In Höchstspannungsnetz einspeisendes Kraftwerk ist keine dezentrale Erzeugungsanlage
BGH 27.2.2018, EnVR 1/17Die Antragstellerin betreibt ein Kohlekraftwerk. Der dort erzeugte Strom wird über eine von der Antragsgegnerin betriebene 22,3 km lange Stichleitung mit einer Spannung von 220 kV in das Umspannwerk G. übertragen. An dieses Umspannwerk sind das ebenfalls mit 220 kV betriebene Übertragungsnetz der A-GmbH und das nachgelagerte, mit 110 kV betriebene Netz der Antragsgegnerin angeschlossen. Der Strom aus dem Kraftwerk deckt vorwiegend die Grund- und Mittellast im Netzgebiet der Antragsgegnerin.
Bis 2010 zahlte die Antragsgegnerin an die Antragstellerin Entgelte für die dezentrale Einspeisung aus dem Kraftwerk. Im Hinblick auf die von der Bundesnetzagentur geäußerte Auffassung, Anlagen, die in das Höchstspannungsnetz einspeisten, seien nicht als dezentrale Erzeugungsanlagen anzusehen, stellte sie die Zahlungen zum 1.1.2011 ein. Die Antragstellerin beantragte daraufhin bei der Bundesnetzagentur, der Antragsgegnerin im Rahmen der Missbrauchsaufsicht aufzugeben, dezentrale Einspeisungsentgelte auch für das Jahr 2011 zu zahlen und die Auszahlung künftig nicht mehr zu verweigern.
Die Bundesnetzagentur wies diesen Antrag zurück. Die Beschwerde der Antragstellerin hatte vor dem OLG ebenso wenig Erfolg wie die vorliegende Rechtsbeschwerde vor dem BGH.
Die Gründe:
Das OLG ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Kraftwerk der Antragstellerin keine dezentrale Erzeugungsanlage i.S.v. § 18 Abs. 1 StromNEV und § 3 Nr. 11 EnWG ist.
Zutreffend hat das OLG zur Auslegung des nach § 18 Abs. 1 StromNEV maßgeblichen Begriffs "dezentrale Erzeugungsanlage" die Definition in § 3 Nr. 11 EnWG herangezogen. Die Begriffsbestimmungen in § 3 EnWG sind grundsätzlich auch zur Auslegung der auf der Grundlage dieses Gesetzes ergangenen Verordnungen heranzuziehen, soweit diese gleichlautende Begriffe verwenden und keine abweichenden Bestimmungen enthalten. § 18 Abs. 1 StromNEV knüpft an den in § 3 Nr. 11 EnWG definierten Begriff "dezentrale Erzeugungsanlage" an und enthält keine abweichende Definition. § 2 StromNEV, der die für die Verordnung wesentlichen Begriffe in Ergänzung zu den Begriffsbestimmungen des EnWG definiert, enthält ebenfalls keine abweichende Bestimmung. Deshalb richtet sich die Auslegung nach § 3 Nr. 11 EnWG.
Die danach entscheidende Frage, ob das Kraftwerk der Antragstellerin an das Verteilernetz angeschlossen ist, hat das OLG zu Recht anhand der Definition des Begriffs "Verteilung" in § 3 Nr. 37 EnWG beurteilt. Der Begriff "Verteilernetz" ist in § 3 EnWG nicht definiert. Aus dem systematischen Zusammenhang der in dieser Vorschrift enthaltenen Begriffsbestimmungen ergibt sich, dass darunter Netze fallen, die der Verteilung i.S.v. § 3 Nr. 37 EnWG dienen. Nach der maßgeblichen Definition in § 3 Nr. 37 EnWG gehört zur Verteilung von Elektrizität nur deren Transport mit hoher, mittlerer oder niederer Spannung, also mit einer Spannung von maximal 110 kV. Der Transport mit Höchstspannung, also mit mehr als 110 kV, ist nach § 3 Nr. 32 EnWG der Übertragung vorbehalten. Diese Einteilung, die der Gesetzgeber aus Art. 2 Nr. 3 und 5 der Richtlinie 2003/54/EG (jetzt: Richtlinie 2009/72/EG) übernommen hat, steht, soweit ersichtlich, in Einklang mit der einhelligen Auffassung in der Literatur. Danach ist das Kraftwerk der Antragstellerin nicht an das Verteilernetz angeschlossen, weil der mit ihm erzeugte Strom in ein Höchstspannungsnetz eingespeist wird.
Der Umstand, dass nach den Definitionen in § 3 Nr. 32 und 37 EnWG auch der Zweck des Transports von Bedeutung ist, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Nach § 3 Nr. 37 EnWG dient die Verteilung dem Zweck, die Versorgung von Kunden, also von Großhändlern, Letztverbrauchern und Unternehmen (§ 3 Nr. 24 EnWG) zu ermöglichen. Der so definierte Zweck deckt sich jedenfalls teilweise mit dem Zweck der Übertragung, der gem. § 3 Nr. 32 EnWG in der Belieferung von Letztverbrauchern oder Verteilern besteht. Angesichts dessen kann aus dem Umstand, dass eine Leitung im Wesentlichen dazu dient, die Versorgung von Letztverbrauchern in einem bestimmten Verteilernetz zu ermöglichen, nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Leitung ebenfalls zu einem Verteilernetz gehört. Sie kann vielmehr auch zu einem Übertragungsnetz gehören, weil auch ein solches der Versorgung von Letztverbrauchern dienen kann. Aus § 3 Nr. 29c EnWG ergibt sich ebenfalls keine abweichende Beurteilung.
Der Umstand, dass es im Verhältnis zu dem Netz, an das das Kraftwerk angeschlossen ist, kein vorgelagertes Netz mit einer höheren Spannungsebene gibt, stünde einem Anspruch aus § 18 Abs. 1 StromNEV für sich gesehen nicht entgegen. Das Vorhandensein eines vorgelagerten Netzes in diesem Sinne ist aber lediglich eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für einen Anspruch nach § 18 Abs. 1 StromNEV. Weitere Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist, dass die Einspeisung aus einer dezentralen Erzeugungsanlage erfolgt. Dies setzt voraus, dass die Anlage an ein Verteilernetz angeschlossen ist. Es kann dahinstehen, ob die Leitung, mit der das Kraftwerk der Antragstellerin angeschlossen ist, Teil eines Übertragungsnetzes ist oder ob einer solchen Einordnung das in § 3 Nr. 32 EnWG zusätzlich vorgesehene Merkmal entgegensteht, wonach der Transport über ein Verbundnetz erfolgen muss. Wenn die Frage im letzteren Sinne zu beantworten wäre, könnte zwar eine Regelungslücke bestehen, weil das Gesetz in § 3 Nr. 2 EnWG wie bereits dargelegt nur zwischen Verteiler- und Übertragungsnetzen unterscheidet und eine dritte Netzkategorie insoweit nicht kennt. Diese Lücke aber nicht durch eine entsprechende Anwendung von § 3 Nr. 11 EnWG geschlossen werden. Eine solche Einordnung stünde in Widerspruch zum Regelungskonzept des Gesetzgebers, der mit Höchstspannung betriebene Leitungen gerade nicht dem Bereich der Verteilung zugeordnet hat.
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