Insolvenz: Exkulpation des Geschäftsführers einer Konzern-GmbH
KG Berlin v. 28.4.2022 - 2 U 39/18
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der L-GmbH (fortan: Schuldnerin). Diese ist eine mit dem Vertrieb elektrischer Energie befasst gewesene Gesellschaft des F-Konzerns. Der Beklagte war durchgehend alleiniger Geschäftsführer der Schuldnerin. Der Kläger nahm den Beklagten auf Erstattung von Zahlungen in Anspruch, welche die Schuldnerin zwischen dem 14.3.2013 und dem 11.4.2013 an Dritte geleistet hatte, bevor sie am 12.4.2013 Eigeninsolvenzantrag gestellt hat.
Der Kläger machte geltend, die Zahlungen seien nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet worden, da die Schuldnerin spätestens ab dem 13.3.2013 zahlungsunfähig gewesen sei. Sie habe die Zahlungen eingestellt gehabt. Jedenfalls ergebe sich die Zahlungsunfähigkeit aus der Liquiditätsbilanz. Darüber hinaus sei die Schuldnerin ab Ende 2011, spätestens aber ab Ende 2012 überschuldet gewesen.
Der Beklagte ist dem im Einzelnen entgegengetreten und hat sich zusätzlich u.a. darauf berufen, es seien bis zuletzt erfolgversprechende Verhandlungen über einen Teilverkauf der Konzernmutter sowie über einen Forderungsverkauf geführt worden, der dem Konzern einen kurzfristigen Liquiditätszufluss von 35 Mio. € gebracht hätte. Zudem sei er - der Beklagte - im Vorstand der Konzernmutter nicht für Finanzen zuständig gewesen. Er habe auf Gutachten und Testate einer auf Insolvenzrecht spezialisierten Anwaltskanzlei vertrauen dürfen, die u.a. am 1.3.2013 und am 22.3.2013 bestätigt hätten, dass die Gesellschaften des Konzerns weder überschuldet noch zahlungsunfähig seien.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Kammer war der Ansicht, dass die vorgenommenen Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar gewesen seien. Zahlungsempfänger seien zum größten Teil die Betreiber der Verteilernetze gewesen. Auf die Berufung des Klägers hat das KG die Entscheidung aufgehoben und den Beklagten verurteilt, an den Kläger rund 5.582.178 € zu zahlen.
Die Gründe:
Der Klageanspruch bemisst sich nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F. Insbesondere findet die am 1.1.2021 in Kraft getretene Neufassung in § 15b InsO keine Anwendung. Dies folgt - nachdem die ausdrückliche Übergangsregelung in § 103m EGInsO nur das Insolvenzverfahrensrecht betrifft - aus den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts.
In Anwendung des § 64 Satz 1 GmbHG a.F. ist die Klage begründet. Denn die Geschäftsführer sind zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Die Schuldnerin war indes zum Zeitpunkt der hier ersetzt verlangten Zahlungen zahlungsunfähig und zudem überschuldet. Die Zahlungen von 14.3. bis 11.4.2013 waren danach objektiv pflichtwidrig und in subjektiver Hinsicht auch sorgfaltswidrig.
Das vermutete Verschulden des Beklagten entfällt hier nicht unter dem Gesichtspunkt mangelnder Erkennbarkeit der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin. Die Darlegungs- und Beweislast für fehlende Erkennbarkeit trifft den Geschäftsführer. Eine solche Darlegung ist dem Beklagten nicht gelungen. Ein vom Insolvenzverwalter als Indiz der Überschuldung vorgelegter Jahresabschluss ist nicht schon deswegen ohne Aussagekraft, weil er vor Insolvenzeröffnung nicht mehr förmlich beschlossen und vom Geschäftsführer unterzeichnet werden konnte. Vielmehr sind dem Geschäftsführer konkrete Einwendungen in der Sache zumutbar.
Der Beklagte konnte sich zudem nicht auf die - nicht von ihm veranlasste - Beauftragung der Anwaltskanzlei stützen, weil diese nicht das vom Beklagten geführte Unternehmen betraf und zudem nicht mit der gebotenen Sorgfalt erfolgte. Schließlich ließ sich nicht feststellen, dass der Beklagte den erteilten Rechtsrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzogen hätte. Eine Exkulpation des Beklagten schied schon deshalb aus, weil die Anwaltskanzlei keine insolvenzrechtliche Begutachtung der Schuldnerin geleistet hatte, deren ggf. insolvenzantragspflichtiger Alleingeschäftsführer der Beklagte aber war. Hat der auf die Erstattung von Zahlungen in der Insolvenz in Anspruch genommene Geschäftsführer die sorgfältige Plausibilitätskontrolle einer Insolvenzbegutachtung unterlassen, kann er nicht geltend machen, bei deren Vornahme hätte ihm der Fehler des Begutachtenden nicht auffallen müssen.
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Der Kläger ist Insolvenzverwalter der L-GmbH (fortan: Schuldnerin). Diese ist eine mit dem Vertrieb elektrischer Energie befasst gewesene Gesellschaft des F-Konzerns. Der Beklagte war durchgehend alleiniger Geschäftsführer der Schuldnerin. Der Kläger nahm den Beklagten auf Erstattung von Zahlungen in Anspruch, welche die Schuldnerin zwischen dem 14.3.2013 und dem 11.4.2013 an Dritte geleistet hatte, bevor sie am 12.4.2013 Eigeninsolvenzantrag gestellt hat.
Der Kläger machte geltend, die Zahlungen seien nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet worden, da die Schuldnerin spätestens ab dem 13.3.2013 zahlungsunfähig gewesen sei. Sie habe die Zahlungen eingestellt gehabt. Jedenfalls ergebe sich die Zahlungsunfähigkeit aus der Liquiditätsbilanz. Darüber hinaus sei die Schuldnerin ab Ende 2011, spätestens aber ab Ende 2012 überschuldet gewesen.
Der Beklagte ist dem im Einzelnen entgegengetreten und hat sich zusätzlich u.a. darauf berufen, es seien bis zuletzt erfolgversprechende Verhandlungen über einen Teilverkauf der Konzernmutter sowie über einen Forderungsverkauf geführt worden, der dem Konzern einen kurzfristigen Liquiditätszufluss von 35 Mio. € gebracht hätte. Zudem sei er - der Beklagte - im Vorstand der Konzernmutter nicht für Finanzen zuständig gewesen. Er habe auf Gutachten und Testate einer auf Insolvenzrecht spezialisierten Anwaltskanzlei vertrauen dürfen, die u.a. am 1.3.2013 und am 22.3.2013 bestätigt hätten, dass die Gesellschaften des Konzerns weder überschuldet noch zahlungsunfähig seien.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Kammer war der Ansicht, dass die vorgenommenen Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar gewesen seien. Zahlungsempfänger seien zum größten Teil die Betreiber der Verteilernetze gewesen. Auf die Berufung des Klägers hat das KG die Entscheidung aufgehoben und den Beklagten verurteilt, an den Kläger rund 5.582.178 € zu zahlen.
Die Gründe:
Der Klageanspruch bemisst sich nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F. Insbesondere findet die am 1.1.2021 in Kraft getretene Neufassung in § 15b InsO keine Anwendung. Dies folgt - nachdem die ausdrückliche Übergangsregelung in § 103m EGInsO nur das Insolvenzverfahrensrecht betrifft - aus den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts.
In Anwendung des § 64 Satz 1 GmbHG a.F. ist die Klage begründet. Denn die Geschäftsführer sind zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Die Schuldnerin war indes zum Zeitpunkt der hier ersetzt verlangten Zahlungen zahlungsunfähig und zudem überschuldet. Die Zahlungen von 14.3. bis 11.4.2013 waren danach objektiv pflichtwidrig und in subjektiver Hinsicht auch sorgfaltswidrig.
Das vermutete Verschulden des Beklagten entfällt hier nicht unter dem Gesichtspunkt mangelnder Erkennbarkeit der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin. Die Darlegungs- und Beweislast für fehlende Erkennbarkeit trifft den Geschäftsführer. Eine solche Darlegung ist dem Beklagten nicht gelungen. Ein vom Insolvenzverwalter als Indiz der Überschuldung vorgelegter Jahresabschluss ist nicht schon deswegen ohne Aussagekraft, weil er vor Insolvenzeröffnung nicht mehr förmlich beschlossen und vom Geschäftsführer unterzeichnet werden konnte. Vielmehr sind dem Geschäftsführer konkrete Einwendungen in der Sache zumutbar.
Der Beklagte konnte sich zudem nicht auf die - nicht von ihm veranlasste - Beauftragung der Anwaltskanzlei stützen, weil diese nicht das vom Beklagten geführte Unternehmen betraf und zudem nicht mit der gebotenen Sorgfalt erfolgte. Schließlich ließ sich nicht feststellen, dass der Beklagte den erteilten Rechtsrat einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle unterzogen hätte. Eine Exkulpation des Beklagten schied schon deshalb aus, weil die Anwaltskanzlei keine insolvenzrechtliche Begutachtung der Schuldnerin geleistet hatte, deren ggf. insolvenzantragspflichtiger Alleingeschäftsführer der Beklagte aber war. Hat der auf die Erstattung von Zahlungen in der Insolvenz in Anspruch genommene Geschäftsführer die sorgfältige Plausibilitätskontrolle einer Insolvenzbegutachtung unterlassen, kann er nicht geltend machen, bei deren Vornahme hätte ihm der Fehler des Begutachtenden nicht auffallen müssen.
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