06.11.2023

Hinweis auf herauszugebende gezogene Nutzungen gehört zur ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung i.S.v. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG

Zur ordnungsgemäßen Belehrung i.S.v. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG für den Fall, dass der Versicherungsschutz nicht vor dem Ende der Widerrufsfrist beginnt, gehört neben dem Hinweis auf die Rückgewähr empfangener Leistungen auch der Hinweis auf die herauszugebenden gezogenen Nutzungen. Im Rahmen der Rückabwicklung nach § 152 Abs. 2 i.V.m. § 169 VVG ist der Rückkaufswert nach dem ungezillmerten Deckungskapital ohne Verrechnung der Abschluss- und Vertriebskosten zu bestimmen.

BGH v. 11.10.2023 - IV ZR 40/22
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung um die Rückabwicklung eines Rentenversicherungsvertrages. Unter dem 27.10.2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten den Abschluss eines Rentenversicherungsvertrages. Die Beklagte nahm den Antrag an und übersandte dem Kläger den Versicherungsschein. Auf der zweiten Seite des Policenbegleitschreibens hieß es:

"Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 30 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt am Tag, nach welchem Ihnen
  • der Versicherungsschein einschließlich der Belehrung über das Widerrufsrecht und die Rechtsfolgen des Widerrufs,
  • die Vertragsbestimmungen einschließlich unserer Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und
  • die nach der VVG-Informationspflichtenverordnung (VVG- InfoV) vorgeschriebenen Informationen, die Sie in diesen 'Versicherungsinformationen', den Vertragsbestimmungen sowie bei Verbrauchern im Produktinformationsblatt finden,

zugegangen sind. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an: [...]

Im Falle eines wirksamen Widerrufs erstatten wir Ihnen den Teil Ihres Beitrags, der auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfällt.

Den Teil Ihres Beitrags, der auf die Zeit bis zum Zugang des Widerrufs entfällt, behalten wir ein, wenn Sie zugestimmt haben, dass der Versicherungsschutz vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Wir erstatten Ihnen aber einen ggf. vorhandenen Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile nach § 169 VVG. Haben Sie die Zustimmung nicht erteilt oder beginnt der Versicherungsschutz erst nach Ablauf der Widerrufsfrist, sind die beiderseits empfangenen Leistungen zurückzugewähren.

Unsere Erstattungspflicht erfüllen wir unverzüglich, spätestens 30 Tage nach Zugang des Widerrufs."


Im Juni 2017 wurde der Vertrag auf Wunsch des Klägers beitragsfrei gestellt. Mit Schreiben vom 20.5.2019 erklärte der Kläger den so bezeichneten "Widerspruch", den die Beklagte zurückwies. Soweit für die Revision noch von Interesse, verlangt der Kläger mit seiner Klage die Zahlung von rd. 55.000 € nebst Zinsen.

Das LG wies die Klage ab. Im Berufungsverfahren reduzierte der Kläger den Zahlungsantrag zuletzt auf rd. 35.000 €. Das OLG gab der Klage überwiegend statt und verurteilte die Beklagte, an den Kläger rd. 31.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Revision der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger seine Vertragserklärung mit Schreiben vom 20.5.2019 wirksam widerrufen hat.

Die Widerrufsfrist begann gem. § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG nicht zu laufen, weil die Beklagte ihn nicht ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen eines Widerrufs belehrt hatte. Das OLG im Ergebnis zu Recht eine ordnungsgemäße Belehrung des Klägers verneint, weil die Beklagte diesen nicht über einen möglichen Nutzungsherausgabeanspruch belehrt hat. Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG ist der Versicherungsnehmer auch über die Rechtsfolgen eines Widerrufs zu belehren. Damit ihm klar ist, in welcher Konstellation welche gegenseitigen Ansprüche bestehen und somit welche wirtschaftlichen Folgen der Widerruf für ihn hat, muss er zumindest über seine wesentlichen Rechte informiert werden. Zu diesen zählt bei einer möglichen Geltung der allgemeinen Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt (§ 357 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. i.V.m. §§ 346 ff. BGB) nicht nur, dass der Versicherer gem. § 346 Abs. 1 Fall 1 BGB gezahlte Prämien zurückzuzahlen hat, sondern auch, dass er ggf. gezogene Nutzungen nach § 346 Abs. 1 Fall 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB herausgeben muss.

Bestätigt wird dies durch die zum 11.6.2010 erfolgte Aufnahme eines Hinweises auf diesen Anspruch in die Musterwiderrufsbelehrung nach der Anlage zu § 8 Abs. 5 Satz 1 VVG a.F. Das Muster über die Widerrufsbelehrung kann auch schon für die Zeit davor als rechtlich unbedenkliche Empfehlung des Gesetzgebers Verwendung finden. Entgegen der Ansicht der Revision kann sich die Pflicht zur Belehrung über die Rechtsfolgen des Widerrufs nicht auf die in § 9 Abs. 1 VVG genannten Rechtsfolgen beschränken, da dort nur ein Teil der möglichen Rechtsfolgen geregelt ist, die unter den dort genannten Voraussetzungen eintreten, während ansonsten die allgemeinen Regeln des BGB gelten. Nur im Rahmen ihres Anwendungsbereichs verdrängen § 9 Abs. 1, § 152 Abs. 2 VVG die im BGB enthaltenen allgemeinen Vorschriften über die Widerrufsfolgen.

Für die Höhe des Zahlungsanspruchs des Klägers ist das OLG zutreffend und im Einklang mit der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur davon ausgegangen, dass sich der Rückkaufswert gem. § 152 Abs. 2 VVG nach § 169 VVG, jedoch nach dem ungezillmerten Deckungskapital ohne Verrechnung der Ab-schluss- und Vertriebskosten bestimmt. Dieser Betrag war ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Anforderungen an die nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 VVG erforderliche Widerrufsbelehrung
OLG Saarbrücken vom 24.05.2023 - 5 U 61/22
VersR 2023, 1278
VERSR0058989

Rechtsprechung:
Anforderungen an die Widerrufsbelehrung
OLG Dresden vom 20.10.2022 - 4 U 951/22
VersR 2023, 161

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