Gläubiger mit nicht rechtskräftigem Titel kann Vorbehaltszahlung ablehnen und weiterhin volle Zinszahlung verlangen
BGH 15.3.2012, IX ZR 35/11Der Beklagte ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH & Co. KG. In einem Vorprozess hatte er im Januar 2008 ein Berufungsurteil gegen die jetzige Klägerin erstritten, wonach diese knapp 10 Mio. € nebst 4,8 Mio. € Zinsen an ihn zu zahlen hatte. Auf Anfrage der Klägerin, die zwischenzeitlich Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt hatte, erklärte er, dass er bis auf Weiteres nicht beabsichtige, die Zwangsvollstreckung zu betreiben.
Dennoch bezahlte die Klägerin am 3.3.2008 auf die Hauptforderung und die Zinsen 14,9 Mio. €, nachdem sie zuvor mitgeteilt hatte, dass die Zahlung lediglich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolge und deshalb nicht als Erfüllung der vom Beklagten behaupteten Ansprüche betrachtet werden könne. Aufgrund dieses Vorbehalts verweigerte der Beklagte die Annahme des überwiesenen Betrags und veranlasste dessen sofortige Rücküberweisung.
Nachdem die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin im Mai 2009 zurückgewiesen worden war, zahlte die Klägerin am 5.6.2009 die Hauptforderung und die titulierten Zinsen bis zum 3.3.2008 an den Beklagten. Daraufhin forderte der Beklagte die Klägerin unter Androhung der Zwangsvollstreckung zur Zahlung der seiner Ansicht nach im Zeitraum vom 4.3.2008 bis zum 4.6.2009 angefallenen Zinsen auf. Die Klägerin erhob infolgedessen Vollstreckungsgegenklage.
Das LG wies die Klage ab; gab ihr statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf, was zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils führte.
Die Gründe:
Die Zwangsvollstreckung war nicht unzulässig geworden, weil die titulierte Zinsforderung bisher nicht vollständig erfüllt wurde. Die Klägerin schuldete Verzugszinsen bis zur Zahlung am 5.6.2009.
Die Zahlung am 3.3.2008 hatte schon deshalb nicht zu einer Erfüllung der titulierten Forderung geführt, weil der Beklagte sie nicht angenommen hat. Die Leistung muss dem Gläubiger gem. § 294 BGB so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden. Das war hier allerdings nicht geschehen.
Die Ablehnung der angebotenen Zahlung verstieß auch nicht gegen das Schikaneverbot nach § 226 BGB oder gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB. Zwar vermag nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Leistung des Schuldners, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil erfolgt, den Verzug des Schuldners zu beenden, obwohl sie keine Erfüllung bewirkt. Denn die Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung soll die nämlichen Folgen nach sich ziehen. Diesem Interesse stehen jedoch schutzwürdige eigene Interessen des Gläubigers (hier: des Beklagten) entgegen.
Der Gläubiger hat Anspruch auf die geschuldete Leistung, nicht nur auf eine Leistung unter dem Vorbehalt der Rückzahlung. Mit der Annahme der Vorbehaltsleistung verliert der Gläubiger seinen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen, obgleich nicht sicher ist, dass er die Leistung letztlich behalten darf. Bestand hier also auch nur das Risiko einer Inanspruchnahme, diente die Zurückweisung der Vorbehaltszahlung eigenen berechtigten Interessen des Beklagten.
Unabhängig hiervon will der Titelschuldner mit der Vorbehaltszahlung regelmäßig so gestellt werden, wie er stünde, wenn die Zahlung durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erzwungen worden wäre. Um diese Rechtsfolge abzuwenden, muss dem Titelgläubiger das Recht zugestanden werden, die Annahme der Vorbehaltsleistung abzulehnen. Der Gläubiger kann aus dem vorläufig vollstreckbaren Berufungsurteil vollstrecken, muss es aber nicht. Er kann es ohne Angabe von Gründen bei dem bestehenden Zustand belassen und den Eintritt der Rechtskraft des Berufungsurteils abwarten.
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