Unternehmens durch eine Tarifauseinandersetzung zwischen Dritten oder dadurch beeinträchtigt wird, dass eigene Mitarbeiter des Luftverkehrsunternehmens in den Ausstand treten.

BGH 21.8.2012, X ZR 138/11 u.a.
Der Sachverhalt:
In den beiden Reisesachen beanspruchten die Kläger Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1c, Art. 5 Abs. 1c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nachfolgend: Fluggastrechteverordnung), weil ihre für Februar 2010 vorgesehenen Flüge von Miami nach Deutschland von der beklagten Lufthansa AG wegen eines Streikaufrufs der Vereinigung Cockpit annulliert worden waren.

In der Sache X ZR 138/11 wurde der für den 22.2.2010 vorgesehene Rückflug nach Düsseldorf annulliert und die Reisenden wurden auf einen anderen Rückflug umgebucht, mit dem sie am 25.2.2010 in Düsseldorf eintrafen. In der Sache X ZR 146/11 wurde der für den 23.2.2010 vorgesehene Rückflug nach Frankfurt a.M. annulliert und die Reisenden wurden auf einen Flug am 1.3.2010 umgebucht. In beiden Fällen ging es zuletzt ausschließlich um die Frage, ob die Beklagte auch die pauschale Ausgleichsleistung i.H.v. 600 € je Fluggast zu zahlen hat, die die Fluggastrechteverordnung grundsätzlich vorsieht, wenn ein Interkontinentalflug annulliert wird.

Die in erster Instanz zuständigen AG gaben den Klagen in beiden Fällen statt. Im Verfahren X ZR 138/11 hat das LG Köln die Berufung zurückgewiesen, weil ein Streik eigener Mitarbeiter des ausführenden Luftfahrtunternehmens kein außergewöhnliches Ereignis i.S.d. Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung darstelle. Dagegen hat im Verfahren X ZR 146/11 das LG Frankfurt a.M. auf die Berufung das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Streik, auch derjenige des eigenen Personals des Luftverkehrsunternehmens stelle ein unabwendbares Ereignis i.S.d. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung dar. Die Beklagte habe die Annullierung des Rückfluges auch nicht durch zumutbare Maßnahmen vermeiden können. Insbesondere sei sie nicht verpflichtet gewesen, andere Piloten zur Aushilfe anzustellen.

Auf die Revision der Beklagten im Fall X ZR 138/11 hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück. Die Revision der Kläger im Verfahren X ZR 146/11 war vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
In beiden Fällen war die Streikankündigung der Vereinigung Cockpit geeignet, außergewöhnliche Umstände i.S.d. Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung herbeizuführen.

Außergewöhnliche Umstände i.S.d. Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung können angenommen werden, wenn der Flugplan eines Luftverkehrsunternehmens infolge eines Streiks ganz oder zu wesentlichen Teilen nicht wie geplant durchgeführt werden kann. Dies ergibt sich aus Wortlaut und Zweck des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung und steht im Einklang mit der Auslegung dieser Vorschrift durch die bisherige EuGH-Rechtsprechung.

Die vom EuGH für technische Defekte entwickelten Maßstäbe sind auch für andere als Ursache außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommende Vorkommnisse, wie etwa die in Erwägungsgrund 14 der Fluggastrechteverordnung genannten, heranzuziehen. Auch insoweit ist maßgeblich, ob die Annullierung auf ungewöhnliche, außerhalb des Rahmens der normalen Betriebstätigkeit des Luftverkehrsunternehmens liegende und von ihm nicht zu beherrschende Gegebenheiten zurückgeht. Dabei spielt es bei einem Streik, der in Erwägungsgrund 14 ausdrücklich als Ursache außergewöhnlicher Umstände genannt ist, grundsätzlich keine Rolle, ob der Betrieb des Unternehmens durch eine Tarifauseinandersetzung zwischen Dritten oder dadurch beeinträchtigt wird, dass eigene Mitarbeiter des Luftverkehrsunternehmens in den Ausstand treten.

Ein Streikaufruf einer Gewerkschaft wirkt - auch soweit er zu einem Ausstand der eigenen Beschäftigten führt - "von außen" auf das Luftverkehrsunternehmen ein und ist nicht Teil der normalen Ausübung seiner Tätigkeit, die durch den Streik als Arbeitskampfmittel gerade gezielt beeinträchtigt oder gar lahm gelegt werden soll. Eine solche Situation ist in aller Regel von dem betroffenen Luftverkehrsunternehmen auch nicht beherrschbar, da die Entscheidung zu streiken, von der Arbeitnehmerseite im Rahmen der ihr zukommenden Tarifautonomie und damit außerhalb des Betriebs des ausführenden Luftverkehrsunternehmens getroffen wird.

Die Beklagte hatte, nachdem zu erwarten war, dass die überwiegende Zahl der angesprochenen Mitarbeiter dem Streikaufruf nachkommen und somit keine zur Einhaltung des gesamten Flugplans ausreichende Anzahl von Piloten zur Verfügung stehen würde, Anlass, den Flugplan so zu reorganisieren, dass zum einen die Beeinträchtigungen der Fluggäste durch den Streik so gering wie unter den gegebenen Umständen möglich ausfallen würden und sie zum anderen in der Lage sein würde, nach Beendigung des Streiks sobald wie möglich zum Normalbetrieb zurückzukehren. Schöpft ein Luftverkehrsunternehmen unter Einhaltung dieser Anforderungen die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen in dem gebotenen Umfang aus, kann die Nichtdurchführung eines einzelnen Flugs in der Regel nicht allein deshalb als vermeidbar angesehen werden, weil stattdessen ein anderer Flug hätte annulliert werden können.

Das LG Frankfurt a.M. hatte bereits festgestellt, dass die Beklagte mit einem Sonderflugplan geeignete und zumutbare Maßnahmen ergriffen hatte, um Annullierungen infolge des Streiks auf das unvermeidbare Maß zu beschränken, und daher rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Absage des Fluges der Kläger nicht zu vermeiden war. Das LG Köln muss im weiteren Verfahren noch Feststellungen zu den von der Lufthansa ergriffenen Maßnahmen noch treffen.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 133 vom 21.8.2012
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