27.10.2022

Gebühren für den Zugang zu Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen

Der EuGH hat sich vorliegend mit der Frage befasst, ob Fahrzeughersteller für den Zugang zu ihren Reparatur- und Wartungsinformationen bei Herausgebern von technischen Informationen höhere Gebühren verlangen können als bei unabhängigen Reparaturbetrieben.

EuGH v. 27.10.2022 - C-390/21
Der Sachverhalt:
Der internationale Verband ADPA (European Independent Automotive Data Publishers) und der deutsche Gesamtverband Autoteile-Handel klagen vor dem LG gegen die Automobiles PEUGEOT SA und die PSA Automobiles SA. Sie beantragen, die Beklagten zu verpflichten, bei den Herausgebern von technischen Informationen für den Zugang zu Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen die gleichen Gebühren zu erheben wie bei unabhängigen Reparaturbetrieben. Die Herausgeber von technischen Informationen müssen bislang jährlich mit den Beklagten einen Vertrag schließen. Dieser räumt ihnen das Recht ein, auf die Daten zuzugreifen, daraus die Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen zu extrahieren sowie sie für die Entwicklung und den Vertrieb eigener Informationsprodukte zu verwerten, die für Nutzer wie Kfz-Werkstätten sowie Teile-Großhändler und Teilehersteller bestimmt sind.

Die Höhe der erhobenen Gebühren wird für jeden Herausgeber individuell für einen bestimmten Zeitraum auf der Grundlage eines Basispreises festgelegt. Dieser Preis entspricht dem Fixpreis, der von den anderen unabhängigen Wirtschaftsakteuren gefordert wird, multipliziert mit der Zahl der Endkunden des Herausgebers und des durchschnittlichen Marktanteils der Fahrzeugmarke in den letzten zehn Jahren. Das Ergebnis wird durch einen Rabattkoeffizienten geteilt, der von der Zahl der Endnutzer und des durch die Verarbeitung erhaltenen Mehrwerts abhängt. Die Kläger sind der Auffassung, dass die so berechneten Gebühren weder angemessen noch verhältnismäßig i.S.v. Art. 63 Abs. 1 der Verordnung 2018/858 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen seien. Die Berücksichtigung der Endnutzerzahl stelle ein unzulässiges Entgelt für die Informationsnutzung dar, da sie darauf hinauslaufe, den Fahrzeugherstellern eine Beteiligung an den erzielten Gewinnen zu gewähren.

Das LG hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH insoweit um Vorabentscheidung ersucht.

Die Gründe:
Die Art. 61 und 63 i.V.m mit Art. 86 Abs. 1 Nr. 4 und Art. 86 Abs. 2 sowie Anhang XI Nr. 1 der Verordnung (EU) 2018/858 sind auf Fahrzeugmodelle anwendbar, die unter Geltung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge genehmigt wurden.

Die in Art. 61 Abs. 1 der Verordnung enthaltene Verpflichtung der Fahrzeughersteller, einen uneingeschränkten, standardisierten und diskriminierungsfreien Zugang zu den in Art. 3 Nr. 48 der Verordnung definierten Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen bereitzustellen, schließt die Verpflichtung ein, Herausgebern von technischen Informationen zu erlauben, jene Informationen für die Zwecke ihrer Aufgaben in der Lieferkette des Zubehör- und Ersatzteilmarkts zu verarbeiten und zu verwerten, ohne sie anderen Bedingungen zu unterwerfen als denen, die in der Verordnung vorgesehen sind.

Die in Art. 63 der Verordnung 2018/858 enthaltene Wendung "angemessene und verhältnismäßige Gebühren" verpflichtet zum einen die Fahrzeughersteller, die Geschäftstätigkeit zu berücksichtigen, in deren Rahmen die Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen von den verschiedenen unabhängigen Wirtschaftsakteuren genutzt werden, und gestattet ihnen zum anderen, Gebühren zu erheben, die die bloßen Kosten übersteigen, die ihnen aufgrund des Zugangs zu diesen Informationen entstehen, den sie nach der Verordnung diesen Wirtschaftsakteuren zu gewähren haben, sofern für diese die Gebühren nicht abschreckend sind. Herausgeber von technischen Informationen und unabhängige Reparaturbetriebe befinden sich nicht in einer vergleichbaren Situation. Nach dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung ist es folglich ausgeschlossen, die Verordnung dahin auszulegen, dass sie eine einheitliche Berechnungsmethode für den Zugang aller unabhängigen Wirtschaftsakteure zu Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen vorschreibt.

Im Übrigen geht aus der Verordnung nicht hervor, dass die Fahrzeughersteller bei der Berechnung der Gebühren für den Zugang zu Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen verpflichtet sind, sich ausschließlich auf die Kosten zu stützen, die durch die - ihnen durch die Verordnung auferlegte - Verpflichtung verursacht werden, Zugang zu diesen Informationen zu gewähren. Die einzige vorgesehene Bedingung besteht darin, dass diese Gebühren angemessen und verhältnismäßig sind, so dass ihre Höhe unabhängige Wirtschaftsakteure nicht vom Zugriff auf Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen abschreckt. Dies soll vermeiden, dass dem mit der Verordnung verfolgten Ziel, unabhängigen Wirtschaftsakteuren zu ermöglichen, mit den Vertragshändlern und -werkstätten auf dem Markt für Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationsdienste in Wettbewerb zu treten, die praktische Wirksamkeit genommen wird.

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