Klarnamenpflicht bei der Nutzung eines sozialen Netzwerks in bestimmten Fällen unwirksam
BGH v. 27.1.2022 - III ZR 3/21 u.a.
Der Sachverhalt:
Dem Verfahren lagen zwei Fälle zugrunde, in denen Facebook die Profile zweier Nutzer unter Verweis auf die in den Nutzungsbedingungen festgelegte Klarnamenpflicht sperrte, weil diese Fantasienamen verwendeten. Die Kläger unterhalten jeweils ein Nutzerkonto für das von der Muttergesellschaft der Beklagten betriebene weltweite soziale Netzwerk, dessen Anbieter und Vertragspartner für Nutzer mit Sitz in Deutschland die Beklagte ist.
+++ Az. III ZR 3/21 +++
In dem Verfahren hatte der Kläger als seinen Profilnamen ursprünglich ein Pseudonym verwendet. Nachdem er im März 2018 auf Nachfrage nicht bestätigt hatte, dass es sich um seinen im Alltag verwendeten Namen handelt, sperrte die Beklagte sein Nutzerkonto. Sie schaltete es erst nach einer Änderung des Profilnamens wieder frei. Der Kläger nahm die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch, Änderungen seines von ihm in dem Netzwerk verwendeten Profilnamens zu verhindern.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen.
+++ Az. III ZR 4/21 +++
In dem Verfahren gab die Klägerin als Profilnamen ebenfalls ein Pseudonym an. Ihr Nutzerkonto wurde von der Beklagten im Januar 2018 gesperrt, nachdem sie der Aufforderung, ihren Profilnamen zu ändern, nicht nachgekommen war. Die Klägerin begehrte die Aufhebung dieser Sperrung.
Das LG hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, das Nutzerkonto der Klägerin freizuschalten und ihr unbeschränkten Zugriff auf die Funktionen des Kontos zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das Urteil abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Die Revisionen der Kläger waren vor dem BGH überwiegend erfolgreich.
Die Gründe:
+++ Az. III ZR 3/21 +++
In dem Verfahren wird das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, es zu dulden, dass der Kläger seinen Profilnamen in ein Pseudonym ändert, und dem Kläger unter Verwendung des gewählten Profilnamens Zugriff auf die Funktionen seines Nutzerkontos zu gewähren.
Nach den für diesen Fall maßgeblichen Nutzungsbedingungen vom 19.4.2018 hat der Kontoinhaber bei der Nutzung des Netzwerks den Namen zu verwenden, den er auch im täglichen Leben verwendet. Diese Bestimmung ist unwirksam, weil sie den Kläger zum Zeitpunkt ihrer Einbeziehung in den Nutzungsvertrag der Parteien am 30.4.2018 entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligte. Sie ist mit dem in § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG in der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, dass der Diensteanbieter die Nutzung der Telemedien anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, nicht zu vereinbaren.
Eine umfassende Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen unter Einbeziehung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Richtlinie) ergibt, dass es der Beklagten zwar nicht zumutbar gewesen ist, die Nutzung des Netzwerks zu ermöglichen, ohne dass der jeweilige Nutzer ihr zuvor - etwa bei der Registrierung - im Innenverhältnis seinen Klarnamen mitgeteilt hatte. Für die anschließende Nutzung der von ihr angebotenen Dienste unter Pseudonym ist die Zumutbarkeit jedoch zu bejahen.
Die Unwirksamkeit der Bestimmung zur Klarnamenpflicht führt dazu, dass die Bestimmung ersatzlos wegfällt. In der Folge hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, das Netzwerk unter einem Pseudonym zu nutzen.
+++ Az. III ZR 4/21 +++
In dem Verfahren wird das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und - unter Zurückweisung der Revision im Übrigen - die Beklagte verurteilt, das Nutzerkonto der Klägerin freizuschalten und der Klägerin unbeschränkten Zugriff auf die Funktionen dieses Kontos zu gewähren.
Die Beklagte kann von der Klägerin nicht verlangen, ihren Profilnamen in ihren wahren Namen zu ändern. Die Bestimmung zur Klarnamenpflicht in den hier maßgeblichen Nutzungsbedingungen der Beklagten zum Stand 30.1.2015 ist ebenfalls unwirksam. Diese Bedingungen enthalten eine Regelung, wonach die Nutzer ihre wahren Namen und Daten anzugeben haben. Von der Unwirksamkeit dieser Bestimmung hat der Senat bereits gemäß § 11 Satz 1 UKlaG aufgrund des Unterlassungsurteils des LG Berlin vom 16.1.2018 (Az.: 16 O 341/15) in einem Verbandsklageverfahren auszugehen. Die Beklagte darf sich danach bei der Abwicklung von Verträgen über die Teilnahme an einem sozialen Netzwerk mit Verbrauchern, die ihren ständigen Aufenthaltsort in Deutschland haben, nicht auf Bestimmungen berufen, die der hier verwendeten Bestimmung zur Klarnamenpflicht entsprechen. In der Folge kann die Klägerin von der Beklagten die Freischaltung ihres Nutzerkontos und Zugriff auf dessen Funktionen verlangen.
In beiden Verfahren kam es für die Entscheidung auf die Vorgaben der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) nicht an, weil diese erst seit dem 25.5.2018 gilt und es für die Rechtslage auf den Zeitpunkt der Einbeziehung der jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in das Vertragsverhältnis ankommt.
Mehr zum Thema:
Aufsatz von Dr. Jan Lundberg in der CR
OLG München: Zur Klarnamenpflicht von Facebook
Aufsatz von Markus Rössel im ITRB
Klarnamenpflicht auf Facebook
Eine pseudonyme Nutzung von Facebook ist nicht zumutbar i.S.v. § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG bei mit der DSGVO konformer Auslegung.
Beratermodul Computer und Recht - CR
Die umfassende Datenbank zum Recht der Informationstechnologie - Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet dieses Modul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat - 4 Wochen gratis nutzen!
BGH PM Nr. 13 vom 27.1.2022
Dem Verfahren lagen zwei Fälle zugrunde, in denen Facebook die Profile zweier Nutzer unter Verweis auf die in den Nutzungsbedingungen festgelegte Klarnamenpflicht sperrte, weil diese Fantasienamen verwendeten. Die Kläger unterhalten jeweils ein Nutzerkonto für das von der Muttergesellschaft der Beklagten betriebene weltweite soziale Netzwerk, dessen Anbieter und Vertragspartner für Nutzer mit Sitz in Deutschland die Beklagte ist.
+++ Az. III ZR 3/21 +++
In dem Verfahren hatte der Kläger als seinen Profilnamen ursprünglich ein Pseudonym verwendet. Nachdem er im März 2018 auf Nachfrage nicht bestätigt hatte, dass es sich um seinen im Alltag verwendeten Namen handelt, sperrte die Beklagte sein Nutzerkonto. Sie schaltete es erst nach einer Änderung des Profilnamens wieder frei. Der Kläger nahm die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch, Änderungen seines von ihm in dem Netzwerk verwendeten Profilnamens zu verhindern.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen.
+++ Az. III ZR 4/21 +++
In dem Verfahren gab die Klägerin als Profilnamen ebenfalls ein Pseudonym an. Ihr Nutzerkonto wurde von der Beklagten im Januar 2018 gesperrt, nachdem sie der Aufforderung, ihren Profilnamen zu ändern, nicht nachgekommen war. Die Klägerin begehrte die Aufhebung dieser Sperrung.
Das LG hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, das Nutzerkonto der Klägerin freizuschalten und ihr unbeschränkten Zugriff auf die Funktionen des Kontos zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das Urteil abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Die Revisionen der Kläger waren vor dem BGH überwiegend erfolgreich.
Die Gründe:
+++ Az. III ZR 3/21 +++
In dem Verfahren wird das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, es zu dulden, dass der Kläger seinen Profilnamen in ein Pseudonym ändert, und dem Kläger unter Verwendung des gewählten Profilnamens Zugriff auf die Funktionen seines Nutzerkontos zu gewähren.
Nach den für diesen Fall maßgeblichen Nutzungsbedingungen vom 19.4.2018 hat der Kontoinhaber bei der Nutzung des Netzwerks den Namen zu verwenden, den er auch im täglichen Leben verwendet. Diese Bestimmung ist unwirksam, weil sie den Kläger zum Zeitpunkt ihrer Einbeziehung in den Nutzungsvertrag der Parteien am 30.4.2018 entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligte. Sie ist mit dem in § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG in der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, dass der Diensteanbieter die Nutzung der Telemedien anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, nicht zu vereinbaren.
Eine umfassende Würdigung und Abwägung der wechselseitigen Interessen unter Einbeziehung von Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Richtlinie) ergibt, dass es der Beklagten zwar nicht zumutbar gewesen ist, die Nutzung des Netzwerks zu ermöglichen, ohne dass der jeweilige Nutzer ihr zuvor - etwa bei der Registrierung - im Innenverhältnis seinen Klarnamen mitgeteilt hatte. Für die anschließende Nutzung der von ihr angebotenen Dienste unter Pseudonym ist die Zumutbarkeit jedoch zu bejahen.
Die Unwirksamkeit der Bestimmung zur Klarnamenpflicht führt dazu, dass die Bestimmung ersatzlos wegfällt. In der Folge hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, das Netzwerk unter einem Pseudonym zu nutzen.
+++ Az. III ZR 4/21 +++
In dem Verfahren wird das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und - unter Zurückweisung der Revision im Übrigen - die Beklagte verurteilt, das Nutzerkonto der Klägerin freizuschalten und der Klägerin unbeschränkten Zugriff auf die Funktionen dieses Kontos zu gewähren.
Die Beklagte kann von der Klägerin nicht verlangen, ihren Profilnamen in ihren wahren Namen zu ändern. Die Bestimmung zur Klarnamenpflicht in den hier maßgeblichen Nutzungsbedingungen der Beklagten zum Stand 30.1.2015 ist ebenfalls unwirksam. Diese Bedingungen enthalten eine Regelung, wonach die Nutzer ihre wahren Namen und Daten anzugeben haben. Von der Unwirksamkeit dieser Bestimmung hat der Senat bereits gemäß § 11 Satz 1 UKlaG aufgrund des Unterlassungsurteils des LG Berlin vom 16.1.2018 (Az.: 16 O 341/15) in einem Verbandsklageverfahren auszugehen. Die Beklagte darf sich danach bei der Abwicklung von Verträgen über die Teilnahme an einem sozialen Netzwerk mit Verbrauchern, die ihren ständigen Aufenthaltsort in Deutschland haben, nicht auf Bestimmungen berufen, die der hier verwendeten Bestimmung zur Klarnamenpflicht entsprechen. In der Folge kann die Klägerin von der Beklagten die Freischaltung ihres Nutzerkontos und Zugriff auf dessen Funktionen verlangen.
In beiden Verfahren kam es für die Entscheidung auf die Vorgaben der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) nicht an, weil diese erst seit dem 25.5.2018 gilt und es für die Rechtslage auf den Zeitpunkt der Einbeziehung der jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in das Vertragsverhältnis ankommt.
Aufsatz von Dr. Jan Lundberg in der CR
OLG München: Zur Klarnamenpflicht von Facebook
Aufsatz von Markus Rössel im ITRB
Klarnamenpflicht auf Facebook
Eine pseudonyme Nutzung von Facebook ist nicht zumutbar i.S.v. § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG bei mit der DSGVO konformer Auslegung.
Beratermodul Computer und Recht - CR
Die umfassende Datenbank zum Recht der Informationstechnologie - Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet dieses Modul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat - 4 Wochen gratis nutzen!