12.11.2024

Keine erhöhte Verfahrensgebühr für gemeinsamen Vertreter mehrerer Schuldverschreibungsgläubiger

Ein Rechtsanwalt, der für mehrere Schuldverschreibungsgläubiger, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Anleiheschuldners einen gemeinsamen Vertreter bestellt haben, in derselben Angelegenheit tätig wird, erhält in der Regel keine erhöhte Verfahrensgebühr.

BGH v. 17.10.2024 - IX ZB 10/23
Der Sachverhalt:
Im Rahmen eines Kostenfestsetzungsverfahrens streiten die Streithelfer als Antragsteller und der Kläger als Antragsgegner über die Erstattung einer nach Nr. 1008 VV RVG erhöhten Verfahrensgebühr. Die Streithelfer sind Orderschuldverschreibungsgläubiger, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin auf der Grundlage des § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG einen Rechtsanwalt als gemeinsamen Vertreter bestellt haben. Mit Schriftsatz vom 4.9.2019 zeigte eine Rechtsanwaltskanzlei an, dass sie die Orderschuldverschreibungsgläubiger, vertreten durch den gemeinsamen Vertreter, als Streithelfer prozessbevollmächtigt vertritt und erklärte für die Streithelfer den Beitritt im Wege der Nebenintervention.

Der gemeinsame Vertreter ist Mitglied dieser Rechtsanwaltskanzlei. Mit Beschluss vom 7.4.2022 legte das OLG die Kosten der Nebenintervention der Orderschuldverschreibungsgläubiger, vertreten durch den gemeinsamen Vertreter, in der Berufungsinstanz zu 11/12 dem Kläger auf. Die Streithelfer machen mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag neben einer 1,2 Terminsgebühr eine gem. Nr. 1008 VV RVG um 2,0 erhöhte Verfahrensgebühr i.H.v. insgesamt 3,6 geltend.

Die Rechtspflegerin beim LG setzte die Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG mit der Begründung ab, der gemeinsame Vertreter der Streithelfer sei nach § 19 SchVG allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger wahrzunehmen; es liege keine Auftraggebermehrheit i.S.v. Nr. 1008 VV RVG vor. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Streithelfer hatte vor dem OLG ebenso wenig Erfolg wie die vorliegende Rechtsbeschwerde vor dem BGH.

Die Gründe:
Der Prozessbevollmächtigten der Streithelfer, die als Schuldverschreibungsgläubiger einen gemeinsamen Vertreter nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG bestellt haben, steht keine gem. Nr. 1008 VV RVG erhöhte Verfahrensgebühr zu.

Die Prozessbevollmächtigte der Schuldverschreibungsgläubiger wurde nicht im Sinn der Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG für mehrere Personen tätig. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift soll mit der Gebührenerhöhung dem mit dem Vorhandensein mehrerer Beteiligter typischerweise verbundenen Mehr an Arbeit und Aufwand, insbesondere durch die laufende Informationsaufnahme und Unterrichtung durch den Rechtsanwalt, in genereller Weise Rechnung getragen werden. Zudem wird die Erhöhung in solchen Fällen mit dem für den Prozessbevollmächtigten bestehenden höheren Haftungsrisiko begründet. Prozessbevollmächtigte von Schuldverschreibungsgläubigern, die einen gemeinsamen Vertreter mit Wirkung gem. § 19 Abs. 3 SchVG bestellt haben, trifft jedoch kein mit dem Vorhandensein mehrerer Beteiligter typischerweise verbundenes Mehr an Arbeit und Aufwand und höheres Haftungsrisiko.

Für sie entsteht insbesondere kein Mehraufwand durch Informationsaufnahme und Unterrichtung mehrerer Personen, weil zum einen § 19 Abs. 3 SchVG die ausschließliche Rechtszuständigkeit des gemeinsamen Vertreters anordnet und zum anderen sich die Schuldverschreibungsgläubiger auch im Innenverhältnis als Gesamtheit behandeln lassen müssen, insbesondere dem Mehrheitsprinzip unterworfen sind. Für die Prozessbevollmächtigten entsteht kein Mehraufwand durch das Weisungsrecht der Gläubiger aus § 7 Abs. 2 Satz 2 SchVG. Denn aus § 7 Abs. 2 Satz 2 SchVG folgt, dass nur die Gesamtheit der Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss verbindliche Weisungen erteilen kann. Auch die für den Zweck des Schuldverschreibungsgesetzes bedeutsame Informationsaufnahme nach § 7 Abs. 5 SchVG bewirkt für die Prozessbevollmächtigten keinen Mehraufwand, und schließlich bewirkt die Berichtspflicht gegenüber den Schuldverschreibungsgläubigern nach § 7 Abs. 2 Satz 4 SchVG für die Prozessbevollmächtigten keinen Mehraufwand.

Es besteht auch kein eine Mehrvertretungsgebühr rechtfertigendes erhöhtes Haftungsrisiko der Prozessbevollmächtigten von Schuldverschreibungsgläubigern. Dies folgt aus § 4 SchVG, der die kollektive Bindung der Schuldverschreibungsgläubiger regelt. Danach können Bestimmungen in Anleihebedingungen während der Laufzeit der Anleihe durch Rechtsgeschäft nur durch gleichlautenden Vertrag mit sämtlichen Gläubigern oder nach Abschnitt 2 des Schuldverschreibungsgesetzes, also durch Mehrheitsbeschluss, geändert werden. Die in dieser Regelung liegende Beschränkung der individuellen Rechtsmacht der Schuldverschreibungsgläubiger bezeichnet der Gesetzgeber als kollektive Bindung. Hintergrund dieser Regelung ist das Bedürfnis des Kapitalmarktes nach einem einheitlichen, standardisierten Inhalt der Wertpapiere. Aus dieser Regelung folgt neben dem bezweckten Gleichlauf der Anleihebedingungen ein regelmäßiger Gleichlauf der Gläubigerinteressen derart, dass sich das Haftungsrisiko des gemeinsamen Vertreters aus § 7 Abs. 3 Satz 1 SchVG und der von ihm eingeschalteten Gehilfen typischerweise durch die Summe der Nennbeträge der Schuldverschreibungen einer Gesamtemission bestimmt und nicht durch die Anzahl der die Schuldverschreibungen haltenden Gläubiger.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung
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ZIP0072245

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