07.02.2022

Kabelkanalanlagen II: Zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung

Sind die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB erfüllt, kann der dann tatbestandsmäßig vorliegende Missbrauch weder gesetzessystematisch noch nach Sinn und Zweck des § 19 GWB entfallen, weil das diskriminierte Unternehmen den Missbrauch durch eine Kündigung noch vertiefen und sich sodann auf das Regelbeispiel des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB berufen könnte.

BGH v. 14.12.2021 - KZR 23/18
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten darüber, ob ein vertraglich vereinbartes Entgelt für die Nutzung von Kabelkanalanlagen nach Maßgabe des Kartellrechts anzupassen ist. Die Klägerinnen betreiben Breitbandkabelnetze, über die sie Telefonie- und Internetdienste sowie digitales Fernsehen anbieten. Das Breitbandkabelgeschäft der Deutsche Telekom AG wurde im Rahmen der Privatisierung in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg (letztlich) auf die Klägerinnen übertragen. Die Kabelkanalanlagen, in denen die Breitbandkabel liegen, blieben im Eigentum der Deutsche Telekom AG und gingen später auf die Beklagte über (Telekom und Beklagte nachfolgend: Beklagte).

Ein Teil der Anteile an den Klägerinnen wurde 2000 an verschiedene Gesellschaften veräußert. Im Rahmen der Übertragung des Breitbandkabelgeschäfts und der Veräußerung der Anteile schlossen die Parteien Rahmenleistungsverträge und spezielle Leistungsvereinbarungen - sog. "Term Sheets" - ab. Die Mitbenutzung der Kabelkanalanlagen durch die Klägerinnen und die Vergütung dafür ist Gegenstand von "Term Sheet 1". Die Vergütung belief sich zunächst auf 6.674 DM pro Kilometer und Jahr, wobei die Längen der von den Klägerinnen genutzten Kabelkanalanlagen geschätzt wurden. Die "Term Sheet 1" sind von den Klägerinnen mit einer Frist von 24 Monaten zum Jahresende ordentlich kündbar. Eine ordentliche Kündigung durch die Beklagte ist ausgeschlossen. 2002 und 2003 wurden die bei der Beklagten verbliebenen Anteile an den Klägerinnen veräußert. Gleichzeitig wurden die "Term Sheet 1" neu verhandelt und die Vergütung für die Mitbenutzung der Kabelkanalanlagen jeweils auf 3.230 € pro Kilometer und Jahr gesenkt.

Auf der Grundlage eines Beschlusses der Bundesnetzagentur vom März 2011 war die Beklagte gegenüber anderen Telekommunikationsunternehmen verpflichtet, zum Zwecke des Zugangs zum Teilnehmeranschluss am Kabelverzweiger den Zugang zu ihren Kabelkanälen zwischen dem Kabelverzweiger und dem Hauptverteiler zu gewähren, soweit hierfür die erforderlichen Leerkapazitäten vorhanden sind. Das dafür zu entrichtende Entgelt wurde von der Bundesnetzagentur zum 1.7.2011 mit 1.080 € pro Viertel-Rohr-km und Jahr genehmigt und für die Zeit ab dem 1.7.2016 auf 480 € reduziert. Die Klägerinnen sind der Ansicht, dass die von ihnen gezahlte Vergütung für die Nutzung der Kabelkanalanlagen im Vergleich zu einem hypothetischen Wettbewerbspreis deutlich überhöht sei. Mit ihrer Klage nehmen sie die Beklagte auf Unterlassung, Rückzahlung überzahlter Entgelte seit 2009 und Feststellung einer Schadensersatzpflicht in Anspruch.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerinnen hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Auf § 33 Abs. 1 und 3 bzw. § 33a Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB in der jeweils anwendbaren Fassung gestützte Ansprüche der Klägerinnen können mit der vom OLG gegebenen Begründung nicht verneint werden.

Zutreffend geht das OLG davon aus, dass es für die Frage, ob die Beklagte Normadressatin des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots nach § 19 Abs. 1 GWB ist, auf die Verhältnisse auf dem Markt für die Zurverfügungstellung von Kabelanlagen ankommt, in denen die Breitbandkabel der Klägerinnen verlegt werden können. Davon ist der Senat bereits in dem die weiteren Regionalgesellschaften betreffenden Parallelverfahren ausgegangen (BGH, Urteil vom 24.1.2017 - KZR 2/15). Daran wird festgehalten.

Zu Unrecht nimmt das OLG an, dass das Festhalten der Klägerinnen an dem vertraglich vereinbarten Entgelt solange gerechtfertigt sei, als die Klägerinnen die Verträge nicht kündigten. Der Senat hat in dem die weiteren Regionalgesellschaften betreffenden Parallelverfahren bereits entschieden, dass eine Überprüfung der Höhe der Miete nach Maßgabe von § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB nicht voraussetzt, dass die dortige Klägerin die Kündigung erklärt. Vielmehr genügt es, wenn sie eine Herabsetzung der Entgelte verlangt und zu diesem Zeitpunkt befugt gewesen wäre, den Vertrag zu kündigen. Daran hält der Senat fest.

Das OLG lässt außer Acht, dass die Klägerinnen sich auf die Missbräuchlichkeit des in den Mietverträgen vereinbarten Entgelts berufen. Es kommt folglich darauf an, ob das Entgelt unter Berücksichtigung des vereinbarten Leistungsumfangs von demjenigen abweicht, das sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würde und damit missbräuchlich überhöht ist. Ist das der Fall und damit das Regelbeispiel des Preishöhenmissbrauchs gem. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB erfüllt, stehen den Klägerinnen auf dieser Grundlage die sich aus § 33 Abs. 1 und 3 bzw. § 33a Abs. 1 GWB in der jeweils anwendbaren Fassung ergebenden Ansprüche zu. Die vom OLG angeführten verfassungsrechtlichen und zivilrechtlichen Grundsätze zum Schutz vertraglicher Leistungsansprüche treten dahinter aufgrund des gesetzlichen Verbots des § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB zurück.

Soweit das OLG meint, für einen Schutz der Klägerinnen bestehe kein Bedürfnis, weil die Klägerinnen nach der Kündigung auf der Grundlage von § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 GWB die weitere Mitbenutzung der Kabelkanalanlagen gegen ein angemessenes Entgelt verlangen könnten, greift das nicht durch. Ist das Regelbeispiel der Nummer 2 gegeben, kann der dann tatbestandsmäßig vorliegende Missbrauch weder gesetzessystematisch noch nach Sinn und Zweck des § 19 GWB entfallen, weil das diskriminierte Unternehmen den Missbrauch durch die ihm faktisch nicht mögliche Kündigung noch vertiefen und sich sodann auf das Regelbeispiel des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB berufen könnte.

Entgegen der Ansicht des OLG verschaffen sich die Klägerinnen keinen ungerechtfertigten Vorteil dadurch, dass sie an dem Vertragswerk festhalten und (nur) den Preis als missbräuchlich überhöht angreifen. Zu einem solchen vom OLG befürchteten "Rosinenpicken" kann es schon deshalb nicht kommen, weil - wie bereits ausgeführt - bei der Beurteilung des Preishöhenmissbrauchs die vertraglich eingeräumten (Leistungs-)rechte zu berücksichtigen sind. Trifft es daher zu - wie die Beklagte geltend macht -, dass das Entgelt angesichts der den Klägerinnen in den "Term Sheet 1" eingeräumten vertraglichen Rechte nicht missbräuchlich ist, kann sie seine Zahlung auf der Grundlage der "Term Sheet 1" weiterhin verlangen.

Mehr zum Thema:
  • Rechtsprechung: Urteil, BGH vom 24.1.2017 - KZR 2/15 (Kabelkanalanlagen)
  • Aufsatz: Die vertrags- und berufsrechtliche Stellung der Ombudspersonen (Michel, ZIP 2021, 1689)
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