Kein Versicherungsschutz nach Einschränkung des Gastronomiebetriebes im Zusammenhang mit COVID-19
LG Nürnberg-Fürth v. 29.12.2020, 2 O 4499/20Der Kläger betreibt das in der Nürnberger Altstadt ein Restaurant. Er hatte bei der Beklagten eine BetriebsschließungsVersicherung abgeschlossen. Versicherungsbeginn war der 19.8.2010. Versichert für das Restaurant ist eine Betriebsschließungssumme von 400.000 €, die versicherte Tagesentschädigung beträgt 1.400 €. Versichert ist darüber hinaus ein Warenschadenrisiko von 5.000 €. Der vom Kläger zu entrichtende Jahresbeitrag beträgt 90 €. Dem Vertrag zugrunde liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten zur Betriebsschließungsversicherung infolge von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern BS 311/05 (AVB - dyn. BS, Anlage K 1; im Folgenden: AVB).
Aufgrund der Allgemeinverfügung der Bayerischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege sowie für Familie, Arbeit und Soziales vom 16.3.2020 (Az. 51-G8000-2020/122- 67) wurden Gastronomiebetriebe aller Art untersagt. Ausgenommen von dieser Untersagung waren Betriebskantinen sowie Speiselokale und Betriebe, in denen überwiegend Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben werden. Ausgenommen war außerdem die Abgabe von Speisen zum Mitnehmen bzw. deren Auslieferung. Grund für die Untersagung war das Infektionsgeschehen im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, das von der WHO am 11.3.2020 als Pandemie bewertet worden war.
Auf die Schadensmeldung des Klägers vom 6.4.2020 wies die Beklagte einen vertraglichen Leistungsanspruch zurück und unterbreitete zugleich ein Vergleichsangebot i.H.v. 15% der vertraglich vereinbarten Tagesentschädigung für maximal 30 Tage. Dieses Angebot lehnte der Kläger wiederum ab. Er war der Ansicht, dass ihm ein Zahlungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag i.H.v. 42.000 € zustehe, da sein Betrieb aufgrund der Allgemeinverfügung vom 16.3.2020 bis in den Monat Mai hinein komplett eingestellt und geschlossen gewesen sei. Es handle sich insofern um eine bedingungsgemäße Betriebsschließung durch die zuständige Behörde aufgrund des IfSG. Bei seinem Gastronomiebetrieb handle es sich um eine Präsenzgaststätte ohne Außenbereich; ein relevanter Take-Away- oder Abholbetrieb bestehe nicht.
Das LG wies die Klage ab.
Die Gründe:
Der Kläger hat keinen Zahlungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag. Die streitgegenständliche Einschränkung des klägerischen Gastronomiebetriebes im Zusammenhang mit der Corona-Virus-Krankheit-2019 (COVID-19) bzw. wegen des SARSCoV-2-Erregers ist nicht vom Versicherungsschutz gedeckt. Es handelt sich dabei nicht um "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger" i.S.d. Versicherungsvertrages.
Betriebsschließungsversicherungen werden von gewerblich tätigen Versicherungsnehmern abgeschlossen, insbesondere von Betrieben, die mit der Lebensmittelherstellung oder - verarbeitung zu tun haben. Bei solchen Unternehmen besteht die Gefahr, dass eine Behörde den Betrieb aufgrund von Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) schließt. Dabei handelt es sich regelmäßig um Betriebe, die einen kaufmännisch eingerichteten Gewerbebetrieb erfordern, weshalb man von den Inhabern oder Geschäftsführern jeweils entsprechende kaufmännische Kenntnisse und Sorgfalt bei dem Durchlesen eines Vertragsformulars erwarten kann. Im Regelfall besitzen die Inhaber oder Geschäftsführer dieser Betriebe jedoch keine vertieften Kenntnisse medizinischer oder rechtlicher Art im Zusammenhang mit dem Inhalt des IfSG.
Gemessen am Vorstehenden ist für einen durchschnittlichen "GastronomiebetriebVersicherungsnehmer" die Aufzählung der namentlich benannten Krankheiten und Krankheitserreger in A § 1 III. AVB abschließend. Ihm wird hinreichend deutlich, dass der Versicherer nur für diese dort ausdrücklich genannten Risiken einstehen will. Die Kammer schließt sich für die streitgegenständlich formulierten Versicherungsbedingungen ("namentlich"-Klausel) aufgrund eigener Überzeugungsbildung der insoweit auch nahezu einheitlichen Rechtsprechung anderer Landgerichte an (z.B. LG Bochum Urt. v. 4.11.2020 - 13 O 68/20 - LG Essen Urt. v. 11.11.2020 - 18 O 180/20). Der zu einem anderen Ergebnis führenden Argumentation des LG München I, Urt. v. 1.12.2020 - 12 O 5895/20, LG Hamburg, Urt. v. 4.11.2020 - 412 HKO 91/20, LG Darmstadt, Urt. v. 9.12.2020 - 4 O 220/20) vermag sich die Kammer nicht anzuschließen.
Der kaufmännische Versicherungsnehmer wird seine Augen nicht davor verschließen können, dass Versicherungsschutz hinsichtlich COVID-19 "seinen Preis" hätte. Der Versicherer hätte zwar durch die limitierte Haftzeit von 30 Tagen (A § 2 I. Nr. 1 AVB) eine verlässliche Kalkulationsbasis. Unkalkulierbar wäre für ihn aber die Zahl der Betroffenen Betriebe/Versicherungsnehmer, wenn es - wie streitgegenständlich - infolge einer Pandemie zu flächendeckenden Betriebsschließungen/Versicherungsfällen kommt. Eine Jahresprämie von 90 € für die abgeschlossene Sach-Inhaltsversicherung kann einer solchen kaufmännischen Betrachtung nicht standhalten - ohne dass es hierzu vertiefter versicherungsmathematischer Kenntnisse bedürfte.
Die "Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)" wurde zudem als § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. t erst durch Gesetz vom 19.5.2020 mit Wirkung vom 23.5.2020 in das IfSG aufgenommen. Zum Zeitpunkt des Eintritts des streitgegenständlichen Versicherungsfalls, also mit behördlicher Anordnung der Schließung zum 16.3.2020 lag also nach § 6 IfSG noch keine meldepflichtige Krankheit vor. Der vom Kläger für den Zeitraum vom 21.3. bis 19.4.2020 geltend gemachte Anspruch liegt also noch vor der entsprechenden Gesetzesänderung. Dass einmal vereinbarter Versicherungsschutz durch Zeitablauf nicht mehr den ursprünglichen Erwartungen entspricht, weil die vereinbarten Regelungen durch die tatsächliche (hier: medizinische) Entwicklung zum Teil überholt bzw. entwertet werden, kann nicht dazu führen, ein eindeutiges Verständnis der vereinbarten Klauseln zugunsten des Versicherungsnehmers zu "biegen".
Klarstellend weist die Kammer darauf hin, dass die hier streitgegenständliche Erkrankung bzw. Krankheitserreger nicht als "Influenzavirus" i.S.d. Aufzählung verstanden werden kann (so LG Stuttgart Urt. v. 30.11.2020 - 18 O 271/20). Die der medizinischen Fachsprache entnommenen Begriffe der Aufzählungen sind erkennbar bewusst präzise zugunsten einer Individualisierbarkeit der jeweiligen Krankheit/Krankheitserreger formuliert. Deshalb verbietet sich eine "analoge" Auslegung der verwendeten Fachtermini.