Insolvenzverfahrenseröffnung begründet allein kein Abrechnungsverhältnis für Mängelrechte ohne Werkabnahme
BGH 9.11.2017, VII ZR 116/15Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der r.e.GmbH (Schuldnerin). Die Schuldnerin ist ein Maschinenbauer. Die Beklagte ist ein Logistikdienstleister. Sie bestellte bei der Schuldnerin eine Anlage zur Bearbeitung von Getränkeleergut, Kistenbefüllung und Herstellung von Fertigpaletten zum Versand an Kunden.
Die Schuldnerin begehrte mit ihrer Klage die Bezahlung der dritten Abschlagsrechnung über 1.134.403,20 €. Die Beklagte hielt die Forderung für nicht fällig und war der Auffassung, dass ihr ein Vorschussanspruch für Nacherfüllungs- und Mängelbeseitigungskosten zustehe. Sie erklärte mit diesem Anspruch die Aufrechnung. Darüber hinaus begehrte sie mit der Widerklage einen Kostenvorschuss über 2 Mio. € und die Feststellung, dass die Schuldnerin zur Erstattung der Nacherfüllungs- und Mängelbeseitigungskosten verpflichtet sei. Zudem begehrte die Beklagte die Zahlung einer Vertragsstrafe sowie die Feststellung, dass die Schuldnerin zum Schadensersatz verpflichtet sei, der daraus entstehe, dass die Lieferung, Montage und Inbetriebnahme der bestellten Anlage nicht abnahmefähig fertiggestellt worden sei.
Das LG gab der Klage statt. Auf die Widerklage verurteilte das LG die Schuldnerin zur Zahlung der Vertragsstrafe und stellte fest, dass sie verpflichtet ist, der Beklagten Schadenersatz aufgrund der fehlenden Abnahmefähigkeit des Werks zu zahlen. Im Übrigen wies das LG die Klage ab. Auf die Berufung der Schuldnerin verurteilte das OLG, die Beklagte zu weitergehenden Zinszahlungen und wies die Widerklage ab. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem OLG wurde aufgrund des Antrags der Schuldnerin das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Die Revision der Beklagten, die nur in Bezug auf den von der Beklagten geltend gemachten Kostenvorschussanspruch zugelassen wurde, hatte keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Entscheidung des OLG hält rechtlicher Nachprüfung stand. Nach der Verkündung des Berufungsurteils und der Einlegung der Revision durch die Beklagte, hat der BGH entschieden, dass der Besteller die Mängelrechte aus § 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks mit Erfolg geltend machen kann (BGH 19.1.2017, VII ZR 193/15 u. VII ZR 301/13).
Zudem hat der BGH entschieden, dass der Besteller berechtigt sein kann, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er nicht mehr die (Nach-)Erfüllung des Vertrags verlangen kann und das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist. Das Verlangen eines Vorschusses für die Mängelbeseitigung im Wege der Selbstvornahme reicht allein dafür jedoch nicht aus. In diesem Fall entsteht ein Abrechnungsverhältnis ausnahmsweise nur dann, wenn der Besteller ausdrücklich oder konkludent erklärt, dass er unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer, der ihm das Werk als fertiggestellt zur Abnahme angeboten hat, zusammenarbeiten will. Er also ernsthaft und endgültig eine (Nach-)Erfüllung durch ihn verweigert, selbst für den Fall, dass die Selbstvornahme nicht zu einer Mängelbeseitigung führt.
Die Beklagte ist daher im Streitfall nicht dazu berechtigt nach § 637 Abs. 3 BGB einen Kostenvorschuss für Mängelbeseitigung zu verlangen. Das Vertragsverhältnis ist noch von keiner der beiden Partei beendet worden. Die Beklagte hat auch noch nicht ausdrücklich oder konkludent erklärt, unter keinen Umständen mehr mit der Schuldnerin zusammenarbeiten zu wollen.
Ebenso der Umstand, dass mittlerweile ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet wurde, vermag daran nichts zu ändern. Zwar kann der Eigeninsolvenzantrag eines Unternehmers einen wichtigen Grund für eine Kündigung durch den Besteller darstellen. Im Streitfall liegt aber keine Kündigung der Beklagten vor. Das Abrechnungsverhältnis entsteht nicht von alleine durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
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