Kreditinstitute: Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern
EuGH v. 29.7.2024 - C-298/22Im September 2019 verhängte die portugiesische Wettbewerbsbehörde (AdC) gegen 14 Kreditinstitute (darunter die sechs größten in Portugal) eine Geldbuße i.H.v. insgesamt 225 Mio. €. Die AdC war der Auffassung, dass diese Kreditinstitute von 2002 bis 2013 durch ihre Beteiligung an einem mehr als zehn Jahre lang andauernden vertieften mtl. Austausch von sensiblen Informationen auf Gegenseitigkeitsbasis gegen das nationale Wettbewerbsrecht und das EU-Wettbewerbsrecht verstoßen hätten. Die ausgetauschten Informationen betrafen die Märkte für Hypothekenkredite, für Verbraucherkredite und für Unternehmenskredite. Sie bezogen sich auf bestimmte aktuelle und künftige Geschäftsbedingungen, insbesondere Kreditaufschläge und Risikoparameter, sowie die individualisierten Produktionszahlen der Beteiligten an diesem Austausch.
Unter Kreditaufschlag ist der Unterschied zwischen dem von einem Kreditinstitut auf einen Kreditnehmer angewandten Zinssatz und dem Zinssatz zu verstehen, zu dem es sich im Prinzip refinanziert. Die Risikoparameter werden herangezogen, um jeder Risikoklasse für Kunden, die anhand von Faktoren wie den Einkünften, dem Finanzierungsbeitrag oder den Kosten der Immobilie der betreffenden Kunden bestimmt wird, zum Ausgleich dieses Risikos einen Kreditaufschlag zuzuweisen. Unter Produktionsmengen sind die individualisierten Kennzahlen der einzelnen beteiligten Kreditinstitute über die Höhe der im Lauf des Vormonats gewährten Kredite zu verstehen. Diese Daten wurden in aufgeschlüsselter Form, d.h. in detaillierte Unterkategorien aufgeteilt, kommuniziert und standen weder zum Zeitpunkt des Austauschs noch danach über eine andere Quelle in dieser Form zur Verfügung.
Der Informationsaustausch wurde als "autonomer" Informationsaustausch angesehen, da die AdC nicht behauptete, dass er im Zusammenhang mit einer wettbewerbsbeschränkenden abgestimmten Verhaltensweise stehe, etwa einer Preisabsprache oder einer Marktaufteilung. Die AdC ging dennoch davon aus, dass er eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstelle. Nach Ansicht der Behörde entbindet sie das Ausmaß dieser abgestimmten Verhaltensweise davon, ihre eventuellen Auswirkungen auf die betroffenen Märkte zu untersuchen, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Verhaltensweise gegen das Wettbewerbsrecht verstößt.
Die Mehrzahl der beteiligten Kreditinstitute erhob gegen die Entscheidung der AdC Klage vor dem portugiesischen Gericht für Wettbewerbssachen. Nach ihrem Vorbringen ist der in Rede stehende Informationsaustausch nicht per se als hinreichend wettbewerbsschädlich anzusehen, um als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden zu können. Es sei daher erforderlich, dessen Auswirkungen zu prüfen. Außerdem hätte die AdC jedenfalls den wirtschaftlichen, rechtlichen und regulatorischen Zusammenhang dieses Austauschs berücksichtigen müssen.
Das portugiesische Gericht fragt den EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Informationsaustausch als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden kann.
Die Gründe:
Ein autonomer Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern kann eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Es genügt, wenn dieser Austausch eine Form der Koordinierung darstellt, die im Zusammenhang mit dem Austausch an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist. Damit ein Markt unter normalen Bedingungen funktioniert, müssen Marktteilnehmer selbständig bestimmen, welche Politik sie betreiben wollen, und hinsichtlich des künftigen Verhaltens der anderen Teilnehmer im Ungewissen bleiben. Folglich kann ein Informationsaustausch, wenn er es ermöglicht, eine solche Ungewissheit zu beseitigen, als eine als bezweckte Beschränkung einzustufende Form der Koordinierung angesehen werden. So liegt der Fall, wenn die ausgetauschten Informationen in dem Sinne vertraulich und strategisch sind, dass sie geeignet sind, das künftige Verhalten eines Wettbewerbers auf den betreffenden Märkten offenzulegen.
Dies kommt hier in Betracht. Denn aus der Darstellung des in Rede stehenden Sachverhalts durch das portugiesische Gericht scheint hervorzugehen, dass die ausgetauschten Informationen u.a. die Absichten der Beteiligten an dem Austausch hinsichtlich künftiger Änderungen der Kreditaufschläge betrafen. Sollte dies zutreffen, könnte ferner mit einem solchen Austausch, da die Kreditaufschläge zu den Parametern gehören, anhand deren der Wettbewerb auf einem Markt entsteht, kein anderes Ziel verfolgt werden als die Verfälschung des Wettbewerbs. Es ist jedoch Sache des portugiesischen Gerichts, die erforderlichen Tatsachenwürdigungen vorzunehmen, um festzustellen zu können, ob der in Rede stehende Austausch tatsächlich eine bezweckte Beschränkung darstellt.
Mehr zum Thema:
Beratermodul WM / WuB Wirtschafts- und Bankrecht
WM und WuB in einem Modul: Die WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht informiert wöchentlich aktuell und umfassend im Rechtsprechungsteil über Urteile und Beschlüsse der Gerichte. Die WuB Entscheidungsanmerkungen zum Wirtschafts- und Bankrecht informieren monatlich aktuell und praxisbezogen kommentiert über alle wichtigen wirtschafts- und bankrechtlichen Entscheidungen. 4 Wochen gratis nutzen!