27.01.2022

Geldbuße gegen Intel teilweise nichtig: Zum Missbrauch beherrschender Stellung auf dem Markt für x86-Prozessoren

Die Entscheidung, mit der die Kommission gegen Intel eine Geldbuße i.H.v. rd. 1 Mrd. €uro verhängt hat, wird vom EuG teilweise für nichtig erklärt. Die Prüfung, die die Kommission durchgeführt hat, ist unvollständig und beweist rechtlich nicht hinreichend, dass die streitigen Rabatte möglicherweise oder wahrscheinlich wettbewerbswidrige Wirkungen hatten.

EuG v. 26.1.2022 - T-286/09 RENV
Der Sachverhalt:
Im Mai 2009 verhängte die EU-Kommission eine Geldbuße i.H.v. rd. 1 Mrd. € gegen den Chiphersteller Intel Euro. Das Unternehmen habe von Oktober 2002 bis Dezember 2007 seine beherrschende Stellung auf dem Weltmarkt für x86-Prozessoren missbräuchlich ausgenutzt, indem es eine Strategie zur Verdrängung seiner Wettbewerber vom Markt umgesetzt habe - und zwar in Form von reinen Beschränkungen und bedingten Rabatten gegenüber den Handelspartnern.

Intel habe vier strategisch wichtigen Computerherstellern (Dell, Lenovo, Hewlett-Packard [HP] und NEC) Rabatte unter der Bedingung gewährt, dass sie alle oder nahezu alle ihre x86-Prozessoren bei ihr bezögen. Außerdem habe Intel an ein auf Mikroelektronikgeräte spezialisiertes europäisches Einzelhandelsunternehmen (Media-Saturn-Holding) Zahlungen unter der Bedingung geleistet, dass es ausschließlich mit x86-Prozessoren von ihr ausgerüstete Computer verkaufe. Diese Rabatte und Zahlungen (im Folgenden: streitige Rabatte) hätten eine Treuebindung der vier Computerhersteller und von Media-Saturn erzeugt und so die Fähigkeit der Wettbewerber von Intel, einen auf der Leistung ihrer x86-Prozessoren beruhenden Wettbewerb auszutragen, erheblich geschwächt. Das wettbewerbswidrige Verhalten von Intel habe somit dazu beigetragen, die Auswahl der Verbraucher und die Anreize für Innovation zu verringern.

Das EuG wies die gegen die Entscheidung der Kommission gerichtete Klage von Intel ab. Auf das Rechtsmittel von Intel hob der EuGH das Urteil auf und verwies die Sache zur Prüfung der Frage, ob die streitigen Rabatte im Hinblick auf das Vorbringen von Intel geeignet waren, den Wettbewerb zu beschränken, an das EuG zurück.

Die Gründe:
Ein Rabattsystem, das von einem Unternehmen eingerichtet wurde, das auf dem Markt eine beherrschende Stellung innehat, kann als Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden, wenn aufgrund seiner Art vermutet werden kann, dass es wettbewerbsbeschränkende Wirkungen hat. Dabei handelt es sich jedoch bloß um eine Vermutung. Die Kommission ist deshalb nicht von vornherein von ihrer Verpflichtung zur Prüfung der wettbewerbswidrigen Auswirkungen des Rabattsystems befreit. Macht ein Unternehmen in beherrschender Stellung im Verwaltungsverfahren, gestützt auf Beweise, geltend, dass sein Verhalten nicht geeignet gewesen sei, den Wettbewerb zu beschränken und insbesondere die beanstandeten Verdrängungswirkungen zu erzeugen, hat die Kommission zu prüfen, ob das Rabattsystem geeignet ist, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen. Dabei hat die Kommission nicht nur das Ausmaß der beherrschenden Stellung des Unternehmens auf dem relevanten Markt und den Umfang der Markterfassung durch die beanstandete Verhaltensweise, die Bedingungen und Modalitäten der Gewährung der in Rede stehenden Rabatte sowie deren Dauer und Höhe prüfen, sondern auch, ob eine eventuelle Strategie zur Verdrängung der mindestens ebenso effizienten Wettbewerber vorliegt. Hat die Kommission einen AEC-Test durchgeführt, gehört auch dieser zu den Gesichtspunkten, die sie bei der Beurteilung der Frage, ob ein Rabattsystem geeignet ist, den Wettbewerb zu beschränken, zu berücksichtigen hat.

Die Kommission hat in der angefochtenen Entscheidung rechtsfehlerhaft angenommen, dass der AEC-Test, auch wenn sie ihn durchgeführt habe, nicht erforderlich gewesen sei, um feststellen zu können, dass die streitigen Rabatte von Intel missbräuchlich gewesen seien. Das EuG kann sich nicht auf diese Feststellung beschränken. Da im Rechtsmittelurteil festgestellt wird, dass dem AEC-Test für die von der Kommission vorgenommene Beurteilung der Frage, ob die in Rede stehenden Rabatte geeignet waren, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen, eine tatsächliche Bedeutung zukommt, war das EuG verpflichtet, das gesamte Vorbringen von Intel zum AEC-Test zu prüfen. Wegen des Grundsatzes der Unschuldsvermutung hat die Kommission das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nachzuweisen, wenn nötig, durch ein Bündel genauer und übereinstimmender Indizien, so dass hinsichtlich des Vorliegens der Zuwiderhandlung kein Zweifel verbleibt. Macht die Kommission geltend, dass der festgestellte Sachverhalt nur durch die Existenz eines wettbewerbswidrigen Verhaltens erklärt werden könne, ist das Vorliegen der betreffenden Zuwiderhandlung nicht hinreichend bewiesen, wenn es den betroffenen Unternehmen gelingt, eine andere plausible Erklärung zu liefern. Stützt sich die Kommission hingegen auf Beweismittel, die grundsätzlich geeignet sind, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung zu beweisen, obliegt es den betroffenen Unternehmen, darzutun, dass deren Beweiswert nicht ausreichend ist.

Hinsichtlich der Fehler, die der Kommission beim AEC-Test unterlaufen sein sollen ist insoweit im Hinblick auf das Vorbringen von Intel zur Beurteilung der einschlägigen Kriterien durch die Kommission festzustellen, dass diese bei den einzelnen Rabatten rechtlich nicht hinreichend dargetan hat, dass sie geeignet gewesen wären, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen. Zu dem in Bezug auf Dell durchgeführten AEC-Test ist festzuhalten, dass die Kommission unter den Umständen des vorliegenden Falles bei der Ermittlung des bestreitbaren Teils zwar die bekannten Daten anderer Wirtschaftsteilnehmer als des Unternehmens in beherrschender Stellung heranziehen durfte. Das entsprechende Vorbringen von Intel ist geeignet, Zweifel hinsichtlich der Frage zu begründen, ob der bestreitbare Teil richtig angesetzt worden ist. Die Beweise, aufgrund derer die Kommission festgestellt hat, dass die Dell gewährten Rabatte geeignet seien, während des gesamten relevanten Zeitraums Wettbewerber vom Markt zu verdrängen, reichen insoweit nicht aus. Dasselbe gilt auch für die Ausführungen zu den HP gewährten Rabatten, bei denen nicht für den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung nachgewiesen worden ist, dass sie Wettbewerber vom Markt verdrängt hätten. Die Ausführungen der Kommission zu den Rabatten, die Gesellschaften des NEC-Konzerns unter verschiedenen Bedingungen gewährt worden sind, leiden i.Ü. unter zwei Fehlern. Der eine betrifft den Wert der bedingten Rabatte, der andere die unzureichend begründete Extrapolation der für ein einziges Quartal geltenden Ergebnisse auf den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung.

Ferner ist auch nicht hinreichend nachgewiesen, dass die Lenovo gewährten Rabatte geeignet gewesen wären, Wettbewerber vom Markt zu verdrängen. Denn der Kommission sind bei der Bezifferung der nicht in Geldleistung bestehenden Vorteile Fehler unterlaufen. Und auch bei dem in Bezug auf Media-Saturn durchgeführten AEC-Test kommt das EuG zu demselben Ergebnis. Die Kommission hat in keiner Weise dargelegt, warum es bei der Prüfung der Media-Saturn gewährten Zahlungen gerechtfertigt gewesen wäre, die für ein Quartal geltenden Ergebnisse, zu denen sie bei der Analyse der NEC gewährten Rabatte gelangt ist, auf den gesamten Zeitraum der Zuwiderhandlung zu extrapolieren. Bei der Prüfung, ob die Kommission in der angefochtenen Entscheidung alle Kriterien hinreichend berücksichtigt hat, nach denen nach der Rechtsprechung des EuGH zu beurteilen ist, ob eine Preispolitik geeignet ist, einen Wettbewerber vom Markt zu verdrängen, ist insoweit festzustellen, dass die Kommission das Kriterium des Umfangs der Markterfassung der angefochtenen Verhaltensweise nicht hinreichend und die Dauer der Rabatte nicht richtig geprüft hat.

Die Prüfung, die die Kommission durchgeführt hat, ist demzufolge unvollständig. Jedenfalls hat die Kommission damit rechtlich nicht hinreichend dargetan, dass die streitigen Rabatte möglicherweise oder wahrscheinlich wettbewerbswidrige Wirkungen gehabt hätten. Die angefochtene Entscheidung wird daher insoweit für nichtig erklärt, als in ihr davon ausgegangen wird, dass diese Verhaltensweisen einen Missbrauch i.S.v. Art. 102 AEUV darstellten. Was die Auswirkungen dieser teilweisen Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung auf die Höhe der Geldbuße angeht, die die Kommission gegen Intel verhängt hat, weist das EuG darauf hin, dass es nicht in der Lage ist, zu bestimmen, welcher Betrag der Geldbuße allein auf die reinen Beschränkungen entfällt. Deshalb erklärt es den Artikel der angefochtenen Entscheidung, mit dem gegen Intel wegen der festgestellten Zuwiderhandlung eine Geldbuße i.H.v. rd. 1 Mrd. € verhängt wird, in vollem Umfang für nichtig.

Mehr zum Thema:
  • Aufsatz: Lieferkettengesetz, Europäisches Kartellrecht und die Folgen: Effiziente Missbrauchsbekämpfung oder nutzlose Gängelung gesetzestreuer Unternehmen? (Ekkenga/Erlemann, ZIP 2022, 49)
  • Aufsatz: Anforderungen und Herausforderungen der RL (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen von Verbrauchern (Lühmann, ZIP 2021, 824)
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EuG PM Nr. 16 vom 26.1.2022
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