20.09.2021

Gewerblicher (Policen-) Aufkauf: Verwirkung wegen der Untätigkeit des Gläubigers

Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen.

LG Hamburg v. 20.8.2021, 306 O 479/19
Der Sachverhalt:
Die Versicherungsnehmerin hatte im Jahr 2003 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, den Abschluss eines Rentenversicherungsvertrages sowie einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung beantragt. Der Vertragsabschluss erfolgte im sog. "Policemodell" gem. § 5 a VVG a. F.. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten nahm den Antrag an und übersandte der Versicherungsnehmerin mit dem Policenbegleitschreiben vom 7.5.2003 eine fest verbundene Versicherungsurkunde, bestehend aus Versicherungsschein, AVB und weiteren Informationen. Die in dem Schreiben enthaltene, eingeschobene Belehrung lautete:

"Die nach § 10a VAG erforderlichen Verbraucherinformationen sind in der Versicherungsurkunde enthalten.
Sie können innerhalb von 14 Tagen nach Zugang dieses Briefes dem Vertrag schriftlich widersprechen.
Die Frist ist gewahrt, wenn der Widerspruch rechtzeitig abgesandt wird."


Die Versicherungsnehmerin nahm mit Vertragsbeginn am 1.6.2003 die monatlichen Beitragszahlungen auf. Im Jahr 2007 wurde der Versicherungsnehmerin auf ihren Antrag eine Ersatzversicherungsurkunde ausgestellt. Mit Schreiben vom 14.8.2014 kündigte die Versicherungsnehmerin den Vertrag, woraufhin die Beklagte den Vertrag abrechnete und 19.47,79 € an die Versicherungsnehmerin auszahlte.

Die Klägerin ist eine gewerbliche (Policen-) Aufkäuferin. Im März 2018 trat sie an die Beklagte heran, legte eine vom 18.9.2017 datierende Widerspruchserklärung der Versicherungsnehmerin vor, berief sich auf eine Abtretung der Ansprüche der Versicherungsnehmerin und forderte die Beklagte zur Rückabwicklung des Vertrages auf. Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr in Bezug auf den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag aus dem abgetretenen Recht der Versicherungsnehmerin ein bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsanspruch zustehe. Sie sei durch die entsprechende Abtretung und den Forderungskaufvertrag mit der Versicherungsnehmerin aktivlegitimiert.

Das LG wies die Klage ab.

Die Gründe:
Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Klägerin in Bezug auf die geltend gemachten Ansprüche aktivlegitimiert und der von ihr dargelegte Forderungsübergang wirksam erfolgt ist. Denn es fehlte im konkreten Fall bei dem im Streit befindlichen Vertrag an einem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch gem. § 812 BGB, der auf die Klägerin hätte übergehen können.

Unter Berücksichtigung der bereits im Jahr im Jahr 2014 erfolgten Kündigung und Abrechnung des Vertrages sowie der weiteren Umstände dieses Einzelfalls war der ursprüngliche Versicherungsnehmer nach Treu und Glauben mit der Ausübung eines etwaigen Widerspruchsrechtes nach § 242 BGB ausgeschlossen. Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment, für das die maßgebliche Frist mit dem Zustandekommen des Versicherungsvertrags zu laufen beginnt, ein Umstandsmoment voraus.

Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen.

Der BGH hat auch in Fällen, in denen der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht nach § 5a Absatz 2 Satz 1 VVG a.F. belehrt worden ist, mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles bestätigt, dass ein Bereicherungsanspruch nach § 242 BGB wegen widersprüchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers ausgeschlossen sein kann. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles. Nach diesen Maßstäben ist im Streitfall sowohl das Zeitmoment als auch das Umstandsmoment der Verwirkung erfüllt.
Justiz-Portal Hamburg
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