17.04.2025

Herstellung und Vertrieb nicht zugelassener Medikamente kann in absoluten Ausnahmefällen zulässig sein

Das Interesse individuell betroffener Krebspatienten an dem vorübergehend fortgesetzten Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Krebsmedikaments kann das Interesse der Verbraucher an der Einhaltung der Zulassungsvorschriften für Medikamente überwiegen. Das Risiko von Beeinträchtigungen und Tod durch Nebenwirkungen verblasst in einem solchen Fall angesichts des sicheren Todes durch die Krebserkrankung ohne alternative Heilungsmöglichkeit.

OLG Frankfurt a.M. v. 3.4.2025 - 6 UKl 2/25
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin ist ein qualifizierter Wirtschaftsverband. Der Antragsgegner ist Apotheker im Taunus. Die Antragstellerin hatte ihn auf Unterlassung der Herstellung und des Vertriebs von nicht zugelassenen Arzneimitteln zur Behandlung einer seltenen insbesondere bei Kindern auftretenden tödlichen Tumorerkrankung in Anspruch genommen. Der Antragsgegner stellt in seiner Apotheke Krebsmedikamente unter Verwendung näher benannter Wirkstoffe her. Ein US-amerikanisches Pharmaunternehmen führt derzeit u.a. in Deutschland klinische Prüfungen in Phase III und Phase I für Krebsmedikamente mit identischen Wirkstoffen durch.

Die Antragstellerin behauptete, der Beklagte vertreibe sog. Nachbauten des US-amerikanischen Unternehmens. Der Antragsgegner entgegnete, er habe einen eigenen verbesserten Syntheseweg entwickelt. Das für den Eilantrag erstinstanzlich zuständige OLG hat den auf Unterlassung gerichteten Antrag zurückgewiesen. Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Die Gründe:
Im vorliegenden Fall fehlte es an einem Verfügungsgrund, der eine besondere Form des Rechtsschutzbedürfnisses für eine Eilentscheidung darstellt.

Im Rahmen der in diesem Zusammenhang gebotenen Interessenabwägung überwiegte hier das Interesse des individuell betroffenen Patienten an einem vorübergehend fortgesetzten Inverkehrbringen der nicht zugelassenen Arzneimittel. Demgegenüber konnte das allgemeine Verbraucherinteresse an der Entwicklung und Zulassung wirksamer Krebsarzneimittel vernachlässigt werden. Es war nicht ersichtlich, dass die laufenden klinischen Studien durch das Verhalten des Antragsgegners gefährdet würden.

Dem weiteren Interesse der Verbraucher an der Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Zulassungsverfahrens und dem damit verbundenen Schutzgedanken stand das Interesse des sehr kleinen Verbraucherkreises der tatsächlich betroffenen Patienten einer seltenen Krebsart mit einer medianen Überlebensrate von zehn Monaten gegenüber. Die Abwägung lief auf einen Widerstreit der Interessen jener konkret betroffenen Patienten hinaus, die als (potenzielle) Abnehmer der - gleichsam risikobehafteten wie Stabilisierung/Heilung versprechenden - Arzneimittel des Antragsgegners die beiden genannten Gesichtspunkte in einer Person vereinten.

Das Risiko von Beeinträchtigungen und Tod durch Nebenwirkungen verblasst in einem solchen Fall angesichts des sicheren Todes durch die Krebserkrankung ohne alternative Heilungsmöglichkeit. Das Arzneimittel verspricht jedenfalls eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder jedenfalls Stabilisierung. Angesichts der verfassungsrechtlich verbürgten Verpflichtung des Staats und damit auch der Gerichte zum Schutz des Lebens als grundgesetzlichem Höchstwert kann die Versorgung der Patienten bis zum Ausgang eines Hauptsacheverfahrens nicht einstweilen ausgesetzt werden. Schließlich steht hier außer Frage, dass das nicht zugelassene Medikament eine Heilungschance bietet, und dass glaubhaft gemacht werden konnte, dass nur solche Patienten damit versorgt werden, denen keine andere Behandlungsmöglichkeit mehr zur Verfügung steht.

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