Kein PfÜB für Insolvenzverwalter wegen Geldforderungen des Schuldners mit vollstreckbarer Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses
BGH v. 21.7.2022 - IX ZB 63/21
Der Sachverhalt:
Das Insolvenzgericht eröffnete mit Beschluss vom 16.11.2017 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Gläubiger zum Insolvenzverwalter. Der Gläubiger macht geltend, der Schuldnerin stünden Ansprüche gegen M.N. aus einem Final Judgement of Dissolution of Marriage vom 12.5.2020 i.v.m. dem Amendment 1 to Security Agreement and Marital Settlement Agreement vom 30.11.2020, insbesondere auf Zahlung von 290.000 USD zu. Gegen die Impression Inc. mit Sitz in Florida stünden der Schuldnerin Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung zu, weil die I. Inc. die der Schuldnerin aus dem Final Judgement of Dissolution of Marriage vom 12.5.2020 zustehenden Zahlungsbeträge rechtsgrundlos vereinnahmt habe. Gegenüber W.N. stünden der Schuldnerin Ansprüche zu, soweit diese Zahlungen aufgrund des Final Judgement of Dissolution of Marriage vom 12.5.2020 vereinnahmt habe. Weiter bestünden Ansprüche der Schuldnerin gegen W. N. aus einem Treuhandverhältnis und auf Herausgabe weiterer Vermögenswerte.
Der Gläubiger beantragte am 5.2.2021 beim AG - Vollstreckungsgericht -, gegen die Schuldnerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wegen Geldforderungen zu erlassen. Als Vollstreckungstitel stützte er sich auf den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 16.11.2017 über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin und machte geltend, insoweit bestünde eine Hauptforderung gegen die Schuldnerin über 290.000 USD. Wegen dieser Hauptforderung beantragte der Gläubiger, die von ihm behaupteten Ansprüche der Schuldnerin gegen W.N., M.N. und die I. Inc. als Drittschuldner zu pfänden und ihm zur Einziehung zu überweisen.
Das AG wies den Antrag zurück. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers hatte vor dem LG ebenso wenig Erfolg wie die vorliegende Rechtsbeschwerde vor dem BGH.
Die Gründe:
§ 148 Abs. 2 Satz 1 InsO bestimmt, dass der Insolvenzverwalter auf Grund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses die Herausgabe der Sachen, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden, im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen kann. Diese Bestimmung betrifft nach Wortlaut, Sinn und Zweck und gesetzgeberischer Interessenbewertung nur die Vollstreckung zur Herausgabe i.S.d. §§ 883 ff ZPO. Hingegen stellt der Eröffnungsbeschluss keinen tauglichen Vollstreckungstitel dar, um eine Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen des Schuldners nach Maßgabe der §§ 828 ff ZPO zu betreiben. § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO bezieht sich ausdrücklich auf die Herausgabe von Sachen, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden. Die Bestimmung knüpft systematisch daran an, dass der Insolvenzverwalter gem. § 148 Abs. 1 InsO das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen in Besitz und Verwaltung zu nehmen hat. § 148 Abs. 2 InsO soll dem Insolvenzverwalter ermöglichen, auch Besitz an solchen Sachen zu erlangen, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden, ohne hierzu einen gesonderten Vollstreckungstitel erwirken zu müssen. Die gesetzgeberische Wertung betrifft allein die Herausgabe von beweglichen und unbeweglichen Sachen.
Bei der Beschränkung auf Sachen handelt es sich nicht um ein Redaktionsversehen. Im Hinblick auf zur Insolvenzmasse gehörende Forderungen des Schuldners bedarf es keiner gesonderten Vollstreckung gegen den Schuldner. § 148 Abs. 2 InsO beruht darauf, dass eine nicht gestattete Besitzentziehung gem. § 858 BGB eine verbotene Eigenmacht darstellt und der Insolvenzverwalter deshalb einer besonderen Grundlage bedarf, um eine Herausgabe der sich im Gewahrsam des Schuldners befindlichen Sachen erzwingen zu können. Die Regelung bezieht sich daher auf die Inbesitznahme des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens. Die Lage bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen (bestimmter) Geldforderungen in das bewegliche Vermögen ist damit nicht vergleichbar; sie werden von § 148 Abs. 2 InsO nicht erfasst. Auf der Grundlage des § 148 Abs. 2 InsO kommt daher eine Vollstreckung gegen den Schuldner wegen einer Geldforderung nicht in Betracht. Soweit sich aus dem Urteil des Senats vom 3. November 2011 etwas anderes ergeben sollte, wird daran nicht festgehalten.
Will der Insolvenzverwalter Ansprüche des Schuldners gegen Dritte durchsetzen, ist eine vorherige Pfändung und Überweisung der Ansprüche des Schuldners im Wege der Zwangsvollstreckung nicht erforderlich. Vielmehr geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, gem. § 80 Abs. 1 InsO bereits mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über. Diese Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis betrifft alle Gegenstände des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens. Der Insolvenzverwalter ist daher in der Lage, zur Insolvenzmasse gehörende Forderungen gegen Dritte ohne weiteres geltend zu machen und ggf. in einem Rechtsstreit zu verfolgen. Für die Forderungsverwertung bedarf es wegen der Eröffnungswirkung keiner vorherigen Beschlagnahme.
Soweit der Insolvenzverwalter - wie er im Streitfall geltend macht - über keine hinreichenden Kenntnisse hinsichtlich der gegen Dritte bestehenden Ansprüche verfügt, verweist ihn die InsO auf die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners (§§ 97 f InsO). Zudem kann der Insolvenzverwalter grundsätzlich etwaige materiell-rechtliche Auskunftsansprüche des Schuldners gegen Dritte kraft seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gem. § 80 InsO geltend machen. Hingegen ergibt sich aus der InsO keine Grundlage dafür, dass der Insolvenzverwalter von jedem Dritten, dem gegenüber er zur Insolvenzmasse gehörende Ansprüche des Schuldners behauptet, eine Drittschuldnererklärung nach § 840 ZPO verlangen kann. Dies kann auch nicht über den Umweg einer auf den Eröffnungsbeschluss als Vollstreckungstitel gestützten Pfändung und Überweisung angeblicher Ansprüche des Schuldners erreicht werden.
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Das Insolvenzgericht eröffnete mit Beschluss vom 16.11.2017 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Gläubiger zum Insolvenzverwalter. Der Gläubiger macht geltend, der Schuldnerin stünden Ansprüche gegen M.N. aus einem Final Judgement of Dissolution of Marriage vom 12.5.2020 i.v.m. dem Amendment 1 to Security Agreement and Marital Settlement Agreement vom 30.11.2020, insbesondere auf Zahlung von 290.000 USD zu. Gegen die Impression Inc. mit Sitz in Florida stünden der Schuldnerin Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung zu, weil die I. Inc. die der Schuldnerin aus dem Final Judgement of Dissolution of Marriage vom 12.5.2020 zustehenden Zahlungsbeträge rechtsgrundlos vereinnahmt habe. Gegenüber W.N. stünden der Schuldnerin Ansprüche zu, soweit diese Zahlungen aufgrund des Final Judgement of Dissolution of Marriage vom 12.5.2020 vereinnahmt habe. Weiter bestünden Ansprüche der Schuldnerin gegen W. N. aus einem Treuhandverhältnis und auf Herausgabe weiterer Vermögenswerte.
Der Gläubiger beantragte am 5.2.2021 beim AG - Vollstreckungsgericht -, gegen die Schuldnerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wegen Geldforderungen zu erlassen. Als Vollstreckungstitel stützte er sich auf den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 16.11.2017 über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin und machte geltend, insoweit bestünde eine Hauptforderung gegen die Schuldnerin über 290.000 USD. Wegen dieser Hauptforderung beantragte der Gläubiger, die von ihm behaupteten Ansprüche der Schuldnerin gegen W.N., M.N. und die I. Inc. als Drittschuldner zu pfänden und ihm zur Einziehung zu überweisen.
Das AG wies den Antrag zurück. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers hatte vor dem LG ebenso wenig Erfolg wie die vorliegende Rechtsbeschwerde vor dem BGH.
Die Gründe:
§ 148 Abs. 2 Satz 1 InsO bestimmt, dass der Insolvenzverwalter auf Grund einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses die Herausgabe der Sachen, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden, im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen kann. Diese Bestimmung betrifft nach Wortlaut, Sinn und Zweck und gesetzgeberischer Interessenbewertung nur die Vollstreckung zur Herausgabe i.S.d. §§ 883 ff ZPO. Hingegen stellt der Eröffnungsbeschluss keinen tauglichen Vollstreckungstitel dar, um eine Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen des Schuldners nach Maßgabe der §§ 828 ff ZPO zu betreiben. § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO bezieht sich ausdrücklich auf die Herausgabe von Sachen, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden. Die Bestimmung knüpft systematisch daran an, dass der Insolvenzverwalter gem. § 148 Abs. 1 InsO das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen in Besitz und Verwaltung zu nehmen hat. § 148 Abs. 2 InsO soll dem Insolvenzverwalter ermöglichen, auch Besitz an solchen Sachen zu erlangen, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden, ohne hierzu einen gesonderten Vollstreckungstitel erwirken zu müssen. Die gesetzgeberische Wertung betrifft allein die Herausgabe von beweglichen und unbeweglichen Sachen.
Bei der Beschränkung auf Sachen handelt es sich nicht um ein Redaktionsversehen. Im Hinblick auf zur Insolvenzmasse gehörende Forderungen des Schuldners bedarf es keiner gesonderten Vollstreckung gegen den Schuldner. § 148 Abs. 2 InsO beruht darauf, dass eine nicht gestattete Besitzentziehung gem. § 858 BGB eine verbotene Eigenmacht darstellt und der Insolvenzverwalter deshalb einer besonderen Grundlage bedarf, um eine Herausgabe der sich im Gewahrsam des Schuldners befindlichen Sachen erzwingen zu können. Die Regelung bezieht sich daher auf die Inbesitznahme des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens. Die Lage bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen (bestimmter) Geldforderungen in das bewegliche Vermögen ist damit nicht vergleichbar; sie werden von § 148 Abs. 2 InsO nicht erfasst. Auf der Grundlage des § 148 Abs. 2 InsO kommt daher eine Vollstreckung gegen den Schuldner wegen einer Geldforderung nicht in Betracht. Soweit sich aus dem Urteil des Senats vom 3. November 2011 etwas anderes ergeben sollte, wird daran nicht festgehalten.
Will der Insolvenzverwalter Ansprüche des Schuldners gegen Dritte durchsetzen, ist eine vorherige Pfändung und Überweisung der Ansprüche des Schuldners im Wege der Zwangsvollstreckung nicht erforderlich. Vielmehr geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, gem. § 80 Abs. 1 InsO bereits mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über. Diese Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis betrifft alle Gegenstände des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens. Der Insolvenzverwalter ist daher in der Lage, zur Insolvenzmasse gehörende Forderungen gegen Dritte ohne weiteres geltend zu machen und ggf. in einem Rechtsstreit zu verfolgen. Für die Forderungsverwertung bedarf es wegen der Eröffnungswirkung keiner vorherigen Beschlagnahme.
Soweit der Insolvenzverwalter - wie er im Streitfall geltend macht - über keine hinreichenden Kenntnisse hinsichtlich der gegen Dritte bestehenden Ansprüche verfügt, verweist ihn die InsO auf die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners (§§ 97 f InsO). Zudem kann der Insolvenzverwalter grundsätzlich etwaige materiell-rechtliche Auskunftsansprüche des Schuldners gegen Dritte kraft seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gem. § 80 InsO geltend machen. Hingegen ergibt sich aus der InsO keine Grundlage dafür, dass der Insolvenzverwalter von jedem Dritten, dem gegenüber er zur Insolvenzmasse gehörende Ansprüche des Schuldners behauptet, eine Drittschuldnererklärung nach § 840 ZPO verlangen kann. Dies kann auch nicht über den Umweg einer auf den Eröffnungsbeschluss als Vollstreckungstitel gestützten Pfändung und Überweisung angeblicher Ansprüche des Schuldners erreicht werden.
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