14.03.2025

Haftpflichtversicherung: Streit um Deckung für Schäden nach pflichtwidrig unterlassener Sterilisation

Der Begriff des Schadensereignisses wird durch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen bestimmt. § 100 VVG enthält gerade keine Definition des Versicherungsfalles. Im Falle einer pflichtwidrig unterlassenen Sterilisation ist erst die Empfängnis der geschädigten Patientin bzw. der zur Empfängnis führende Geschlechtsverkehr das versicherte Schadensereignis i.S.v. Ziff. 1.1 AHB 2008.

LG Duisburg v. 11.2.2025 - 6 O 227/24
Der Sachverhalt:
Die Parteien waren durch einen Haftpflichtversicherungsvertrag verbunden, der den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB 2008) sowie den "Besonderen Bedingungen und Erläuterungen zum Rahmenabkommen für die Haftpflichtversicherung von Krankenhäusern, die Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen unterlag. Das Versicherungsverhältnis endete am 1.1.2019 um 12 Uhr.

Die Klägerin verlangte Deckung für Schäden, die aus einer von den behandelnden Ärzten im Krankenhaus der Klägerin im Rahmen einer im Dezember 2018 durchgeführten Kaiserschnittgeburt geplanten, aber nicht durchgeführten Sterilisation resultieren. Die Patientin wurde auch im Nachgang nicht darüber informiert, dass die Sterilisation nicht durchgeführt worden war. Im Jahr 2019 wurde sie dann ungeplant schwanger und gebar am 9.4.2020 ein Kind, das an Trisomie 21, Leukämie sowie unter mehreren Herzfehlern leidet. Die Beklagte hat der Geschädigten bislang rund 82.038 € gezahlt. Die Zahlungen erfolgten zum Teil ausdrücklich "ohne Anerkennung einer Rechts- bzw. Eintrittspflicht" und im Übrigen mit dem Hinweis "frei verrechenbar". Die Beklagte lehnte die Deckung ab.

Die Klägerin war der Ansicht, der Versicherungsfall sei in der unterlassenen Sterilisation zu sehen. Auf die erst nach Versicherungsende eingetretene Empfängnis bzw. Geburt des Kindes komme es nicht an. Unabhängig davon habe die Beklagte den Deckungsanspruch anerkannt. Die Beklagte war der Auffassung, maßgeblich sei nicht die Schadensverursachung durch die unterlassene Sterilisation, sondern das Ereignis, als dessen Folge die Schädigung entstanden sei. Dies sei vorliegend die Empfängnis im Jahr 2019 oder die Geburt im Jahr 2020.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Die Gründe:
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Versicherungsschutz für den streitgegenständlichen Schaden aus den vereinbarten Versicherungsbedingungen. Denn das Schadensereignis in Gestalt der ungewollten Empfängnis bzw. des damit im unmittelbaren Zusammenhang stattgefundenen Geschlechtsverkehrs ist erst nach dem 1.1.2019, 12 Uhr und damit nicht während der Wirksamkeit der Versicherung eingetreten.

Der Begriff des Schadensereignisses wird durch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen bestimmt. § 100 VVG enthält gerade keine Definition des Versicherungsfalles. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann bei verständiger Würdigung und aufmerksamer Durchsicht erkennen, dass der Wortlaut von Ziffer 1.1 Satz 3 AHB 2008 deutlich zwischen der (kausalen) Pflichtverletzung und dem Schadensereignis differenziert und dass die Schadensverursachung dem Schadensereignis vorgelagert ist, aber diesem nicht entspricht, so dass es auf den Zeitpunkt der Schadensverursachung nicht ankommt. Auch entspricht das Schadensereignis nicht dem Schadenseintritt, da nach Ziffer 1.1. Satz 1 und 2 das Schadensereignis erst zu einem Personen- oder Sachschaden führt.

Infolgedessen ist das Schadensereignis, der Geschlechtsverkehr bzw. die ungewollte Empfängnis der Patientin, die aufgrund der Geburt der Tochter am 9.4.2020 erst nach Ablauf des Versicherungsvertrags am 1.1.2019 stattgefunden haben können. Die unterlassene Sterilisation und die fehlende Aufklärung der Patientin darüber haben in diesem Sinne nicht unmittelbar zu einem Personen- oder Sachschaden geführt.

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Aufsatz
Christian Armbrüster
Aktuelle Praxisfragen des AVB-Rechts
VersR 2024, 136
VERSR0062247

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