27.01.2022

Geschlechtsneutrale Anrede beim Online-Shopping erforderlich - aber kein Entschädigungsanspruch

Eine Person nichtbinärer Geschlechtsidentität, die beim "Online-Shopping" nur zwischen den Anreden "Frau" oder "Herr" auswählen kann, wird unter Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wegen des Geschlechts benachteiligt und in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Ein Anspruch auf Entschädigung eines deswegen geltend gemachten immateriellen Schadens besteht jedoch nicht.

OLG Karlsruhe v. 14.12.2021, 24 U 19/21
Der Sachverhalt:
Die klagende Person, in deren Personenstandsdaten beim Standesamt "keine Angabe" unter der Rubrik "Geschlecht" eingetragen ist, hatte im Herbst 2019 auf der Website des beklagten Bekleidungsunternehmens verschiedene Kleidungsstücke bestellt. Für die Registrierung und den Kauf war eine Auswahl zwischen den beiden Anreden "Frau" oder "Herr" erforderlich. Eine dritte Auswahl gab es zum damaligen Zeitpunkt nicht. Die getätigten Käufe wurden unter der Anrede "Herr" bestätigt.

Die klagende Person machte infolgedessen eine finanzielle Entschädigung von jedenfalls 2.500 € sowie einen Unterlassungsanspruch geltend. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Entscheidung im Ergebnis bestätigt. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes ist rechtskräftig.

Die Gründe:
Es liegt zwar eine nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verbotene unmittelbare Benachteiligung der klagenden Person wegen des Geschlechts bei der Begründung eines zivilrechtlichen Schuldverhältnisses im Rahmen eines sog. Massengeschäfts vor. Denn die klagende Person konnte - anders als eine Person mit männlichem oder weiblichem Geschlecht - den Kaufvorgang nicht abschließen, ohne im dafür vorgesehenen Feld eine Angabe zu machen, die der eigenen geschlechtlichen Identität nicht entspricht. Hierdurch wurde zugleich das Allgemeines Persönlichkeitsrecht der klagenden Person in seiner Ausprägung des Schutzes der geschlechtlichen Identität verletzt.

Ein Anspruch auf Unterlassung besteht jedoch mangels einer dafür erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht. Zwischenzeitlich hat die Beklagte im Anredefeld neben den Bezeichnungen "Frau" und "Herr" die Auswahlmöglichkeit "Divers/keine Anrede" aufgenommen. Sie hat damit eine geschlechtsneutrale Anrede für die Zukunft sichergestellt. Die klagende Person wird bei der Auswahl dieses Feldes nur noch mit der Höflichkeitsform "Guten Tag [Vorname Nachname]" angesprochen. Ihr wird nicht mehr zugemutet, sich mit der Wahl einer geschlechtsspezifischen Anrede einer Identität zuzuordnen, die der eigenen nicht entspricht. Deshalb sowie nach den weiteren Umständen des Streitfalles sind weitere Verletzungen des Benachteiligungsverbots nicht mehr ernsthaft zu erwarten.

Auch ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung in Geld steht der klagenden Person nicht zu. Denn nicht jede Berührung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts löst einen Anspruch auf Geldentschädigung aus. Dafür erforderlich ist vielmehr eine schwerwiegende Verletzung des Benachteiligungsverbots, die eine gewisse Intensität der Herab- und Zurücksetzung erreicht. Diese Voraussetzungen liegen jedoch im vorliegenden Einzelfall nicht vor.

Die Benachteiligung wurde nur im privaten Bereich und nicht in der Öffentlichkeit vorgenommen; sie wiegt deshalb weniger schwer. Der Grad des Verschuldens der Beklagten ist gering. Ihr kam es ersichtlich nicht darauf an, einer kaufinteressierten Person eine Angabe zu ihrer geschlechtlichen Zuordnung abzuverlangen; Zweck der vorzunehmenden Auswahl war lediglich, eine im Kundenverkehr übliche korrekte Anrede der bestellenden Person im Rahmen der weiteren Abwicklung des Massengeschäfts zu ermöglichen. Zudem hat sich die Beklagte bereits auf eine erste Beschwerde der klagenden Person hin bemüht, deren Anliegen durch eine Änderung des Internetauftritts Rechnung zu tragen.

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OLG Karlsruhe PM vom 26.1.2022
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