08.09.2011

Griechenland-Hilfe und Euro-Rettungsschirm verstoßen nicht gegen die Verfassung

Unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Einschätzungsvorrangs und gemessen an den zulässigerweise angelegten verfassungsrechtlichen Maßstäben erweist sich sowohl das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz als auch das Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetz als mit dem GG vereinbar. Der Bundestag hat sein Budgetrecht nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise entleert und den substantiellen Bestimmungsgehalt des Demokratieprinzips nicht missachtet.

BVerfG 7.9.2011, 2 BvR 987/10 u.a.
Der Sachverhalt:
Im Mai 2010 stellten die Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe auf Antrag Griechenlands im Zusammenhang mit einem dreijährigen Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) erhebliche Finanzhilfen bereit und versprachen, Griechenland mit bilateralen Darlehen zu unterstützen. Um die erforderlichen Maßnahmen auf nationaler Ebene zu treffen, verabschiedete der Bundestag am 7.5.2010 das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik. Dieses ermächtigt das Bundesministerium der Finanzen, Gewährleistungen bis zur Höhe von 22,4 Mrd. € für Kredite an Griechenland zu übernehmen. Einen hiergegen gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnte das BVerfG ab.

Ebenfalls am 7.5.2010 vereinbarten die Staats- und Regierungschefs der Euro-Gruppe in Brüssel, dass die EU-Kommission einen europäischen Stabilisierungsmechanismus zur Wahrung der Finanzmarktstabilität in Europa vorschlagen sollte ("Euro-Rettungsschirm"). Der Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN-Rat) beschloss daraufhin die Schaffung eines europäischen Stabilisierungsmechanismus. Um auf nationaler Ebene die Voraussetzungen dafür zu schaffen, verabschiedete der Bundestag am 21.5.2010 das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus. Dieses ermächtigt das Bundesministerium der Finanzen dazu, Gewährleistungen zur Absicherung von Krediten bis zu einer Höhe von 147,6 Mrd. € zu übernehmen. Auch einen hiergegen gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnte das BVerfG ab.

Die Beschwerdeführer waren der Ansicht, dass die ergriffenen Maßnahmen Unionsrecht verletzten und Ultra-Vires-Handeln darstellten. Insofern rügten sie eine Verletzung des Art. 14 GG sowie eine Beeinträchtigung des Wahlrechts aus Art. 38 Abs. 1 GG, insbesondere unter den Aspekten einer Verletzung des Demokratieprinzips und einer Beeinträchtigung der Haushaltsautonomie des Bundestages.

Das BVerfG wies die drei Verfassungsbeschwerden allerdings zurück.

Die Gründe:
Weder das das zur Griechenland-Hilfe ermächtigende Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz noch das den Euro-Rettungsschirm betreffende Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetz verletzt das Wahlrecht aus Art. 38 Abs. 1 GG. Der Bundestag hat dadurch weder sein Budgetrecht noch die Haushaltsautonomie zukünftiger Bundestage in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise beeinträchtigt.

Art. 38 Abs. 1 GG schützt davor, dass Kompetenzen des gegenwärtigen oder eines künftigen Bundestages ausgehöhlt werden und damit die Verwirklichung des politischen Willens der Bürger rechtlich oder praktisch unmöglich gemacht wird. Die Norm fordert i.V.m. den Grundsätzen des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 1 u. Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 GG, dass die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand als grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat in der Hand des Bundestages bleibt. So müssen die Abgeordneten als gewählte Repräsentanten des Volkes auch in einem System intergouvernementalen Regierens die Kontrolle über fundamentale haushaltspolitische Entscheidungen behalten. Insofern ist es dem Bundestag untersagt, finanzwirksame Mechanismen zu begründen, die zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne erneute konstitutive Zustimmung des Bundestages führen können.

Allerdings konnte nicht festgestellt werden, dass die Höhe der übernommenen Gewährleistungen die haushaltswirtschaftliche Belastungsgrenze derart überschreitet, dass die Haushaltsautonomie praktisch vollständig leerliefe. Die Beurteilung des Gesetzgebers, dass die Gewährleistungsermächtigungen i.H.v. insgesamt rund 170 Mrd. € für den Bundeshalt tragbar seien, überschreitet nicht seinen Einschätzungsspielraum und war verfassungsmäßig. Gleiches galt für seine Erwartung, dass selbst im Fall der vollständigen Realisierung des Gewährleistungsrisikos die Verluste über Einnahmesteigerungen, Ausgabenkürzungen und über längerfristige Staatsanleihen noch refinanzierbar wären.

Dennoch verpflichtet § 1 Abs. 4 S. 1 des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes die Bundesregierung lediglich dazu, sich vor der Übernahme von Gewährleistungen zu bemühen, Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss des Bundestages herzustellen. Dies genügt nach Ansicht des Senats nicht. Vielmehr bedarf es zur Gewährleistung der parlamentarischen Haushaltsautonomie einer verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung dahingehend, dass die Bundesregierung grundsätzlich verpflichtet ist, vor Übernahme von Gewährleistungen jeweils die vorherige Zustimmung des Haushaltsausschusses einzuholen.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
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BVerfG PM Nr. 55 vom 7.9.2011
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