30.11.2023

Gläubigerbenachteiligende Herstellung der Aufrechnungslage nach Kündigung eines Bauvertrags

Führt eine vom Besteller ausgesprochene Kündigung eines Bauvertrags aus wichtigem Grund dazu, dass sich die Forderung des Schuldners auf Werklohn und eine Gegenforderung auf Schadensersatz wegen Fertigstellungsmehrkosten aus einem anderen Vertragsverhältnis aufrechenbar gegenüberstehen, ist die Herstellung der Aufrechnungslage gläubigerbenachteiligend. Die Wirksamkeit der Kündigung steht der Anfechtbarkeit der Herstellung der Aufrechnungslage nicht entgegen.

BGH v. 19.10.2023 - IX ZR 249/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 6.2.2018 am 1.5.2018 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der R. GmbH (Schuldnerin). Die Beklagte beauftragte die Schuldnerin im August 2017 auf der Grundlage zweier Auftragsschreiben mit Metallbauarbeiten. Nachdem die Beklagte von dem Insolvenzantrag der Schuldnerin Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie mit Schreiben vom 9.3.2018 u.a. diese beiden Verträge gem. § 8 Abs. 2 VOB/B außerordentlich fristlos und nahm am 21.3.2018 die bereits erbrachten Arbeiten ab.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung restlichen Werklohns für Metallbauarbeiten der Schuldnerin auf der Grundlage der beiden Auftragsschreiben gem. zweier Schlussrechnungen vom 28.3.2018 i.H.v. insgesamt rd. 180.000 € in Anspruch. Die Beklagte rechnet mit streitigen Schadensersatzansprüchen aus einem anderen, ebenfalls mit dem Schreiben vom 9.3.2018 gem. § 8 Abs. 2 VOB/B außerordentlich fristlos gekündigten Bauvorhaben i.H.v. rd. 380.000 € auf.

Das LG gab unter Berücksichtigung von Abzügen wegen nicht erbrachter Teilleistungen der Klage i.H.v. rd. 170.000 € statt. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG nur insoweit Erfolg, als hinsichtlich eines Betrags von rd. 10.000 € eine Verurteilung Zug um Zug gegen Stellung von Gewährleistungsbürgschaften ausgesprochen wurde. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat zutreffend angenommen, dass gegenüber den in der Revisionsinstanz nicht mehr im Streit stehenden Vergütungsansprüchen der Schuldnerin die Aufrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO insolvenzrechtlich unzulässig ist.

Die Revision rügt insbesondere ohne Erfolg, es fehle an einer objektiven Gläubigerbenachteiligung, weil die Kündigung Voraussetzung für die vom Kläger erhobene Restwerklohnforderung und zugleich für das Entstehen des Schadensersatzanspruchs wegen der Fertigstellungsmehrkosten gewesen sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann die gläubigerbenachteiligende Wirkung, die mit der Herstellung einer Aufrechnungslage eintritt, selbständig angefochten werden. Die gem. § 129 Abs. 1 InsO erforderliche Gläubigerbenachteiligung ist beim Herstellen der Aufrechnungslage regelmäßig schon deshalb zu bejahen, weil die Forderung der Masse im Umfang der Aufrechnung zur Befriedigung einer einzelnen Insolvenzforderung verbraucht wird und insoweit nicht mehr für die Verteilung der Masse zur Verfügung steht. Der Masse entgeht dadurch die Differenz zwischen dem Nennwert der Forderung der Masse und der Quote auf die Gegenforderung des Insolvenzgläubigers.

Eine Kündigung hat die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger zur Folge, wenn sie - wie hier - zu der Möglichkeit der Aufrechnung führt, welche die Hauptforderung der Gesamtheit der Gläubiger entzog. In der Möglichkeit der Befriedigung durch Aufrechnung, welche den üblicherweise eintretenden Zufluss des Werklohns für die erbrachten Arbeiten an die haftende Masse ausschließt, wodurch die anderen Gläubiger benachteiligt werden, liegt eine objektive Gläubigerbenachteiligung. Eine Saldierung der Vor- und Nachteile findet im Insolvenzverfahren grundsätzlich nicht statt; eine Vorteilsausgleichung nach schadensersatzrechtlichen Grundsätzen ist im Insolvenzanfechtungsrecht grundsätzlich nicht zulässig. Vielmehr ist der Eintritt der Gläubigerbenachteiligung isoliert in Bezug auf die konkret bewirkte Minderung des Aktivvermögens oder die Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen. Daher schließt es die Gläubigerbenachteiligung nicht aus, wenn die Werklohnforderung, gegen die die Beklagte aufgerechnet hat, erst durch die angefochtene Rechtshandlung fällig geworden ist.

Dass die Rechtshandlung, welche die Aufrechnungslage herbeiführt, der Masse auch Vorteile verschafft haben mag, steht einer Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen. Zwar hat, wie die Revision zutreffend geltend macht, der VII. Zivilsenat noch zur Gesamtvollstreckungsordnung entschieden, dass es an einer Gläubigerbenachteiligung fehle, wenn die Kündigung des Bestellers dazu führe, dass dessen Schadensersatzanspruch durchsetzbar entstanden, sie andererseits aber auch notwendige Voraussetzung für die Fälligkeit der Werklohnforderung des Schuldners gewesen sei. Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, kann dahinstehen. Sie betrifft jedenfalls nicht den Fall, dass die einander aufrechenbar gegenüberstehenden Forderungen aus unterschiedlichen Verträgen stammen. Im Streitfall folgen die Gegenforderungen aus einem anderen Vertragsverhältnis, dessen außerordentlich fristlose Kündigung auf die Fälligkeit der Hauptforderung des Schuldners keinen Einfluss hatte.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Kündigung eines Werkvertrags wegen Insolvenz des Werkunternehmens
OLG Dresden vom 23.06.2023 - 22 U 2617/22
ZIP 2023, 2102
ZIP0059585

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