Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach der EuGVVO im Gestattungsverfahren zur Bestandsdatenauskunft
BGH v. 28.9.2023 - III ZB 25/21
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin veräußert über die beteiligte Internet-Verkaufsplattform "Amazon Marketplace", mit Sitz in Luxemburg, Neuwaren aus dem Bereich Matratzen/Matratzentopper. Über die Nutzung der Verkaufsplattform besteht zwischen beiden ein Vertrag. Danach kann die Antragstellerin gegen Zahlung einer "Grundgebühr" sowie einer Verkaufsprovision die von ihr angebotenen Waren unter Verwendung eigener Produktbilder und -beschreibungen auf der Verkaufsplattform einstellen. Kunden, die über die Verkaufsplattform Waren der Antragstellerin bestellen, können über ihr Kundenkonto die Bestellungen einsehen, Waren retournieren und der Beteiligten unter Verwendung von Online-Formularen etwaige Probleme bei einer Bestellung melden. Daneben stellt die Beteiligte ein Onlinebewertungssystem bereit, über das Kundenrezensionen veröffentlicht werden können.
Die Beteiligte hatte von September 2019 bis Januar 2021 mehrere Verkaufsangebote der Antragstellerin von der Verkaufsplattform entfernt. Sie begründete dies mit Kundenbeschwerden über den Zustand gelieferter Ware oder mit Verstößen gegen die von ihr aufgestellten Angebotsrichtlinien. Die Identität der sich beschwerenden Kunden legte sie der Antragstellerin nicht offen.
Die Antragstellerin machte geltend, die Kundenbeschwerden enthielten unwahre Behauptungen über den Warenzustand. Sie begehrte von der Beteiligten im Wege einer gerichtlichen Anordnung Auskunft über die Bestandsdaten der Beschwerdeführer und der Kunden, welche die zu einzelnen Verkaufsverboten führenden Verstöße der Antragstellerin gegen die Angebotsrichtlinien gemeldet hatten.
Das LG hat die internationale Zuständigkeit verneint und den Antrag zurückgewiesen. Auch die hiergegen gerichteten Rechtsmittel der Antragstellerin blieben erfolglos.
Gründe:
Die Erwägungen des OLG, mit der es die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte verneint hatte, hielten der rechtlichen Nachprüfung stand.
Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des EU-Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (auch Brüssel Ia-Verordnung, ABl. L 351 vom 20.12.2012, S. 1; EuGVVO). Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung war eröffnet. Bei dem in § 21 Abs. 2 bis 4 TTDSG geregelten Gestattungsverfahren handelt es sich um eine Zivilsache gem. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO. Das Gestattungsverfahren ist eine echte Parteistreitigkeit der freiwilligen Gerichtsbarkeit, bei der sich der Antragsteller und der nach § 21 Abs. 3 Satz 6, Abs. 4 Satz 1 TTDSG, § 7 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zwingend am Verfahren zu beteiligende Anbieter von Telemedien gegenüberstehen.
Rechtsfehlerfrei hat das OLG angenommen, dass die von der Antragstellerin begehrte gerichtliche Anordnung über die Zulässigkeit der Auskunftserteilung keine im nationalen Recht vorgesehene einstweilige Maßnahme darstellt, die gem. Art. 35 EuGVVO auch dann vor den nationalen Gerichten beantragt werden kann, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist. Bei der Anordnung nach § 21 Abs. 3 Satz 1 TTDSG handelt es sich um keine derartige Maßnahme, weil sie nicht darauf gerichtet ist, zur Sicherung von Rechten eine Sach- oder Rechtslage zu erhalten. Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für den Antrag der Antragstellerin setzte somit gem. Art. 5 Abs. 1 EuGVVO voraus, dass sich eine solche Zuständigkeit aus den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 des zweiten Kapitels der EuGVVO ergibt. Diese Voraussetzung lag hier nicht vor.
Es war kein deliktischer Anspruch i.S.v. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO streitgegenständlich, weil die Antragstellerin sich darauf berufen hatte, durch unwahre Kundenbeschwerden kreditschädigenden Manipulationen ausgesetzt worden zu sein. Dies traf hier nicht zu. Besondere oder ausschließliche Zuständigkeitsregeln sind in der Verordnung nur als Ausnahme von dieser Regel für abschließend aufgeführte Fälle vorgesehen und deshalb eng auszulegen. Sie erlauben keine Interpretation, die über die in der Verordnung ausdrücklich geregelten Fälle hinausgeht. Die beiden in Art. 7 Nr. 1 lit a und Nr. 2 EuGVVO festgelegten Zuständigkeitsnormen sind autonom unter Berücksichtigung der Systematik und Ziele der EuGVVO auszulegen, um deren einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten zu sichern. Dies bedeutet, dass die verwendeten Begriffe nicht als Verweisung darauf zu verstehen sind, wie das bei dem nationalen Gericht anhängige Rechtsverhältnis nach dem anwendbaren nationalen Recht zu qualifizieren ist.
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Die Antragstellerin machte geltend, die Kundenbeschwerden enthielten unwahre Behauptungen über den Warenzustand. Sie begehrte von der Beteiligten im Wege einer gerichtlichen Anordnung Auskunft über die Bestandsdaten der Beschwerdeführer und der Kunden, welche die zu einzelnen Verkaufsverboten führenden Verstöße der Antragstellerin gegen die Angebotsrichtlinien gemeldet hatten.
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Gründe:
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Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des EU-Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (auch Brüssel Ia-Verordnung, ABl. L 351 vom 20.12.2012, S. 1; EuGVVO). Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung war eröffnet. Bei dem in § 21 Abs. 2 bis 4 TTDSG geregelten Gestattungsverfahren handelt es sich um eine Zivilsache gem. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO. Das Gestattungsverfahren ist eine echte Parteistreitigkeit der freiwilligen Gerichtsbarkeit, bei der sich der Antragsteller und der nach § 21 Abs. 3 Satz 6, Abs. 4 Satz 1 TTDSG, § 7 Abs. 2 Nr. 2 FamFG zwingend am Verfahren zu beteiligende Anbieter von Telemedien gegenüberstehen.
Rechtsfehlerfrei hat das OLG angenommen, dass die von der Antragstellerin begehrte gerichtliche Anordnung über die Zulässigkeit der Auskunftserteilung keine im nationalen Recht vorgesehene einstweilige Maßnahme darstellt, die gem. Art. 35 EuGVVO auch dann vor den nationalen Gerichten beantragt werden kann, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist. Bei der Anordnung nach § 21 Abs. 3 Satz 1 TTDSG handelt es sich um keine derartige Maßnahme, weil sie nicht darauf gerichtet ist, zur Sicherung von Rechten eine Sach- oder Rechtslage zu erhalten. Eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für den Antrag der Antragstellerin setzte somit gem. Art. 5 Abs. 1 EuGVVO voraus, dass sich eine solche Zuständigkeit aus den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 des zweiten Kapitels der EuGVVO ergibt. Diese Voraussetzung lag hier nicht vor.
Es war kein deliktischer Anspruch i.S.v. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO streitgegenständlich, weil die Antragstellerin sich darauf berufen hatte, durch unwahre Kundenbeschwerden kreditschädigenden Manipulationen ausgesetzt worden zu sein. Dies traf hier nicht zu. Besondere oder ausschließliche Zuständigkeitsregeln sind in der Verordnung nur als Ausnahme von dieser Regel für abschließend aufgeführte Fälle vorgesehen und deshalb eng auszulegen. Sie erlauben keine Interpretation, die über die in der Verordnung ausdrücklich geregelten Fälle hinausgeht. Die beiden in Art. 7 Nr. 1 lit a und Nr. 2 EuGVVO festgelegten Zuständigkeitsnormen sind autonom unter Berücksichtigung der Systematik und Ziele der EuGVVO auszulegen, um deren einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten zu sichern. Dies bedeutet, dass die verwendeten Begriffe nicht als Verweisung darauf zu verstehen sind, wie das bei dem nationalen Gericht anhängige Rechtsverhältnis nach dem anwendbaren nationalen Recht zu qualifizieren ist.
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