30.08.2016

Irreführung über Übertragungsgeschwindigkeiten innerhalb eines Mobilfunknetzes

Die Bezeichnung eines Mobilfunknetzes als "100 MBit/s LTE Netz" erweckt beim angesprochenen Verkehr die Erwartung, dass zu normalen Tageszeiten und an allen Orten, die über Mobilfunk gewöhnlich gut erreichbar sind, Übertragungsraten erreicht werden, die im Durchschnitt weit über 50 Mbit/s liegen und gelegentlich 100 MBit/s nahezu erreichen. Trifft dies nicht zu, ist die Werbung irreführend.

OLG Frankfurt a.M. 11.7.2016, 6 U 100/15
Der Sachverhalt:
Die Parteien, die über irreführende Äußerungen in einem Werbespot streiten, sind Wettbewerber auf dem Gebiet der Telekommunikation. Beide unterhalten Mobilfunknetze in Deutschland und verfügen über Frequenzen des Mobilfunkstandards LTE. Die Beklagte warb Anfang 2013 in einem bundesweit ausgestrahlten Werbespot phonetisch mit der Aussage: "Wechseln sie jetzt ins größte 100 MBit LTE-Netz Deutschlands". Visuell erfolgte dazu eine Einblendung, in der auf "Das größte 100 MBit/s Netz" hingewiesen wird.

Die Klägerin ist der Ansicht, diese Werbeaussagen seien aus mehreren Gründen irreführend. Eine Datenübertragungsgeschwindigkeit von 100 MBit/s lasse sich im LTE-Netz der Beklagten nur theoretisch und nur in vereinzelten Ballungsgebieten erzielen. Es sei auch unrichtig, dass die Beklagte über das "größte" LTE-Netz verfüge.

Das LG gab der Unterlassungsklage statt. Die Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Das LG hat zu Recht angenommen, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung der beanstandeten Werbeaussagen aus §§ 3, 5 Abs. 1 Nr. 1, 8 Abs. 1 UWG zusteht. Die Behauptung, die Beklagte verfüge über das größte "100 MBit LTE-Netz", ist irreführend, weil eine Übertragungsgeschwindigkeit von 100 MBit/s in Wahrheit unter realistischen Bedingungen kaum zu erzielen ist.

Verbraucher verstehen die Angabe "100 MBit/s-Netz" so, dass sie mit dem Angebot der Beklagten eine Übertragungsgeschwindigkeit von 100 MBit/s unter realistischen Bedingungen tatsächlich erreichen können. Sie erkennen zwar, dass es sich bei der angegebenen Übertragungsgeschwindigkeit um einen Spitzenwert handelt. Auf die in dem Werbespot eher versteckte Angabe "bis zu" kommt es insoweit nicht an. Denn die Verbraucher wissen aus Erfahrung, dass die Übertragungsqualität bei Mobilfunknetzen je nach Standort und Tageszeit Schwankungen unterliegen kann. Die Verbraucher nehmen bei der plakativen Aussage "100 MBit/s-Netz" jedoch an, dass der beworbene Spitzenwert nicht nur theoretisch, sondern in üblichen Anwendungssituationen erreicht wird. Sie gehen davon aus, dass sie auch im Mittel eine Download-Geschwindigkeit erwarten können, die von diesem Wert nicht sehr weit entfernt liegt.

Die Werbung ist damit aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers so zu verstehen, dass unter normalen Bedingungen Übertragungsraten erreicht werden, die im Durchschnitt weit über 50 MBit/s liegen und gelegentlich 100 MBit/s nahezu erreichen. Zum Zeitpunkt der Werbung Anfang 2013 waren Downloadgeschwindigkeiten von 100 MBit/s jedoch unter gewöhnlichen Umständen nicht zu erreichen. Es ist Sache der Beklagten, die u.a. durch verschiedene Studien gewonnenen Indizien hierzu zu widerlegen. Sie trifft insoweit eine sekundäre Darlegungslast. Es fehlt auch nicht an der wettbewerblichen Relevanz der Irreführung. Nicht maßgeblich ist insoweit, ob die Beklagte jedenfalls über das größte und leistungsfähigste LTE-Netz verfügt und bessere Werte bei keinem Mitbewerber erreicht werden. Es ist nicht auszuschließen, dass Verbraucher, die bislang andere Mobilfunkangebote in Anspruch nehmen, gerade durch das Versprechen von Übertragungsraten bis zu 100 MBit/s zu einem Tarifwechsel ins LTE-Netz der Beklagten veranlasst werden.

Das LG hat auch zu Recht angenommen, dass der Anspruch nicht verjährt ist. Die Klägerin hatte zum Zeitpunkt der Abmahnung am 22.2.2013 Kenntnis von der angegriffenen Werbung. Die Verjährungsfrist wurde gem. § 204 I Nr. 9 BGB mit Zustellung des - gegen dieselbe konkrete Verletzungsform gerichteten - Eilantrags in der Sache 6 U 101/13 am 14.3.2013 gehemmt. Entgegen der Ansicht der Beklagten bezog sich der Eilantrag nicht auf einen anderen Streitgegenstand. Der Streitgegenstand eines auf die konkrete Verletzungsform bezogenen Unterlassungsantrags umfasst alle Rechtsverletzungen, die in der konkreten Verletzungsform verwirklicht sind. Beanstandet der Kläger eine Werbung unter mehreren Gesichtspunkten, überlässt er es dem Gericht zu bestimmen, auf welchen Aspekt das Verbot gestützt wird.

Wegen der Dispositionsmaxime darf ein gerichtliches Verbot allerdings nur auf solche Beanstandungen gestützt werden, die vom Kläger im Verfahren erhoben werden. Im Fall einer Irreführungsgefahr darf es nur mit einer Irreführung begründet werden, auf die sich der Kläger konkret berufen hat. Daraus folgt zugleich, dass die Verjährungshemmung eines gegen die konkrete Verletzungsform gerichteten Eilantrages (§ 204 I Nr. 9 ZPO) nur für solche Beanstandungen eintritt, die in der Antragsschrift zur Begründung des Unterlassungsbegehrens genannt sind. Auch danach ist die Verjährung im vorliegenden Fall jedoch wirksam gehemmt worden.

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