Kein Urheberrechtsschutz für die Funktionalität eines Computerprogramms und die Programmiersprache
EuGH 2.5.2012, C-406/10Die SAS Institute Inc. entwickelte das SAS-System, einen integrierten Satz von Programmen, der es den Nutzern ermöglicht, Aufgaben im Bereich der Datenverarbeitung und -analyse zu verrichten und insbes. statistische Analysen durchzuführen. Der zentrale Bestandteil des SAS-Systems ist die sog. Base SAS. Sie ermöglicht den Nutzern, Anwendungsprogramme (auch als "Skripte"" bekannt) zu schreiben und zu verwenden, die in der SAS-Programmiersprache geschrieben sind und eine Datenverarbeitung ermöglichen.
Die World Programming Ltd (WPL) sah eine potenzielle Marktnachfrage nach alternativer Software, die in der Lage wäre, in der SAS-Sprache geschriebene Anwendungsprogramme auszuführen. Sie erstellte daher das World Programming System (WPS). Dieses bildet einen großen Teil der Funktionalitäten der SAS-Komponenten in dem Sinne nach, dass WPL sicherzustellen versuchte, dass derselbe Input (Dateneingabe in das System) zu demselben Output (Datenausgabe) führte. Dies sollte den Nutzern des SAS-Systems ermöglichen, die für die Verwendung mit dem SAS-System entwickelten Skripte unter dem WPS auszuführen.
Für die Erstellung des WPS erwarb WPL rechtmäßig Kopien der Lernausgabe des SAS-Systems, die mit einer Lizenz geliefert wurden, nach der die Rechte des Lizenznehmers auf nichtproduktive Zwecke beschränkt waren. WPL benutzte und untersuchte diese Programme, um ihr Funktionieren zu verstehen, doch weist nichts darauf hin, dass sie Zugang zum Quellcode der SAS-Komponenten hatte oder diesen vervielfältigt hätte.
SAS Institute erhob Klage beim High Court of Justice (Vereinigtes Königreich) auf Feststellung, dass WPL die Handbücher und Komponenten des SAS-Systems vervielfältigt und damit die Urheberrechte von SAS Institute und die Lizenzbestimmungen der Lernausgabe verletzt hat. Vor diesem Hintergrund befragt der High Court den EuGH zum Umfang des rechtlichen Schutzes, den das Unionsrecht Computerprogrammen gewährt, und möchte insbes. wissen, ob sich dieser Schutz auf die Funktionalität und die Programmiersprache erstreckt.
Die Gründe:
Weder die Funktionalität eines Computerprogramms noch die Programmiersprache oder das Dateiformat, die im Rahmen eines Computerprogramms verwendet werden, um bestimmte Funktionen des Programms zu nutzen, stellen eine Ausdrucksform dar. Daher genießen sie keinen urheberrechtlichen Schutz. Ließe man nämlich zu, dass die Funktionalität eines Computerprogramms urheberrechtlich geschützt wird, würde man zum Schaden des technischen Fortschritts und der industriellen Entwicklung die Möglichkeit eröffnen, Ideen zu monopolisieren.
Würde sich ein Dritter den Teil des Quell- oder Objektcodes beschaffen, der sich auf die Programmiersprache oder das Dateiformat bezieht, die im Rahmen eines Computerprogramms verwendet werden, und würde er mit Hilfe dieses Codes in seinem eigenen Computerprogramm ähnliche Komponenten erstellen, so könnte der Urheber des Programms dieses Verhalten möglicherweise verbieten. Im vorliegenden Fall jedoch hat WPL keinen Zugang zum Quellcode des Programms von SAS Institute gehabt und den Objektcode dieses Programms nicht dekompiliert. Sie hat das Verhalten des Programms nur beobachtet, untersucht und getestet und auf dieser Grundlage seine Funktionalität vervielfältigt, wobei sie dieselbe Programmiersprache und dasselbe Dateiformat verwendet hat.
In diesem Zusammenhang war festzustellen, dass nach der Richtlinie 91/250/EWG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen der Erwerber einer Softwarelizenz berechtigt ist, das Funktionieren eines Computerprogramms zu beobachten, zu untersuchen oder zu testen, um die einem Programmelement zugrunde liegenden Ideen und Grundsätze zu ermitteln. Vertragliche Bestimmungen, die im Widerspruch zu diesem Recht stehen, sind unwirksam. Zum anderen ist die Ermittlung dieser Ideen und Grundsätze im Rahmen der von der Lizenz gestatteten Handlungen möglich. Voraussetzung ist, dass der Erwerber die von der Lizenz umfassten Handlungen vornimmt und die Ausschließlichkeitsrechte des Inhabers des Urheberrechts an diesem Programm nicht verletzt.
Darüber hinaus war festzustellen, dass die in einem Computerprogramm oder in einem Benutzerhandbuch für dieses Programm erfolgte Vervielfältigung bestimmter Elemente, die in dem urheberrechtlich geschützten Benutzerhandbuch eines anderen Computerprogramms beschrieben werden, eine Verletzung des Urheberrechts an dem letztgenannten Handbuch darstellen kann, sofern diese Vervielfältigung die eigene geistige Schöpfung des Urhebers des Benutzerhandbuchs zum Ausdruck bringt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren behauptete Vervielfältigung die eigene geistige Schöpfung des Urhebers des Benutzerhandbuchs für das Computerprogramm zum Ausdruck bringt, die urheberrechtlich geschützt ist.
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