15.12.2015

In Verfassungsbeschwerden von juristischen Personen des Privatrechts können Darlegungen zur Grundrechtsfähigkeit erforderlich sein

Grundrechtsträger nach Art. 19 Abs. 3 GG sind zwar auch inländische juristische Personen, soweit Grundrechte betroffen sind, die ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind. Juristische Personen des Privatrechts müssen ihre Grundrechtsfähigkeit in einer Verfassungsbeschwerde jedoch dann näher darlegen, wenn es aufgrund der äußeren Umstände nahe liegt, dass sie von der öffentlichen Hand beherrscht werden oder öffentliche Aufgaben wahrnehmen.

BVerfG 2.11.2015, 1 BvR 1530/15 u.a.
Der Sachverhalt:
In den Verfahren 1 BvR 1530/15 und 1 BvR 1531/15 hatte sich ein Energieversorgungsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH gegen die Heranziehung zu Schmutzwasseranschlussbeiträgen auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg gewandt. Beschwerdeführerin der Verfahren 1 BvR 1766/15, 1 BvR 1783/15 und 1 BvR 1815/15 war eine kommunale Wohnungsbau-GmbH. Sie hatte sich gegen die Heranziehung zu Schmutzwasseranschlussbeiträgen auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern gewandt.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten sie eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. den aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerden allerdings nicht zur Entscheidung an.

Die Gründe:
Die Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG lagen nicht vor. Den Beschwerdeführern fehlte es an der erforderlichen Beschwerdebefugnis, denn sie waren im Hinblick auf die von ihnen geltend gemachten Grundrechte nicht grundrechtsfähig.

Nach § 90 Abs. 1 BVerfGG ist beschwerdefähig, wer Träger eines als verletzt gerügten Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts sein kann. Grundrechtsträger sind nach Art. 19 Abs. 3 GG zwar auch inländische juristische Personen, soweit Grundrechte betroffen sind, die ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Die Grundrechte dienen allerdings vorrangig dem Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen Menschen als natürlicher Person gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt. Die Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ist deshalb grundsätzlich dann zu verneinen, wenn diese öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Gleiches gilt für juristische Personen des Privatrechts, die von der öffentlichen Hand gehalten oder beherrscht
werden.

Das Beschwerde führende Energieversorgungsunternehmen hatte zu der Frage seiner Grundrechts- und Beschwerdefähigkeit nichts vorgetragen, obwohl ein Vorbringen hierzu angezeigt gewesen war. Es stellt eine juristische Person des Privatrechts dar, aus deren Firmierung sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sie von der öffentlichen Hand gehalten oder jedenfalls beherrscht wird. Denn die Energieversorgung ist eine typische öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge. Für die Beschwerdeführerin bestand somit Anlass, sich mit ihrer Grundrechts- und Beschwerdefähigkeit auseinanderzusetzen.

Das Beschwerde führende Wohnungsbauunternehmen wird von der öffentlichen Hand gehalten. Es nimmt Aufgaben der Wohnraumversorgung und der Förderung des Wohnungsbaus, insbesondere des sozialen Wohnungsbaus, und damit typische Aufgaben der Daseinsvorsorge wahr, ohne einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet zu sein. Der Beschwerdeführerin fehlte es daher an der Grundrechts- und Beschwerdefähigkeit für die gerügten Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 GG i.V.m. dem aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
  • Um direkt zu dem Volltext von 1 BvR 1530/15 und 1 BvR 1531/15 zu kommen, klicken Sie bitte hier.
  • Um direkt zu dem Volltext von 1 BvR 1766/15, 1 BvR 1783/15 und 1 BvR 1815/15 zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BVerfG PM Nr. 93 vom 15.12.2015
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