27.11.2012

Im Fernabsatz erworbene "Lehman-Zertifikate" können nicht widerrufen werden

Anleger, die insbesondere "Lehman-Zertifikate" per Telefon oder E-Mail erworben haben, können ihre auf Abschluss der Erwerbsverträge mit der Bank gerichtete Willenserklärung nicht nach den Regeln über den Fernabsatz widerrufen. Der Anleger, der zugleich Verbraucher ist, soll einen drohenden Verlust aufgrund fallender Basiswerte innerhalb der Widerrufsfrist nicht durch Ausübung des Widerrufsrechts auf den Unternehmer abwälzen können.

BGH 27.11.2012, XI ZR 384/11 u.a.
Der Sachverhalt:

+++ XI ZR 384/11 +++
Im vorliegenden Fall hatten die Kläger und ihr Ehemann im Februar 2007 "Global Champion"-Zertifikate erworben. Hierbei handelt es sich um Inhaberschuldverschreibungen der niederländischen Lehman Brothers Treasury Co. B.V., deren Rückzahlung von der US-amerikanischen Lehman Brothers Holdings Inc. garantiert wurde. Zwischen den Parteien ist streitig, ob das Verkaufsgespräch hinsichtlich der 16 Zertifikate ganz oder teilweise telefonisch erfolgte.

Das Geschäft wurde von der beklagten Bank im Eigenhandel zu einem Festpreis ausgeführt. Nach der Insolvenz der Emittentin und der Garantin wurden die Zertifikate weitgehend wertlos. Im Februar 2010 erklärten die Eheleute den Widerruf aller von ihnen im Zusammenhang mit dem Kauf abgegebenen Erklärungen und verlangten im Wesentlichen die Rückzahlung des Anlagebetrages von rund 16.069 € nebst Zinsen abzüglich einer Bonuszahlung.

LG und OLG wiesen die Klage ab.

+++ XI ZR 439/11 +++
In dem zweiten Fall erwarb der Ehemann der Klägerin auf Empfehlung von Mitarbeitern derselben beklagten Bank teilweise aufgrund von Telefonaten und teilweise per E-Mail verschiedene Zertifikate - darunter auch "Global Champion"-Zertifikate - sowie Anteile eines u.a. in Zertifikate investierenden Fonds. Im Juli 2011 widerrief der Zedent sämtliche Vertragserklärungen gegenüber der Beklagten und die Klägerin verlangte aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes die Rückerstattung verlorener Anlagebeträge i.H.v. 72.394 €.

Auch hier wiesen das LG und das OLG die Klage ab.

Beide Revisionen der Kläger blieben vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
In beiden Fällen kam ein Widerrufsrecht schon nach § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB nicht in Betracht.

Danach kann eine auf Abschluss eines Fernabsatzvertrages gerichtete Willenserklärung dann nicht widerrufen werden, wenn Gegenstand des Vertrages die Verschaffung von Finanzdienstleistungen ist, deren "Preis" innerhalb der Widerrufsfrist - dem Einfluss des Unternehmers, hier der Bank, entzogenen - Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterliegt. Dabei ist der Begriff des Preises nach der Systematik und der Gesetzgebungsgeschichte weit zu verstehen. "Preis" ist nicht nur ein Börsen- oder Marktpreis, der für das Produkt selbst auf dem Finanzmarkt gezahlt wird. "Preis" i.S.d. § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB können vielmehr auch die Parameter sein, von denen der Wert des Finanzprodukts abhängt.

Wie auch in den vorliegenden Fällen sollten etwa Bonuszahlungen und die Rückzahlung der "Lehman-Zertifikate" in Abhängigkeit von der Entwicklung dreier Aktienindizes (Dow Jones EuroSTOXX 50, Standard & Poor´s 500 sowie Nikkei 225) während dreier aufeinander folgender Beobachtungszeiträume ab dem 7.2.2007 erfolgen. Entsprechend hing der innere Wert der Zertifikate mit Beginn der Beobachtungszeiträume von Parametern ("Basiswerten" oder "Underlyings"), nämlich der Entwicklung der drei Aktienindizes, ab, die von der beklagten Bank nicht beeinflussbaren Schwankungen auf den Finanzmärkten unterworfen waren.

Der Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB bei dem Erwerb solcher Papiere soll das Risiko eines wenigstens mittelbar finanzmarktbezogen spekulativen Geschäfts mit seinem Abschluss in gleicher Weise auf beide Parteien verteilen. Der Anleger, der allerdings - wie in den vorliegenden Fällen - zugleich Verbraucher ist, soll einen drohenden Verlust aufgrund fallender Basiswerte innerhalb der Widerrufsfrist nicht durch Ausübung des Widerrufsrechts auf den Unternehmer abwälzen können.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 197 vom 27.11.2012
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