Insolvenz der Genossenschaft: Arglistig zum Beitritt veranlasster Genosse kann nicht Schadensersatz als Insolvenzforderung geltend machen
LG Stuttgart v. 21.12.2023 - 27 O 153/23
Der Sachverhalt:
Der Beklagte ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. e.G. (Schuldnerin). Die Klagepartei begehrt die Feststellung eines Schadensersatzanspruchs zur Insolvenztabelle, wobei der geltend gemachte Schaden seine Ursache darin hat, dass die Klagepartei der Schuldnerin als Genossin beigetreten ist. Unter dem 27.10.2009 erklärte die Klagepartei ihren Beitritt zur Schuldnerin mit einer Beteiligungssumme i.H.v. 10.000 € zzgl. Abschlussgebühr i.H.v. 1.143 €. Unter dem 10.11.2009 erhielt die Klagepartei von der Schuldnerin ihre Mitgliedsurkunde. Gegenüber Interessenten wie der Klagepartei hatte die Schuldnerin den Genossenschaftsbeitritt dahingehend beworben, dieser sei einem Bausparvertrag vergleichbar. Es bestehe keine Verpflichtung, die nominelle Beteiligungssumme vollumfänglich zu erbringen, vielmehr sei die Einzahlung der Beteiligungssumme lediglich Voraussetzung dafür, um ein Bauspardarlehen in Anspruch nehmen zu können. Überdies wurde die Klagepartei vor ihrem Beitritt nicht über das Risiko eines Totalverlustes aufgeklärt, wobei diese Unterlassung kausal für ihren Beitritt war.
Nach ihrem Beitritt zahlte die Klagepartei an die Schuldnerin insgesamt rd. 1.500 €. Unter dem 7.11.2017 kündigte die Klagepartei ihre Mitgliedschaft bei der Schuldnerin. Nach § 5 Abs. 1 der Satzung der Schuldnerin beträgt die Kündigungsfrist ein Jahr zum Schluss eines Geschäftsjahres. Die Kündigung führte damit zur Beendigung der Mitgliedschaft zum Ablauf des 31.12.2018. Am 1.8.2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und zunächst ein Dritter zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 18.10.2018 wurde der vormalige Insolvenzverwalter abberufen und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Am 1.3.2021 verurteilte eine Wirtschaftsstrafkammer des LG Stuttgart den vormaligen Vorstand der Schuldnerin J. M. u.a. wegen Betrugs zum Nachteil der Mitglieder der Schuldnerin zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten. Der Beklagte nahm die Klagepartei gerichtlich auf Zahlung ihrer Beteiligungssumme sowie der Abschlussgebühr in Anspruch, soweit diese noch nicht erfolgt war. Im Berufungsverfahren vor dem OLG Hamm verständigten sich die Parteien darauf, dass sich die Klagepartei zur Zahlung des geforderten Betrags i.H.v. rd. 10.000 € an den Beklagten in mtl. Raten zu je 175 € verpflichtet unter Vereinbarung einer Verfallklausel im Falle des Zahlungsverzugs; bei einer Zahlung von 31 Raten und damit insgesamt 5.250,00 €, ohne dass die sofortige Fälligkeit des Restbetrages wegen Zahlungsverzugs verwirkt worden wäre, soll der überschießende Betrag erlassen sein. Der Vergleich wurde vom OLG Hamm mit Beschluss vom 20.7.2022 festgestellt. Die Klagepartei leistet gegenwärtig die vereinbarten monatlichen Raten.
Am 19.7.2022 meldete die Klagepartei einen Anspruch auf Ersatz ihres Zeichnungsschadens i.H.v. rd. 7.000 € als Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zur Tabelle an. Nachdem der Beklagte dieser Forderungsanmeldung widersprochen hat, begehrt die Klagepartei mit ihrer Klage die Feststellung zur Tabelle.
Das LG wies die Klage ab.
Die Gründe:
Der Klagepartei steht die zur Tabelle angemeldete Schadensersatzforderung im Rang einer Insolvenzforderung (§ 38 InsO) nicht zu.
Schuldrechtliche Wertungen werden hier durch die verbandsrechtlichen Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft überlagert. Nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft kann eine auf Dauer angelegte und tatsächlich vollzogene Leistungsgemeinschaft in Form einer Gesellschaft, für welche die Beteiligten Beiträge erbracht und Werte geschaffen haben, nicht mit rückwirkender Kraft aufgehoben und damit so behandelt werden, als ob sie niemals bestanden hätte. Auch auf den Beitritt eines Mitglieds zu einer Genossenschaft sind die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft bzw. des fehlerhaften Beitritts anwendbar. Dies hat zur Folge, dass Ansprüche des fehlerhaft beigetretenen Genossen auf das Auseinandersetzungsguthaben nach § 73 GenG beschränkt sind. Die Lehre von der fehlerhaften Genossenschaft gilt dabei auch zum Nachteil des fehlerhaft beigetretenen Genossen, dessen Beitritt durch arglistige Täuschung veranlasst worden ist. Der fehlerhaft Beigetretene ist daher selbst in Fällen arglistiger Täuschung darauf verwiesen, seine Mitgliedschaft mit Wirkung ex nunc zu kündigen, was auch für Publikumsgesellschaften gilt.
Etwas anderes gilt lediglich für die zweigliedrige stille Gesellschaft, bei welcher ein Anspruch des fehlerhaft beigetretenen stillen Gesellschafters gegen seinen Vertragspartner in Betracht kommt, so gestellt zu werden, als hätte er seine Einlage nicht geleistet. Diese Grundsätze sind hier nicht anwendbar. Abgesehen davon, das bereits bei einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft die Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft anwendbar sind, steht im Streitfall eine stille Gesellschaft überhaupt nicht in Frage. Die stille Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, das die Einlage des Stillen im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Inhabers eine Insolvenzforderung darstellt (§ 236 Abs. 1 HGB). Insolvenzrechtlich wird die Einlage des typisch stillen Gesellschafters daher wie Fremdkapital und nicht wie Eigenkapital behandelt. So verhält es sich bei der Genossenschaft hingegen gerade nicht. Die Einlage des Genossen ist vielmehr in der Insolvenz der Genossenschaft Haftkapital und keine Insolvenzforderung, worin sich die Einlage des Genossen nicht von derjenigen eines Aktionärs oder Gesellschafters einer GmbH unterscheidet.
Der zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aktive Genosse ist folglich auch bei fehlerhaftem Beitritt auf einen Anspruch auf ein Auseinandersetzungsguthaben beschränkt. Ein positives Auseinandersetzungsguthaben gibt es dabei nur dann, wenn nach Vollzug der Schlussverteilung ein nach § 199 Satz 2 InsO zu verteilender Übererlös verbleibt, während der Anspruch keine Teilhabe als Insolvenzforderung gem. § 38 an der Schlussverteilung ermöglicht. Vorliegend ist die Klagepartei zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch Genossin gewesen, weil sie zwar ihre Kündigung erklärt hatte, die Kündigung aber noch nicht zum Ausscheiden aus der Schuldnerin geführt hatte. Der Klagepartei stehen im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin daher keine weiteren Rechte als dasjenige zu, im Falle eines Übererlöses nach der Schlussverteilung an dessen Verteilung nach § 199 InsO zu partizipieren. Ob die Klagepartei ihren Abfindungsanspruch mit Erfolg zur Tabelle anmelden könnte, wenn sie bereits vor Insolvenzeröffnung ausgeschieden wäre, oder ob sie auch dann aufgrund des Grundsatzes der Kapitalerhaltung auf die Verteilung eines Übererlöses nach § 199 InsO verwiesen wäre, bedurfte daher keiner Entscheidung.
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Der Beklagte ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. e.G. (Schuldnerin). Die Klagepartei begehrt die Feststellung eines Schadensersatzanspruchs zur Insolvenztabelle, wobei der geltend gemachte Schaden seine Ursache darin hat, dass die Klagepartei der Schuldnerin als Genossin beigetreten ist. Unter dem 27.10.2009 erklärte die Klagepartei ihren Beitritt zur Schuldnerin mit einer Beteiligungssumme i.H.v. 10.000 € zzgl. Abschlussgebühr i.H.v. 1.143 €. Unter dem 10.11.2009 erhielt die Klagepartei von der Schuldnerin ihre Mitgliedsurkunde. Gegenüber Interessenten wie der Klagepartei hatte die Schuldnerin den Genossenschaftsbeitritt dahingehend beworben, dieser sei einem Bausparvertrag vergleichbar. Es bestehe keine Verpflichtung, die nominelle Beteiligungssumme vollumfänglich zu erbringen, vielmehr sei die Einzahlung der Beteiligungssumme lediglich Voraussetzung dafür, um ein Bauspardarlehen in Anspruch nehmen zu können. Überdies wurde die Klagepartei vor ihrem Beitritt nicht über das Risiko eines Totalverlustes aufgeklärt, wobei diese Unterlassung kausal für ihren Beitritt war.
Nach ihrem Beitritt zahlte die Klagepartei an die Schuldnerin insgesamt rd. 1.500 €. Unter dem 7.11.2017 kündigte die Klagepartei ihre Mitgliedschaft bei der Schuldnerin. Nach § 5 Abs. 1 der Satzung der Schuldnerin beträgt die Kündigungsfrist ein Jahr zum Schluss eines Geschäftsjahres. Die Kündigung führte damit zur Beendigung der Mitgliedschaft zum Ablauf des 31.12.2018. Am 1.8.2018 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und zunächst ein Dritter zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 18.10.2018 wurde der vormalige Insolvenzverwalter abberufen und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
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Das LG wies die Klage ab.
Die Gründe:
Der Klagepartei steht die zur Tabelle angemeldete Schadensersatzforderung im Rang einer Insolvenzforderung (§ 38 InsO) nicht zu.
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Kommentierung | InsO
§ 199 Überschuss bei der Schlussverteilung
Depré in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 11. Aufl. 2023
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§ 38 Begriff der Insolvenzgläubiger
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