22.05.2019

Keine Haftungsfreistellung bei Autobahnfahrt mit Tempo 200 km/h

Schon die kurzzeitige Ablenkung durch Bedienung des sog. Infotainmentsystems (Navigationssystem) kann bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründen, mit der Folge eines zumindest teilweisen Verlustes der Haftungsfreistellung in den einer Kaskoversicherung nachgebildeten Bedingungen eines Mietvertrags. Das Vorhandensein eines sog. Spurhalteassistenten reduziert den in einem entsprechenden Verhalten liegenden Schuldvorwurf zumindest bei derartig hohen Geschwindigkeiten nicht.

OLG Nürnberg v. 2.5.2019 - 13 U 1296/17
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Autovermieterin. Sie verlangte vom Beklagten - er war Fahrer, aber nicht Mieter des Wagens - Schadenersatz, weil dieser im April 2015 mit dem Mietwagen, Typ Mercedes Benz CLS 63 AMG, auf der Autobahn einen Unfall verursacht und den Wagen beschädigt hatte. Der Beklagte war auf der linken Spur unterwegs und bediente dabei das Infotainmentsystem des Fahrzeugs. Während er die Informationen abrief geriet das Fahrzeug nach links von der Fahrbahn ab und stieß gegen die Mittelleitplanke.

Die Klägerin trug später vor, der Beklagte sei mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h gefahren. Dieser behauptete, seine Geschwindigkeit habe lediglich 130 km/h betragen. Im Mietvertrag für das Fahrzeug war eine Haftungsbeschränkung ohne Selbstbeteiligung vereinbart. Grundlage des Mietvertrages waren die Allgemeinen Vermietbedingungen der Klägerin (AVB). Dort ist in I.2 Satz 4 AVB allerdings geregelt, dass die Vermieterin berechtigt ist, ihre Leistungspflicht zur Haftungsfreistellung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen, wenn der Schaden am Mietfahrzeug grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Der Beklagte war als berechtigter Fahrer in die Schutzwirkung der dort vereinbarten Haftungsbeschränkungen in gleicher Weise wie der Mieter ausdrücklich einbezogen.

Die Klägerin berief sich auf grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten und machte in der Berufungsinstanz 50% ihres durch den Unfall entstandenen Schadens geltend. Das OLG änerte die Entscheidung der Vorinstanz und gab der Klage weitestgehend statt.

Die Gründe:
Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen (grob) fahrlässiger Eigentumsverletzung zu, der im ausgeurteilten Umfang von 50 % nicht durch die vereinbarte Haftungsbeschränkung ausgeschlossen ist.

Der Senat ist nach durchgeführter Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Beklagte den Versicherungsfall herbeigeführt hat, indem er bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h auf dem linken Fahrstreifen der Autobahn in einem ihm nicht vertrauten Fahrzeug fahrend die Infotainmentanlage des Fahrzeugs bediente, wegen der darauf zurückzuführenden Ablenkung nach links von der Fahrbahn abkam und dort mit der linken Fahrzeugseite gegen die Mittelleitplanke stieß. Das festgestellte unfallursächliche Verhalten des Beklagten war auch grob fahrlässig.

International üblich sind zulässige Höchstgeschwindigkeiten von maximal 130 km/h, häufig liegen sie auch noch niedriger. Zwar hat der deutsche Gesetzgeber sich bislang nicht dazu entscheiden können, seine Regelung diesen Standards vollwertig anzupassen. Er hat aber in der Autobahn-Richtgeschwindigkeits-Verordnung zumindest die Empfehlung ausgesprochen, nicht schneller als 130 km/h zu fahren (§ 1 Nr. 1 Autobahn-Richtgeschwindigkeits-Verordnung). Das bedeutet vor allem, dass ein Fahrzeugführer, der entgegen dieser gesetzgeberische Empfehlung und ungeachtet der damit verbundenen Erhöhung des Risiken für sich und andere Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug mit höheren Geschwindigkeiten als 130 km/h führt, in besonderer Weise seine volle Konzentration auf das Führen des Fahrzeugs aufwenden muss. Dies gilt umso stärker, je weiter er - wie hier - die Richtgeschwindigkeit überschreitet.

Die kinetische Energie bei einer Kollision potenziert sich durch die Geschwindigkeitserhöhung, sie beträgt bei 200 km/h mehr als das 2,3-fache gegenüber einer Kollision bei 130 km/h. Zusammengefasst bedeutet dies, dass bei derartig hohen Geschwindigkeiten schon minimale Fahrfehler nicht mehr korrigierbare verheerende Folgen haben können. Der Beklagte hat trotz der angesichts seiner Geschwindigkeit erforderlichen maximalen Konzentration auf das Fahrgeschehen und der drohenden schweren Unfallfolgen schon bei geringfügiger kurzzeitiger Ablenkung das Infotainmentsystem bedient, das seine Aufmerksamkeit zumindest für Sekunden voll gebunden hat. Selbst bei einer Ablenkung von nur drei Sekunden bedeutet dies, dass das Fahrzeug bereits über eine Strecke von rund 167 Meter gefahren wurde, ohne dass der Beklagte dabei die Fahrbahn im Blick hatte. Dieses Verhalten stellt eine objektiv schwere und subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung dar und lässt dasjenige unbeachtet, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Es ist grob fahrlässig.

Der Umstand, dass das Fahrzeug mit einem Assistenzsystem ("Spurhalteassistent") ausgestattet war, entlastet den Beklagten nicht vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Schon allgemein sind bei der vorliegenden sehr hohen Geschwindigkeit die Gefahren und die Notwendigkeit sofortiger Reaktion so erheblich gesteigert, dass in dieser Fahrsituation hinsichtlich der an den Fahrer zustellenden Anforderung an seine eigene Aufmerksamkeit keine Abstriche mehr gemacht werden können. Darüber hinaus handelte es sich bei dem Mietfahrzeug nicht um einen Wagen, mit dem der Beklagte vertraut gewesen wäre.

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