02.05.2024

Insolvenz: Zu Umfang und Grenzen der Wissenszurechnung zwischen Behörden

Eine Deckungslücke, die mit hinreichender Gewissheit darauf schließen ließe, für den Schuldner habe keine begründete Aussicht bestanden, seine übrigen Gläubiger zukünftig vollständig befriedigen zu können, kann in der Regel nicht allein aus den zur Begründung einer Zahlungseinstellung herangezogenen Verbindlichkeiten des Schuldners abgeleitet werden. Die Annahme der Zahlungseinstellung setzt die tatrichterliche Überzeugung voraus, der Schuldner habe aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen können; Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt auftreten, reichen für diese Überzeugung häufig nicht. Die Zurechnung des Wissens zwischen verschiedenen Behörden setzt eine tatsächliche Zusammenarbeit im konkreten Fall voraus; eine nur abstrakt unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehene Zusammenarbeit reicht nicht aus. Für die Zurechnung von außerhalb der konkreten Zusammenarbeit erworbenen Wissens bedarf es einer Einbindung des Wissensträgers, welche die Weitergabe auch dieses Wissens erwarten lässt.

BGH v. 18.4.2024 - IX ZR 239/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 9.1.2015 am 26.2.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der H. GmbH (Schuldnerin). Soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, nimmt der Kläger die beklagte B. unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr von 20 Einzelzahlungen i.H.v. insgesamt rd. 236.000 € in Anspruch, welche die Schuldnerin auf Luftsicherheitsgebührenforderungen geleistet hat.

Die Schuldnerin war mit drei Flugzeugen als Charter-Fluggesellschaft für Reiseveranstalter tätig. Sie führte Flüge von verschiedenen deutschen Flughäfen durch. Vor jedem Flug durchsuchten Beamte der Bundespolizei Fluggäste und deren Gepäck. Dafür erhob die für den jeweiligen Flughafen zuständige Bundespolizeidirektion Gebühren nach dem Luftsicherheitsgesetz. Zahlstelle für sämtliche Gebührenforderungen war die Bundeskasse. Etwaig erforderliche Vollstreckungsmaßnahmen wurden zentral vom Hauptzollamt durchgeführt. Wurde eine Gebührenforderung nicht rechtzeitig beglichen, mahnte die jeweilige Bundespolizeidirektion die Zahlung an. Blieb die Mahnung erfolglos, übernahm die Bundeskasse die weitere Beitreibung. Waren auch die Maßnahmen der Bundeskasse erfolglos, ordnete wiederum die jeweilige Bundespolizeidirektion die Vollstreckung an und leitete den Vorgang an das Hauptzollamt weiter.

Mit den streitgegenständlichen 20 Einzelzahlungen beglich die Schuldnerin in der Zeit vom 25.8. bis zum 14.11.2014 Gebührenforderungen von vier verschiedenen Bundespolizeidirektionen. 18 Zahlungen wurden an die Bundeskasse geleistet, zwei Zahlungen i.H.v. insgesamt rd. 21.000 € erfolgten an das Hauptzollamt, nachdem dieses der Schuldnerin die Vollstreckung angedroht hatte.

LG und OLG hielten alle Zahlungen für anfechtbar. Die Revision der Beklagten hatte teilweise Erfolg. Der BGH hob das Urteil des OLG insoweit auf, als die Berufung der Beklagten wegen einer Verurteilung zu mehr als rd. 21.000 € zurückgewiesen wurde, und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung sind die streitgegenständlichen 20 Zahlungen nicht gem. § 133 Abs. 1 InsO in der auf den Streitfall anwendbaren (Art. 103j Abs. 1 EGInsO) bis zum 4.4.2017 geltenden Fassung anfechtbar.

Das OLG hat zu Unrecht den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin bejaht. Die vom OLG getroffenen Feststellungen tragen die Annahme der auf Seiten der Schuldnerin erkannten Zahlungsunfähigkeit. Rechtsfehlerfrei ist es auch von einer auf Seiten der Schuldnerin erkannten Zahlungseinstellung ausgegangen und hat daraus auf die erkannte Zahlungsunfähigkeit geschlossen. Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Annahme, die Schuldnerin habe zumindest billigend in Kauf genommen, andere Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können. Im Ausgangspunkt mit Recht hat das OLG erkannt, dass die im Moment der angefochtenen Rechtshandlung bestehende Deckungslücke zwischen dem liquiden Vermögen des Schuldners und seinen Verbindlichkeiten von Bedeutung sein kann. Hatte die Deckungslücke ein Ausmaß erreicht, das selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der bereits vorhandenen und der absehbar hinzutretenden Gläubiger erwarten ließ, musste dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen konnte, ohne andere zu benachteiligen. Befriedigt er in dieser Lage einzelne Gläubiger, handelt er deshalb mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz.

Eine Deckungslücke im vorstehenden Sinne ist nicht festgestellt. Das OLG hat zur Begründung der angenommenen Deckungslücke auf Verbindlichkeiten sowohl gegenüber der E als auch wegen der Luftsicherheitsgebühren verwiesen. Die Verbindlichkeiten seien von beträchtlicher Höhe im sechsstelligen Bereich gewesen und bis Mitte August und Oktober 2014 zudem angewachsen. Die Schuldnerin habe einen sich noch vergrößernden fälligen Forderungsrückstand beträchtlichen Umfangs fortlaufend vor sich hergeschoben. Daraus folgt keine Deckungslücke, die mit hinreichender Gewissheit darauf schließen ließe, für die Schuldnerin habe keine begründete Aussicht bestanden, ihre übrigen Gläubiger zukünftig vollständig befriedigen zu können. Das OLG hat keine Deckungslücke zwischen dem liquiden Vermögen der Schuldnerin und ihren Verbindlichkeiten festgestellt, sondern lediglich auf die Verbindlichkeiten verwiesen, anhand derer es die von der Schuldnerin erkannte Zahlungseinstellung begründet hat. Das kann nur im Ausnahmefall ausreichen. Die Annahme der Zahlungseinstellung setzt i.Ü. die tatrichterliche Überzeugung voraus, der Schuldner habe aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen können; Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt auftreten, reichen für diese Überzeugung häufig nicht.

Das OLG hat Umfang und Grenzen der Wissenszurechnung zwischen Behörden verkannt. Eine Wissenszurechnung zwischen Behörden folgt nicht schon daraus, dass sie demselben Rechtsträger angehören. Im Grundsatz kommt es vielmehr auf das Wissen des jeweils zuständigen Bediensteten der zuständigen Behörde an. Eine Wissenszurechnung zwischen verschiedenen Behörden kommt in Betracht, wenn diese eine behördenübergreifende Handlungs- und Informationseinheit gebildet haben. Das hat der BGH angenommen für den Fall der Nachforschung einer Behörde bei weiteren Behörden nach Möglichkeiten, eine gegen den Fiskus gerichtete (Werklohn-)Forderung durch Aufrechnung zum Erlöschen zu bringen. Für die Beitreibung von Forderungen des Fiskus durch mehrere Behörden gemeinsam kann nichts anderes gelten. Nicht ausreichend ist jedoch die abstrakt vorgesehene Zusammenarbeit. Die Wissenszurechnung setzt die tatsächliche Zusammenarbeit im konkreten Fall voraus. Eine nur abstrakt unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehene Zusammenarbeit reicht nicht aus.

Für die Zurechnung von Wissen, das nicht im Rahmen der konkreten Zusammenarbeit erworben worden ist, reicht indes nicht jede untergeordnete Hilfstätigkeit. Darin läge eine Überschreitung der Zuständigkeitsgrenzen zwischen den Behörden. Für die Zurechnung von außerhalb der konkreten Zusammenarbeit erworbenen Wissens bedarf es einer Einbindung des Wissensträgers, welche die Weitergabe auch dieses Wissens erwarten lässt. Das ist der Fall, wenn es sich um Wissen handelt, dass für die konkrete Tätigkeit von Bedeutung ist. So hängen die Erfolgsaussichten eines Vollstreckungsverfahrens auch davon ab, ob es weitere Vollstreckungsverfahren gibt oder gab und wie diese ausgegangen sind. Für die Tätigkeit als Zahlstelle, die sich in der Entgegennahme und Verbuchung von Zahlungen erschöpft, ist es hingegen ohne Bedeutung, wie sich das Zahlungsverhalten des Schuldners gegenüber anderen Gläubigern ausnimmt. Nach diesen Grundsätzen kann nicht von einer Zusammenrechnung allen Wissens der Bundeskasse, der vier beteiligten Bundespolizeidirektionen und des Hauptzollamts ausgegangen werden.

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